Keine Saunabesuche, keine Massagen
Bistum Chur legt Verhaltenskodex für Mitarbeitende vor

Das Bistum Chur wird einen Verhaltenskodex für seine Mitarbeitenden verabschieden. Der Inhalt ist brisant – und dürfte innerhalb der römisch-katholischen Kirche für eine sexuelle Revolution sorgen.
Publiziert: 16.03.2022 um 08:10 Uhr
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Aktualisiert: 17.03.2022 um 15:09 Uhr
Tobias Ochsenbein

Die römisch-katholische Kirche gelangte in jüngster Vergangenheit immer wieder wegen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch ihre Amtsträger in die Schlagzeilen. Die Aufarbeitung dieser Fälle war stets umstritten. Viele Opfer sind empört. Immer mehr Mitglieder wenden sich von der Kirche ab.

Das Bistum Chur hat nun zum ersten Mal einen Verhaltenskodex ausgearbeitet. Blick liegt das Dokument exklusiv vor. Die Charta wird voraussichtlich im April von Bischof Joseph Bonnemain (73) unterzeichnet. Ein Dokument für alle, die in der Kirche tätig sind. Der Inhalt hat es in sich – und dürfte zumindest innerhalb der Kirche für Aufsehen sorgen.

«Keine Saunabesuche, keine Massagen»

Der Kodex soll das Risiko von Missbrauch so stark wie möglich reduzieren. Darin sind genaue Regeln für Nähe und Distanz vorgegeben. Es gehe nicht, steht da etwa, dass in einem Lager Erwachsene und Kinder im gleichen Zelt schlafen. Oder: «Intime Begegnungen (z. B. Saunabesuche, Wellness, Massagen) in Abhängigkeitsverhältnissen sind nicht zulässig.» Auch Einladungen von Minderjährigen zu sich nach Hause seien zu unterlassen.

Im April will Bischof Joseph Bonnemain (73) vom Bistum Chur den «Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht» unterschreiben.
Foto: Philippe Rossier
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Nichts weniger als die verpflichtende Ehelosigkeit und die eingeforderte sexuelle Enthaltsamkeit ihrer Priester (Zölibat), die Ablehnung der Frauenpriesterschaft und das Verhältnis zu Sexualität und Macht stehen in der römisch-katholischen Kirche zur Diskussion.

Das Bistum Chur will damit eine Null-Toleranz-Linie einschlagen gegenüber jeder Handlung, die die sexuelle Integrität einer Person gefährden könnte. Und nimmt die Seelsorgenden in die Pflicht. Konkret wird das in der Charta wie folgt beschrieben: «In jedem Fall unterlasse ich offensives Ausfragen zum Intimleben und zum Beziehungsstatus. Dies gilt auch für Gespräche, die ich als Vorgesetzte oder Vorgesetzter führe.»

«Wir gehen neuen, besseren Zeiten entgegen»
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Churer Bischof Bonnemain:«Wir gehen neuen, besseren Zeiten entgegen»

Raphael Rauch (36), römisch-katholischer Religionsexperte und Redaktionsleiter von kath.ch, sagt zu Blick: «Dieser Verhaltenskodex hat das Potenzial für eine Zeitenwende innerhalb der römisch-katholischen Kirche. Damit verbietet der Bischof von Chur künftig explizit, Mitarbeitende nach deren Sexualität zu fragen.»

«Bischof lehnt sich damit weit aus dem Fenster»

Rauch sagt: «Wenn der Bischof das ernst meint mit dem Kodex, gibt es keinen Grund mehr, Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender sind, nicht anzustellen. Oder solche, die geschieden sind oder erneut heiraten wollen.»

Das Bistum Chur wollte sich auf Anfrage von Blick noch nicht zum Verhaltenskodex äussern. Bischof Bonnemain sagte aber im vergangenen Sommer in einem Interview mit dem «Boten der Urschweiz»: «Wir müssen die Vergangenheit bereinigen, um die Zukunft bewältigen zu können.»

Raphael Rauch sagt: «Der Bischof lehnt sich damit weit aus dem Fenster, und jetzt muss er liefern.» Er glaubt, für die Kirche werde das eine Mammutaufgabe. Denn: «Mit dem Verhaltenskodex setzt sie die Messlatte noch höher, und daran wird sie künftig gemessen werden.»

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