«Ich war mir sicher, dass ich sterbe»
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Bergfotograf Robert Bösch:«Ich war mir sicher, dass ich sterbe»

Fotograf Robert Bösch über seine Arbeit und das Extrembergsteigen
«Ich war mir sicher, dass ich sterbe»

Robert Bösch (65) ist eine Legende der Bergfotografie, war viele Jahre lang Extrembergsteiger und ein Freund von Ueli Steck (†40). Ein Gespräch über lebensgefährliche Touren, den Unfalltod von Steck und warum er nicht mehr nur Berge fotografieren will.
Publiziert: 27.06.2020 um 15:28 Uhr
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Aktualisiert: 12.03.2021 um 17:19 Uhr
Fotograf und Bergsteiger Robert Bösch (65) spricht im Interview über schwierige Bergrouten und seine Arbeit.
Foto: Lukas Pitsch
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Rebecca Wyss

Herr Bösch, Sie machten sich mit Berg- und Actionfotografie international einen Namen. Wie haben Sie das geschafft?
Robert Bösch: Ich bin durch das Bergsteigen zur professionellen Fotografie gekommen. Am Anfang natürlich, weil ich an Orten fotografieren konnte, wo andere nicht hinkamen. Andere Fotografen sagten mir früher, ich hätte halt Glück, ich hätte mir mit dem Bergsteigen eine Nische geschaffen. An diese Orte kämen sie ja nicht hin. Das hat mich manchmal geärgert.

Sie waren neidisch auf Sie.
Auf jeden Fall stimmt es nicht. Ich fotografierte früh in Bereichen, die nichts mit Bergsteigen zu tun hatten. Ich habe die Fotografie genau so betrieben wie das Bergsteigen: mit sehr viel Engagement, es war mir kein Aufwand zu viel. Ich wollte mich immer verbessern.

Was treibt Sie an?
Die Freude am Bildermachen. Ich versuche Bilder zu finden, die man so noch nicht gesehen hat. Es gibt Tausende Aufnahmen vom White Turf in St. Moritz. Ich war aber der Erste, der die Idee hatte, das Pferderennen von oben senkrecht nach unten zu fotografieren.

Reicht eine gute Idee für ein gutes Bild?
Manchmal, man muss sie aber auch noch umsetzen können. Mir kommt eine grosse Reportage mit Ueli Kestenholz in den Sinn, ich fotografierte ihn für die «Schweizer Illustrierte» beim Speedriden.

Erzählen Sie!
Ueli flog da eine Eiswand entlang in die Tiefe. Leider schien in jenem Moment die Sonne darauf. Für das perfekte Bild wäre Schatten besser gewesen. Das liess mir keine Ruhe. Nachdem die Reportage schon publiziert war, fragte ich Kestenholz, ob er nochmals mitkommen würde. Auf meine Kosten. Das Bild gelang, aber die Heli-Kosten waren am Schluss mindestens so hoch wie mein Honorar, das ich für die Reportage erhalten hatte.

Der Extreme

Robert Bösch (65) ist Geograf und Bergsteiger. Seit über dreissig Jahren arbeitet er als freischaffender Fotograf. Mit Berg- und Actionfotografie machte er sich international einen Namen. Auch weil er gerne an die Grenzen geht. Als Bergsteiger kletterte er viele Jahre lang weltweit schwierigste Bergrouten. Mit seinem Fotoapparat begleitete er zudem etliche Expeditionen und Touren von Ueli Steck (†40). 16 Fotobücher hat der Nikon-Ambassador publiziert. Zuletzt «Mountains», sein Lebenswerk. Im Herbst erscheint von ihm «Noman's Land», mit Bildern aus der Kunstfotografie. Im Verlag Till Schaap Edition. Bösch ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Oberägeri ZG.

Lukas Pitsch

Robert Bösch (65) ist Geograf und Bergsteiger. Seit über dreissig Jahren arbeitet er als freischaffender Fotograf. Mit Berg- und Actionfotografie machte er sich international einen Namen. Auch weil er gerne an die Grenzen geht. Als Bergsteiger kletterte er viele Jahre lang weltweit schwierigste Bergrouten. Mit seinem Fotoapparat begleitete er zudem etliche Expeditionen und Touren von Ueli Steck (†40). 16 Fotobücher hat der Nikon-Ambassador publiziert. Zuletzt «Mountains», sein Lebenswerk. Im Herbst erscheint von ihm «Noman's Land», mit Bildern aus der Kunstfotografie. Im Verlag Till Schaap Edition. Bösch ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Oberägeri ZG.

