Fachstellen-Leiterin Claudia Stam
Zunehmender Druck fördert Mobbing

Mobbing am Arbeitsplatz ist verbreitet. Wird in Unternehmen gemobbt, liegt es oft an den Führungskräften. Aber auch der zunehmende Leistungsdruck fördert Mobbing in der Arbeitswelt.
Publiziert: 16.11.2021 um 18:07 Uhr
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Aktualisiert: 28.02.2023 um 12:45 Uhr
Aline Wüst

Schikanen, unfaire Kritik, abwertende Bemerkungen: Mobbing in der Arbeitswelt hat viele Gesichter. Die Folgen davon sind weitreichend: psychisch und volkswirtschaftlich. Das zeigt der Fall von Christine K.* Zahlen zur Verbreitung solcher Fälle gibt es wenige. Die letzte Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) ist 20 Jahre alt. Von 3000 Befragten gaben damals 7,6 Prozent an, dass sie Mobbing erleben. 2016 gab dann bei einer Studie des Schweizer Marktforschungsinstituts bereits jeder fünfte Arbeitnehmende an, dass er in den vergangenen zwei Jahren Mobbing erlebt hat.

Dafür, dass Mobbing zunehmen könnte, gibt es noch einen weiteren Indikator: Der Stress am Arbeitsplatz wächst. Das zeigte die 2019 veröffentlichte Schweizer Gesundheitsbefragung. Es zeigt sich darin, dass beispielsweise Arbeitsanforderungen, Zeitdruck und die Angst um den Arbeitsplatz zunehmen.

Das Seco wiederum nahm diese Daten unter die Lupe und kam zum Schluss: Statt mehr Ressourcen zur Verfügung stellen oder Arbeitszeiten anzupassen, schieben Unternehmen das wachsende Leiden am Arbeitsplatz ihren Mitarbeitenden in die Schuhe. Nach dem Motto: Hast du Stress? Dein Problem!

Claudia Stam leitet die Fachstelle für Mobbing und Belästigung in Zürich.
Foto: Philippe Wiget

Gute Führungskräfte sind Mangelware

Das hat Folgen. Claudia Stam, Geschäftsleiterin der Fachstelle Mobbing und Belästigung, sagt: «Das Risiko für Mobbing steigt, wenn alle ständig unter Druck sind, immer mehr in immer kürzerer Zeit erledigen müssen und vielleicht sogar noch Angst um den Job haben.» Denn all das führe zu Unsicherheit und fördere vermehrtes Konkurrenzdenken unter den Mitarbeitenden. «Es ist dann naheliegend, den Arbeitskollegen kleinzumachen, um sich selbst in ein besseres Licht zu rücken.»

Im Umkehrschluss gilt: Ist ein Unternehmen gut geführt, schafft das Vertrauen und Sicherheit. Damit vermindert sich die Mobbing-Gefahr. Doch ausgerechnet in diesem Punkt ortet Stam ein Problem: «Gute Führungskräfte zu finden, die nicht nur über Fachkompetenz, sondern auch über emotionale Intelligenz und einen gesunden Menschenverstand verfügen, wird immer schwieriger.»

Mit Mobbing auf Unsicherheit reagieren

Der deutsche Sozialwissenschaftler Götz Eisenberg hat eine Erklärung dafür: «Das Leben in einer vom Markt und seinen Gesetzen vollkommen beherrschten Gesellschaft zwingt die Menschen zu einem Leben im Zustand permanenter Verteidigung und Aggression.» Wer vorwärtskommen wolle, müsse Skrupellosigkeit und Härte an den Tag legen, schreibt er. Dadurch werde ein Klima geschaffen, in dem Mobbing wie in einem Treibhaus gedeihe. Denn wo Konkurrenz- und Leistungsdruck zunehmen, ohne Möglichkeit sich dagegen zu wehren, wachse das Bedürfnis nach einem Sündenbock. Zu mobben ist also eine Form, um auf Bedrohung und Unsicherheit zu reagieren. Was dem entgegenwirkt? Laut Eisenberg sind es Solidarität und Freundlichkeit.

Sich Kraft und Mut holen

Von Mobbing Betroffenen nützt das wenig. Hilfreicher ist laut Stam: «Betroffene müssen sich rasch Hilfe suchen.» Es gehe zuerst darum, zu analysieren, was geschehen ist und was für Gespräche bereits stattgefunden haben, um die Situation zu klären. In einem zweiten Schritt gehe es darum, mit professioneller Unterstützung eine Lösung für die unhaltbare Situation zu finden. Oftmals sei dies der Weggang vom betreffenden Arbeitsplatz oder allenfalls auch eine interne Versetzung.

Es brauche Zeit, professionelle Begleitung und Geduld, bis das Selbstvertrauen zurückkomme und neue Perspektiven entstehen. Stam weiss, dass es gelingen kann. In den letzten 20 Jahren hat sie mehrere Tausend Menschen begleitet.

* Name der Redaktion bekannt.
Hilfe bei Mobbing am Arbeitsplatz

Oft ist es schwierig, Mobbing zu beweisen. Für Betroffene ist es deshalb ratsam, ein Tagebuch zu führen, in dem die Vorfälle dokumentiert werden. Zentral ist, sich möglichst schnell Unterstützung zu suchen. Arbeitgeber sind verpflichtet, präventive Massnahmen gegen Mobbing zu ergreifen und umgehend zu reagieren, wenn es zu Mobbing im Unternehmen kommt. Viele Firmen bieten deshalb heute betriebsinterne oder -externe Anlaufstellen bei Mobbing. In jedem Fall besteht auch die Möglichkeit, sich extern bei einer unabhängigen Fachstelle Rat zu holen. Zum Beispiel bei der Fachstelle Mobbing und Belästigung.

Oft ist es schwierig, Mobbing zu beweisen. Für Betroffene ist es deshalb ratsam, ein Tagebuch zu führen, in dem die Vorfälle dokumentiert werden. Zentral ist, sich möglichst schnell Unterstützung zu suchen. Arbeitgeber sind verpflichtet, präventive Massnahmen gegen Mobbing zu ergreifen und umgehend zu reagieren, wenn es zu Mobbing im Unternehmen kommt. Viele Firmen bieten deshalb heute betriebsinterne oder -externe Anlaufstellen bei Mobbing. In jedem Fall besteht auch die Möglichkeit, sich extern bei einer unabhängigen Fachstelle Rat zu holen. Zum Beispiel bei der Fachstelle Mobbing und Belästigung.

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