Buch über das Vierwaldstättersee-Unglück erscheint
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Braut ertrunken:Buch über das Vierwaldstättersee-Unglück erscheint

Heute vor 75 Jahren ertranken beim schlimmsten Schiffsunglück der Schweiz 20 Menschen
«Mein Opa versuchte noch, seine Braut zu retten»

Auf dem Vierwaldstättersee hat sich vor genau 75 Jahren das schlimmste Schiffsunglück der Schweiz ereignet. Jetzt hat Sämi Studer (38), Enkel des Bräutigams, der die Katastrophe überlebte, ein Buch darüber geschrieben.
Publiziert: 11.10.2019 um 23:35 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2019 um 18:10 Uhr
Der Grossvater von Journalist und Buchautor Sämi Studer hat an seinem Hochzeitstag seine Frau bei einem tragischen Schiffsunglück auf dem Vierwaldstättersee verloren.
Foto: Andrea Brunner
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Dominique Rais

1944. Der Zweite Weltkrieg tobt. Die Zeitungen kennen kaum ein anderes Thema. Doch das ändert sich nach dem 12. Oktober schlagartig. Als beim Schiffsunglück auf dem Vierwaldstättersee insgesamt 20 Menschen ihr Leben verlieren. Die Opfer gehören einer Luzerner Hochzeitsgesellschaft aus dem Entlebuch an – auch die Braut (†27) ist unter den Toten.

«Zwei Familien wurden an diesem Tag zur Hälfte ausgelöscht. Die Katastrophe hat kurzzeitig den Krieg von den Titelseiten der Schweizer Zeitungen verdrängt», sagt Sämi Studer (38), Journalist und Enkel des Bräutigams (†63), zu BLICK. Mit «Die Braut fiel mir aber ins Wasser» hat der Buchautor anlässlich des 75. Jahrestags die Schifffahrts-Katastrophe aufgearbeitet.

14 Kinder werden durch Schiffsunglück zu Vollwaisen

Der 12. Oktober 1944 ist ein schöner Herbsttag. Während im Schauspielhaus in Zürich die letzten Vorbereitungen für die Uraufführung des Dramas «Die Fliegen» von Jean-Paul Sartre laufen, versammelt sich die Hochzeitsgesellschaft aus Escholzmatt LU in der Peterskapelle am Kapellplatz in Luzern. Der damals 45-jährige Dorflehrer Gottfried Studer und die 27-jährige Weberin Pia Portmann geben sich das Jawort. Bis abends wird anschliessend im Hotel St. Niklausen in Horw LU gefeiert. Doch das Glück des frisch getrauten Paars währt nicht lange.

Auf der Rückfahrt von St. Niklausen kommt es um 20.35 Uhr zur Tragödie. Augenzeugen berichteten, dass Rudolf Müller-­Kleinmayer (†67), Kapitän des Motorboots Schwalbe, mit der 33-köpfigen Hochzeitsgesellschaft an Bord plötzlich einen Schlenker machte. Rund 70 Meter vom Ufer entfernt kracht das Passagierschiff beim Haslihorn seitlich in das Lastschiff Schwalmis, das aus Richtung Luzern kam. Mit verheerenden Folgen: 14 Kinder werden in jener Nacht zu Vollwaisen. Nur 13 Personen können gerettet werden.

Ex-Bundesrat Etter (†86) nahm an Trauermarsch teil

«Nur wenige konnten damals schwimmen, vielleicht eine Handvoll. Mein Grossvater überlebte das schlimmste Schiffsunglück der Schweiz», sagt Sämi Studer. Tragisch: «Mein Opa versuchte noch, seine Braut zu retten.» Doch als Gottfried Studer seine frisch Angetraute an Bord heben will, entgleitet sie ihm – und ertrinkt. Auch der Unfall-Kapitän Müller-­Kleinmayer stirbt beim Crash.

Das jüngste Opfer ist Marie (†7), die Nichte des Bräutigams, das älteste ist dessen Vater (†76). Unter den Toten sind zudem Nina (†61) und Marie Theres Studer (†18) – Frau und Tochter des damaligen Luzerner Nationalrats Otto Studer. 

Rund 2500 Menschen nehmen danach am Trauermarsch teil – unter ihnen auch der damalige Bundesrat Philipp Etter (†86). Erst zwölf Tage nach dem Unglück wird das letzte Opfer aus dem See geborgen.

Kapitän des Lastenkahns wird freigesprochen

Die Untersuchungsakten zeigen, dass der Fall genauestens untersucht wurde. Dennoch konnte die Schuldfrage nie restlos geklärt werden. Im Zuge der Ermittlungen aber stellte sich heraus: Der Bootsführer der Schwalbe war betrunken. Bei der Obduktion wurden bei Kapitän Müller-­Kleinmayer 0,9 Promille im Blut nachgewiesen.

Dennoch wurde eine Verurteilung des Lastschiff-Kapitäns Eduard Murer als Mitschuldigen angestrebt. Der Grund: Die Versicherung des Unfallkapitäns wollte einen Teil der Kosten so auf jene von Murer umwälzen – ohne Erfolg. Er wurde freigesprochen. Wie hoch die Versicherungssumme war, die an die Hinterbliebenen ausgezahlt wurde, wurde allerdings nie bekannt.

«Das Unglück wurde in meiner Familie zum Tabu-Thema»

Nur wenige Monate nach der Katastrophe lernte der von Trauer gezeichnete, verwitwete Bräutigam Gottfried Studer am Grab seiner ersten Frau Pia seine zweite Frau Agatha (†69) kennen. Zwei Jahre später heirateten sie. «Meine Grossmutter war die Einzige, mit der er über das Unglück sprach.»

Die Schiffs-Katastrophe hinterliess bei Gottfried Studer seine Spuren. «Mein Grossvater fuhr nie mehr auf den See raus. Immer im Herbst kam bei ihm alles wieder hoch. Dann hat er wieder mehr getrunken», sagt sein Enkel. 

«Das Unglück wurde in meiner Familie zum Tabu-Thema, weil man nicht daran erinnert werden wollte», sagt Sämi Studer weiter. Inzwischen sind alle Überlebenden von damals gestorben. «Deshalb soll die Tragödie aber nicht in Vergessenheit geraten.»

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