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Auch Bergsteiger-Legende Ueli Steck begleiteten Sie mit dem Fotoapparat auf seinen Touren. Wie kam es, dass Sie beide Freunde wurden?
Als ich ihn 1997 kennenlernte, war er ein junger, starker Kletterer und unbekannt. Er setzte dann ganz aufs Bergsteigen, war auf die Medien und Sponsoren angewiesen, und ich hatte die Kontakte, machte Reportagen mit ihm. Wir fotografierten über Jahre zusammen und gingen gemeinsam zum Klettern. Ich konnte mich immer auf ihn verlassen. Ueli hat nicht nur für sich geschaut.

Vor drei Jahren verunglückte er im Himalaya auf dem Nuptse. Er, der zu den besten Extrembergsteigern der Welt gehörte. Wie konnte das passieren?
Er hatte extrem viel trainiert, um als Erster überhaupt den Everest und Lhotse zu überschreiten. Unterwegs wollte er noch den Nuptse besteigen, einen Siebentausender neben dem Everest. Bei jener Tour ging er nicht an seine Grenzen, er hatte schon viel Schwierigeres gemacht. Warum er abgestürzt ist, wird man wohl nie erfahren.

Sie waren gerade unterwegs zu ihm, als Sie am Flughafen in Kathmandu von seinem Tod erfahren haben. Welche Erinnerung haben Sie an jenen Moment?
Als ich die Nachricht bekam, dachte ich zuerst, dass es eine Falschinformation ist. Ich kannte aber den Piloten, der Ueli geborgen hat, der hats mir bestätigt. Dann brach eine Welt zusammen. Es war ein unglaublicher Schock. Unfassbar im Moment.

Wie war es für Sie, damals vor Ort zu sein?
Ich bin froh darüber. Ich musste nicht miterleben, was hier in der Schweiz vor sich ging. Nach seinem Tod trauerten plötzlich viele Freunde öffentlich um ihn, die er davor nicht hatte.

Kürzlich zeigte SRF einen Dokfilm über ihn, «Auf schmalem Grat». Darin steigt einer seiner Weggefährten zwei Jahre nach Stecks Tod ohne Sauerstoff auf den Everest. Warum schreckt der tödliche Unfall eines Bergsteigerfreundes nicht ab?
Jeder, der das Bergsteigen intensiv und über viele Jahre betreibt, hat eine lange Liste von Kollegen, die dabei ums Leben gekommen sind. Man verdrängt die Katastrophe, ist sich dieser Möglichkeit aber trotzdem immer irgendwie bewusst.

Macht das Verdrängen furchtlos?
Nein, Angst gehört zum Bergsteigen. Sie erfasst einen manchmal, wenn man in einer Wand ist, das Wetter kippt und die Passagen, die man sonst gut klettern kann, viel schwieriger werden. Und wenn dann der Gedanke aufkommt, dass man es eventuell nicht schafft, durchzukommen. Ich habe mir ein paar Mal geschworen, dass ich meine Ausrüstung verkaufe, wenn ich es heil runterschaffe. Aber am schlimmsten waren die Nächte vor der Tour.

Wieso?
Man liegt wach und denkt an die unzähligen Dinge, die schieflaufen können. Man schaut zum Sternenhimmel hoch und hofft insgeheim, dass Wolken aufziehen und man die ganze Sache abblasen muss.

Was treibt einen trotzdem immer wieder zu hochriskanten Aktionen?
Es spielt Ehrgeiz mit. Man will gut sein und immer besser werden. Man misst sich an den anderen. Und wenn man eine schwierige Tour geschafft hat, fühlt man sich so gut, dass man schon wieder an eine noch schwierigere denkt.

Man könnte auch einfach einen Marathon laufen.
Dort fehlt die Gefahr. Bei einer schwierigen Bergtour geht es immer auch darum, nicht ums Leben zu kommen. Gleichzeitig ist es ein ungeheuer gutes Gefühl, wenn es unterwegs schwierig ist und man merkt, dass man es trotzdem im Griff hat. Dieser Mix macht es so intensiv. Diese Intensität macht süchtig.

Vor elf Jahren sind Sie knapp dem Tod entkommen. Am Himalaya-Riesen Makalu kehrten Sie aus Zeitgründen auf 8000 Metern Höhe um. Vieles spricht dafür, dass Sie beim Abstieg eine Lungenembolie hatten. Was ging in Ihnen vor?
Ich war mir sicher, dass ich sterbe. Ich war alleine unterwegs und überlebte nur, weil ich so fit war und so viel Erfahrung hatte. Ich wollte um jeden Preis überleben.

