«Wir müssen zusammen für Frieden sorgen»
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Joseph Maria Bonnemain:«Wir müssen zusammen für Frieden sorgen»

Gespräch mit Joseph Maria Bonnemain
Kommt Putin in die Hölle, Herr Bischof?

Weihnachten sei keine süsse Geschichte, sagt der Bischof von Chur – sondern eine rätselhafte Entscheidung Gottes, mit dem Schmerz der Welt eins zu werden.
Publiziert: 25.12.2022 um 00:23 Uhr
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Aktualisiert: 25.12.2022 um 14:24 Uhr
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Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

SonntagsBlick: Bischof Bonnemain, Weihnachten ist das Fest der Liebe. In wen waren Sie schon einmal verliebt?
Joseph Maria Bonnemain:
Ich war sehr verliebt in eine Frau namens Blanca. Das war in meiner Jugendzeit. Ich war überzeugt, dass Blanca und ich heiraten und wenn möglich viele Kinder haben würden.

Was ist aus der Liebe geworden?
Ich habe mich anders entschieden und bin eine Partnerschaft mit der ganzen Welt eingegangen. Das ist die Grundbotschaft des Christentums: Nicht nur einen Menschen, sondern alle zu lieben.

Sie heissen Joseph Maria. Wie viel Weihnachten steckt in Ihrer Person?
Weihnachten ist keine süsse, romantische Geschichte. Es ist eine unerwartete, rätselhafte Entscheidung Gottes, nicht die Probleme der Welt zu lösen, sondern eins mit den Problemen zu werden. Nicht einfach eine schönere Welt zu gestalten also, sondern eins zu werden mit allem, was in dieser Welt dunkel, leer und schmerzhaft ist.

«Der Mensch in seiner ganzen Tiefe ist etwas Grossartiges», sagt Joseph Maria Bonnemain, Bischof von Chur.
Foto: Siggi Bucher
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Warum hat er diesen Weg gewählt?
Das werden wir Menschen nie ganz verstehen, dass Gott nicht einfach zaubert und eine Märchenwelt erschafft. Das wäre leicht. Aber sich aus Liebe zu vereinen mit allem, was beschädigt und noch nicht erlöst ist – das ist Weihnachten. Es geht um einen Gott, der nicht billige Lösungen sucht, sondern eins wird mit der Realität der Menschen.

Diese Realität haben Sie in Ihrer Arbeit aus nächster Nähe erlebt.
Ich habe 37 Jahre als Spitalseelsorger gearbeitet und mit vielen leidenden, dementen, sterbenden Menschen zu tun gehabt. Und ich habe 40 Jahre lang das Gericht des Bistums geleitet. Dort war ich täglich mit zerrütteten Ehen und mit Unrecht auch im kirchlichen Bereich konfrontiert. Seit 2002 wirkte ich als Sekretär des Fachgremiums für sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld der Schweizer Bischofskonferenz, und seit meiner Ernennung zum Bischof bin ich der Ressortverantwortliche der Bischofskonferenz für dieses Gremium. In diesem Rahmen habe ich mit schrecklichen Verbrechen zu tun.

Vertrauen Sie den Menschen noch?
Diese Erfahrungen haben mir das Vertrauen in die Menschen nicht genommen. Im Gegenteil, sie haben es verstärkt. Der Mensch in seiner ganzen Tiefe ist etwas Grossartiges. So grossartig, dass Gott entschieden hat, Mensch zu werden.

Was kann ich als Atheist aus der Weihnachtsgeschichte lernen?
Wer überzeugt ist, dass wir angesichts der Rätsel des Lebens auf die Dimension der Unendlichkeit verzichten können, stösst an Grenzen. Wer trägt im Herzen nicht die Sehnsucht nach einer Liebe, die nie endet? Nach einer Wahrheit ohne Lügen? Ich glaube, das tragen wir alle in uns. Das ist die dritte Dimension, die Suche nach Gott. Ein Glaube, der aus lauter Klarheiten und Sicherheiten besteht, ist ohnehin ein pubertärer Glaube.

Was bedeutet das mit Blick auf Weihnachten?
Die Lösung für viele Fragen, mit denen wir konfrontiert sind, besteht nicht in der Ausübung von Macht. Sie liegt nicht in politischen oder wirtschaftlichen Strukturen. Es ist gut, dass wir all das pflegen. Doch die entscheidende Wende liegt in einer Liebe, die bereit ist, klein, mittellos und ohnmächtig zu werden. Das ist die Wende, die Gott an Weihnachten gebracht hat.

