Zoff in San Bernardino GR
Das trostloseste Ski-Gebiet der Schweiz

Seit vier Jahren stehen die Lifte in San Bernadino GR still. Jetzt will eine deutsche Gruppe 40 Millionen Franken investieren.
Publiziert: 19.11.2015 um 19:47 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 17:26 Uhr
Von Myrte Müller

San Bernardino GR schläft. Obwohl der Verkehr auf der A13 am Ort vorbeirauscht. Die Hotels sind geschlossen, die Sportläden haben Ruhetag, in den Immobilienagenturen herrscht gähnende Leere. Und die Hänge runterfahren tut hier niemand mehr.

Celestina Almeida (42) vom Restaurant La Terrazza bestuhlt trotzdem – für eine Handvoll Wanderer. Ansturm am Tresen gibt es nur auf eine abgegriffene Tageszeitung. Das «Giornale del Popolo» meldet: Deutsche Gruppe will 40 Millionen Franken investieren!

«Hoffentlich stimmt das und ist nicht wieder nur eine Ente», so die Wirtin. Denn mit San Bernardino gehe es bergab. «Wir müssen positiv denken und hoffen», sagt die Gast­ronomin. Durchhalteparolen im 120-Seelen-Dorf.

Schön, aber Geschichte: San Bernardino bietet keine Abfahrtsmöglichkeiten mehr. Der Grund ist ein Zwist zwischen dem Liftbetreiber und der Gemeinde.
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Der Winter steht vor der Tür und der Bündner Skiort hat keine Pisten. Wieder nicht. Seit vier Jahren steht die Bergbahnanlage still. 30 Kilometer Abfahrtspiste werden nicht bedient. Denn Betreiber und Gemeinde können sich nicht über einen Ausbau einigen. Die Besitzerfamilie Ghezzi will die Anlage für 4,5 Millionen Franken verkaufen. «Wir werden die Anlage nicht wieder öffnen», sagt Franco Ghezzi (41).

Weitere Ladenhüter: die Mineralwasser-Produktion und einige Hotels, darunter das einstige Prestige-Haus Albarella. Alle verwaist. Alle zu verkaufen. Seit Jahren.

Es gebe immer wieder mal Anfragen, sagt Gemeindepräsident Christian De Tann (41). Doch: «Meines Wissens liegt kein konkretes Angebot vor.» Auf Hilfe aus Bern sei kein Verlass. «Wir brauchen dringend private Investoren. Eigentlich schon seit 20 Jahren.» 

«Früher, als hier noch Ski gelaufen wurde, hatte ich von morgens bis abends Gäste. Heute läuft maximal der Mittagstisch», sagt Wirtin Almeida. Stammgast Gouic Gwenael (48) rührt im Espresso. Er schwelgt in Erinnerungen: «In den 80er-Jahren hatten wir 5000 Skifahrer am Tag, heute schaffen wir an tollen Tagen höchstens ein Fünftel.»

Gwenael arbeitet für die Bergbahnen. Die meisten seiner 30 Kollegen wurden entlassen. Er durfte bleiben, muss die Anlage warten. «Viele sehen schwarz für San Bernardino, dabei ist es eigentlich schön hier», sagt Gwenael.

Das sieht Tourismus-Direktor Christian Vigne (40) ebenfalls so. Er macht offensiv Werbung für seinen Ort: «San Bernardino hat wunderbare Winterwanderwege, eine Eisbahn und Loipen.»

Dann zieht er einen bunten und blumigen Masterplan aus der Schublade. Die Traumvorstellung sieht so aus: ein Skiparadies mit Thermalbad, dazu ein neues Luxushotel. Kostenpunkt: alles in allem rund 150 Millionen Franken. Von einer deutschen Investorengruppe und der 40-Millionen-Spritze weiss er allerdings ebenfalls nichts.

Rita Morando (63) betreibt den Kiosk Edelweiss. Neben Ansichtskarten und Alpkäse gibt es bei ihr allerlei Trödel. Die Bündnerin spricht aus, was viele im Ort denken: «Solange kein Investor unterzeichnet, glaube ich an gar nichts.»

«Ohne Schnee und ohne Gäste sind wir im Eimer», sagt Morando. «Ich verschleudere schon meine Waren. Daheim stapeln sich die Rechnungen. Die müssen bis Weihnachten warten.» Die Kiosk-Frau sagt leise: «Wenn es nicht bald besser wird, ziehe ich fort von hier.»

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