Hatten Sie Angst?
Eigentlich nicht. Ich war enttäuscht und traurig. Ich hatte so intensiv trainiert, war gut akklimatisiert, hatte auf der Tour keinen Fehler gemacht, und dann wurde ich von einem Moment auf den anderen körperlich schwach. Ich konnte kaum mehr stehen, wusste aber nicht, was es ist. Mir kam der Schweizer Bergsteiger Marcel Rüedi in den Sinn. Der war 30 Jahre zuvor am gleichen Ort ums Leben gekommen. Ich dachte: Verdammt, jetzt passiert dir das Gleiche. Und ich dachte an meine Kinder und an meine Frau.

Gehen Sie heute noch so an Ihre Grenzen?
Nein. Ich habe in meinem Alter nicht mehr die gleiche Leistungsfähigkeit wie früher. Je fitter man ist, desto näher kann man an die Grenzen gehen, ohne Fehler zu machen.

Fehlt es Ihnen?
Manchmal schon. Ich bin aber nicht mehr so risikobereit. Mir fehlt heute der Killerinstinkt, dieser Wille, den Gipfel unbedingt erreichen zu wollen.

Die SAC-Präsidentin Françoise Jaquet sagte einmal diesem Magazin gegenüber, dass Frauen auch Spitzenleistungen im Extrembergsteigen schafften, aber weniger darüber sprächen als die Männer. Hat sie recht?
Das sehe ich nicht so. Ich glaube nicht, dass Frauen die mediale Aufmerksamkeit weniger suchen. Es gibt im Extremalpinismus – ich spreche nicht vom Felsklettern – aber auch kaum Topleistungen, die von Frauen vollbracht wurden. Das ist auch normal.

Warum normal?
Wir Männer haben ein anderes Programm in uns. Vermutlich, um dem anderen Geschlecht zu imponieren. Es sind fast ausschliesslich Männer, die die wirklich riskanten Besteigungen gemacht haben. Alpine Meilensteine geschahen immer durch eine Kombination von hoher Schwierigkeit und grossem Risiko. Frauen sind da offensichtlich viel vernünftiger. Sie haben das nicht so nötig. Dafür werden Bergsteigerinnen von den Medien privilegiert behandelt.

Wie meinen Sie das?
Wer in der heutigen Zeit auf dem Normalweg auf einen Achttausender steigt, also mit künstlichem Sauerstoff und mit der Hilfe von Sherpas, der macht aus alpinistischer Sicht nichts Aussergewöhnliches. Egal, ob Mann oder Frau. Bei einer Frau ist aber die Chance grösser, dass trotzdem darüber berichtet wird.

Vor zwei Jahren erschien Ihr Buch «Mountains». Im Januar zeigten Sie an der Fotoausstellung Photo Schweiz ganz neue, andere Bilder – abstraktere. Wie kommt das?
Als ich das erste Exemplar des Buches in den Händen hielt, wusste ich: Das ist dein Lebenswerk. Das war ein befriedigendes Gefühl. Gleichzeitig merkte ich, dass mich die Berg- und Actionfotografie nicht mehr reizte. Und ich fiel in ein Loch. Zuerst störte mich das nicht gross, nach einem solchen Projekt ist das normal. Aber es wurde nicht besser.

Eine Krise?
Ja. Ich fühlte mich leer und hatte auch Angst. Ich dachte: Wenn mich die Fotografie nicht mehr reizt, was mache ich dann mit meinem Leben? Ich bin mir gewohnt, dass mich etwas packt: das Bergsteigen oder die Fotografie.

Wie kamen Sie da wieder raus?
Durch mein neues Buchprojekt. «No Man's Land» kommt im Herbst heraus. Ich trage die Idee dazu schon lange mit mir herum.

Was werden Sie uns zeigen?
Nichts mit Bergen. Es sind Bilder, die ich vor meiner Haustüre entdeckt habe oder irgendwo auf dieser Welt. In Jemen, Tel Aviv oder im Ägerital, wo ich wohne. Es sind Aufnahmen von Wüsten, modernsten Städten, abstrakten Industrieanlagen, Elefanten, Vögeln oder Stierkämpfern. Ich zeige Situationen und Momente, die erst durch mich und meine Kamera zu einem Bild wurden. Bilder, die jemand anders vielleicht nicht als solche gesehen hätte.

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