Die grossen Detailhändler setzen verstärkt auf unabhängige Brauer. Der Trend dürfte sich noch verstärken.Lokale Brauer reiten auf einer Erfolgswelle. Die unabhängigen Basler Produzenten Ueli Bier und Unser Bier werden immer beliebter. Daneben machen reihenweise kleinere unabhängige Brauereien auf sich aufmerksam. Das bleibt auch den grossen Detailhändlern nicht verborgen. Denner, Coop und Co. nehmen vermehrt lokale Biere ins Sortiment.Foto: Emanuel Gisi
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Tabu könnte fallen:Verkauft die Migros bald Bier und Wein?

Grünes Licht für Bier und Wein in der Migros
Hinter Alkohol-Entscheid steckt geheimnisvolle Stiftung

Die Migros-Delegierten ebnen den Weg für einen möglichen Alkoholverkauf. Eine Schlüsselrolle spielte die Duttweiler-Stiftung, die das Erbe des Gründes verwaltet.
Publiziert: 07.11.2021 um 11:45 Uhr
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Aktualisiert: 25.11.2021 um 09:51 Uhr
Reza Rafi

Dieser Entscheid ist eine wirtschaftshistorische Zäsur: 85 von 107 Delegierten des Migros-Genossenschaftsbundes (MGB) stellten am Samstag in einer Abstimmung in Zürich die Weichen dafür, dass der Detailhändler künftig Alkohol verkaufen darf.

Das sind wuchtige 80 Prozent, was der Stärke von Stroh-Rum entspricht.

Die für eine Statutenänderung erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde damit deutlich übertroffen. Zwar ist noch nichts endgültig entschieden – der Ball liegt jetzt bei den zehn regionalen Migros-Genossenschaften –, doch fällt die Symbolik dieses 6. Novembers auch bei nüchterner Betrachtung ins Auge: Ein zentrales Alleinstellungsmerkmal des orangen Riesen könnte demnächst gekippt werden.

Firmengründer Gottlieb Duttweiler (1888-1962) und seine Frau Adele (1892-1990) kümmerten sich zeitlebens voll um die Migros.
Foto: Keystone
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Grösster Arbeitgeber der Schweiz

Aber wie kam es überhaupt, dass der Beschluss so deutlich ausfiel? Der 30-Milliarden-Konzern ist mit knapp 100'000 Angestellten der grösste Arbeitgeber der Nation. Die Migros steht in einem brutalen Wettbewerb. Mit Aldi und Lidl haben potente Rivalen den Platz betreten, das wachsende Online-Geschäft erhöht zusätzlich den Druck.

Dazu kommen Altlasten einer früheren Unternehmensstrategie: Diverse Akquisitionen der Vergangenheit erwiesen sich später als Flops. Unter dem neuen CEO Fabrice Zumbrunnen wurden das Nobelwarenhaus Globus, der Möbelhändler Interio und weitere Brands 2019 abgestossen. Die Marktführerschaft hat man inzwischen an Widersacher Coop verloren.

Ein ranghohes Mitglied der MGB-Verwaltung begründet die neuste Entscheidung gegenüber SonntagsBlick unumwunden mit ökonomischen Argumenten: «Es geht um den Restwarenkorb, der uns durch das Alkoholverbot wegfällt. Besucht der Kunde die Konkurrenz, um eine Flasche Wein zu kaufen, besorgt er dort auch gleich Fleisch, die Milch und das Brot. Das macht uns zu schaffen.» Der Migros-Mann spricht von «Doppelmoral», die es aufzuheben gelte: «Bereits heute kann man via Denner, Migrolino oder Internethandel bei der Migros Alkohol kaufen.»

Klarheit schaffen

Wurde gestern also im Profitrausch die DNA des Hauses verraten?

David Bosshart sieht es nicht so. Der promovierte Philosoph ist Präsident der geheimnisvollen Duttweiler-Stiftung und so etwas wie der oberste Nachlassverwalter von «Duttis» geistigem Erbe.

«Wir als Stiftung begrüssen den Entscheid», sagt Bosshart, «wir sind ein demokratisches Unternehmen, und der Beschluss ermöglicht den weiteren demokratischen Prozess in dieser Frage, das entspricht auch dem Ideal Gottlieb Duttweilers.» Im Haus habe man schon so lange an dieser Frage «herumgekaut», dass es an der Zeit sei, endlich Klarheit zu schaffen.

Bossharts Äusserung ist essenziell, um die gestrige Entscheidung nachzuvollziehen: Die von ihm geführte Stiftung, spielt – nach aussen kaum wahrnehmbar – eine tragende Rolle bei internen Vorgängen. Ihre Vertreter sind bei jedem wichtigen Entscheid dabei, Bosshart und seine Kollegen eröffnen jeweils die Sitzung mit einem einordnenden Referat. Man sei lediglich Aufklärer im Sinne Duttweilers, erklärt er selbst, die Rolle der Stiftung «nur konsultativ».

Der Übervater sei ein «dreihundertprozentiger Aufklärer im Habermas’schen Sinne» gewesen, ein Freund des fairen Wettstreits um das bessere Argument. Diese Begründung ist zentral: Erst durch Einbettung in die Tradition des Gründers bekam der Entscheid am Zürcher Limmatplatz die ausschlaggebende Legitimation.

Zu bedenken wäre natürlich auch, dass der Alkoholismus im Geburtsjahr der Migros (1925) eine der grössten Geisseln der Arbeiterschicht war. Präventions- oder Suchtpolitik waren inexistent.

Duttis Kind war die Migros

Tatsächlich lässt sich darüber streiten, wie tragend das Alkoholverbot für Duttweilers Erbe ist. Dem Patron sei die basisdemokratische Ordnung des MGB wichtiger gewesen, sagen manche. Überdies habe auch «Dutti» selbst Abstimmungen verloren.

Der Gründer und seine Gattin Adele waren kinderlos. Um den Betrieb mit dem orangefarbenen Logo sorgten sie sich wie andere um den eigenen Nachwuchs.

Doch bleibt die Frage: Was unterscheidet die Migros noch von anderen Ladenketten, wenn sie Alkohol verkauft? Die Zeiten, in denen sich Schweizerinnen und Schweizer wahlweise als Migros- oder Coop-Kinder verstanden, scheinen ohnehin vorbei.

Über Identifikation wurde, wie zu hören ist, an der Delegiertenversammlung eifrig diskutiert. Es kamen Vorschläge wie etwa, nur Biowein oder ausschliesslich einheimische Erzeugnisse zu führen.

Alkoholverkauf wohl nur der Anfang

Andere denken ohnehin weiter als an Bier und Wein in den Regalen: Es kursieren Visionen, wie der Konzern von Grund auf reformiert werden kann. Vor einigen Jahren lancierte Bosshart mit Ex-Konzernchef Jules Kyburz ein internes Papier, das sich der Zukunft der «Idee Migros» widmet.

Zumbrunnens Vorgänger Herbert Bolliger dachte diese Woche in der «Handelszeitung» laut darüber nach, ob die Struktur mit zehn regionalen Genossenschaften auch in Zukunft sinnvoll sein kann.

Bis unter dem Zeichen des orangefarbenen M tatsächlich Berauschendes verkauft wird, bleibt sicher Zeit für weiterführende Ideen.

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