Die Kirche verspricht uns den Erlöser und Frieden auf Erden. Was sollen die Menschen in der Ukraine davon halten?
Trotz allem, was sie jetzt erleben müssen, bleiben sie hoffentlich davon überzeugt, dass die Lösung in der Nachfolge des Erlösers besteht. Das heisst, so gut wie möglich so zu leben, wie er uns das vorgemacht hat.

Warum lässt Gott Krieg und Leid zu?
Was glauben Sie, warum er das tut?

Ich glaube, Sie können Gott besser verteidigen.
Ist es nicht eher so, dass ich im Grunde den Menschen verteidigen muss? Der Mensch ist ja nicht vorprogrammiert zum Guten. Er ist frei, sich zu entscheiden. Gott wiederum hat sich nicht für das Böse entschieden, das durch den Menschen entsteht. Er hat dem Menschen die Möglichkeit gegeben, selbst eine bessere Welt zu gestalten. Das beinhaltet auch das Risiko, dass wir unsere Welt kaputt machen.

Die Schweiz bleibt angesichts des Kriegs neutral. Die Kirche auch?
Das hängt davon ab, was man als neutral bezeichnet. Neutralität im Sinne von Gleichgültigkeit ist niemals gut. Aber wenn Unparteilichkeit uns ermöglicht, uns für das Gute einzusetzen, ist sie sinnvoll. Wir versuchen, Einfluss auszuüben, damit Frieden möglich wird. Man spricht in diesem Zusammenhang von der vatikanischen Diplomatie. Der Papst spricht täglich gegen den Krieg in der Ukraine. Gleichzeitig versucht er, sich alle Möglichkeiten offenzuhalten, um richtig intervenieren zu können. Das ist eine Gratwanderung.

Kommt Wladimir Putin in die Hölle?
Ich hoffe nicht, dass er in die Hölle kommt. Diese Hoffnung müssen wir für jeden Menschen haben, bis zuletzt. Ich hoffe, dass Wladimir Putin eine Wende schafft und sein Verhalten ändert.

Der Krieg hat zu einer weltweiten Energiekrise und Inflation geführt. Auch in der Schweiz spüren die Menschen Druck aufs Portemonnaie. Trotzdem geben sie auch dieses Jahr viel Geld für Weihnachtsgeschenke aus. Warum?
Hoffentlich, weil sie davon ausgehen, damit anderen eine Freude zu machen. Ich muss dabei aber an die Worte von Papst Franziskus denken. Er sagte diese Woche, dass wir angesichts des Leids in der Ukraine und an anderen Orten der Welt bescheiden bleiben und für diese Menschen spenden sollten.

Geben Sie privat Geschenke?
Sehr wenige. Und ich kriege auch nicht viele Geschenke. Die wirklich kostbaren Geschenke kann man nicht kaufen. Was wir wirklich brauchen, sind Zuneigung, Wärme und Frieden.

Jesus wurde in einer Krippe geboren. Wo würde er heute auf die Welt kommen?
Wie damals an einem abgelegenen Ort, in ärmlichen Verhältnissen. Um uns zu zeigen, dass die üblichen Lösungen, die wir in der Welt suchen, nicht unbedingt die richtigen sind.

Sie wurden in Barcelona geboren. Ihr Vater war Jurassier, Ihre Mutter Katalanin. Der Separatismus ist Ihnen in die Wiege gelegt. Ist davon etwas hängen geblieben?
Bis heute, ja. Das Rebellische ist immer noch da. Ich mag keine vorfabrizierten Lösungen. Die Botschaft Jesu ist eine absolute Revolution.

Aber die Kirche ist eine konservative Organisation. Vielleicht ist sie gerade deshalb schon 2000 Jahre alt.
Ich glaube nicht, dass das der Grund ist. Ich bin vielmehr überzeugt, dass es die machtlose, sich selbst ausliefernde Haltung Gottes ist, die der Kirche Kraft und Bestand gibt.

Was ist die Kirche überhaupt?
Es ist eine Bande von Menschen, die sich von Jesus Christus begeistern liessen und ihm nachfolgten. Diese Gemeinschaft hatte weder grosse Mittel noch Einfluss. Und doch hat sie unsere Welt verändert. Viele Überzeugungen, die damals entstanden, prägen unsere Gesellschaft bis heute – Bescheidenheit, Demut, Zuneigung für die Armen und Schwachen.

Klingt nicht nach starrer Organisation.
Die Kirche ist für mich nicht primär eine Institution, sondern eine Gemeinschaft, die auf dieser Welt unterwegs ist. Es gibt ein spanisches Lied, das heisst: Der Weg entsteht, indem man geht. Die Kirche ist etwas Lebendiges, Kreatives. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, einfach einen Platz zu besetzen und Strukturen zu etablieren, sondern müssen den Mut haben, unterwegs zu sein.

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