Historiker trübt die Stimmung vor der Kunsthaus-Eröffnung
Schöne Kunst dank dreckiger Geschäfte

Bald öffnet das Zürcher Kunsthaus die neue Erweiterung. Zu sehen ist dort die Sammlung des Waffenproduzenten Emil G. Bührle. Historiker Erich Keller zeigt in einem Buch nun: Bührle wurde durch Nazi-Geschäfte und Zwangsarbeit reich. Ist es legitim, die Bilder zu zeigen?
Publiziert: 25.09.2021 um 18:29 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2021 um 22:47 Uhr
Bald eröffnet der neue Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses. Über deren Inhalt ist eine Kontroverse entbrannt: Darf man die Bilder der Bührle-Sammlung zeigen?
Foto: Siggi Bucher
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Rebecca Wyss

Leiber bäumen sich auf, Gesichter sind voller Schmerz. Die Menschen auf dem schwarzen Bronze-Portal, dem «Höllentor», sind zwar stumm, schreien ihr Elend aber mit jeder Geste heraus. Passend zu den Umständen, unter denen der Abguss des Prestige-Objekts von Auguste Rodin entstand. Nur neun gibt es davon. Und nur wegen eines Mannes gehört das Kunsthaus zu den wenigen Besitzern: Emil G. Bührle (1890–1956). Der Industrielle, der die Nazis mit Kanonen fütterte. Er schenkte dem Haus das Werk, das früher einmal für Hermann Göring, für das «Führermuseum» in Linz bestimmt gewesen war.

Bührles dunkle Vergangenheit zieht sich wie ein langer Schatten über Zürich, über die ganze Schweiz. In zwei Wochen öffnet der neue Kunsthaus-Erweiterungsbau, in dem die rund 200 Werke der Bührle-Sammlung gezeigt werden. Für den Bau heuerte man den Stararchitekten David Chipperfield an, wendete 206 Millionen Franken auf. Jetzt will man feiern.

Doch nun trübt ein Mann die Stimmung: der Historiker Erich Keller. Er steht mit uns vor dem «Höllentor». Gerade hat er sein Buch «Das kontaminierte Museum» vorgelegt. Die Kernaussagen: Die Bührle-Sammlung sei historisch belastet. Wegen Nazi-Geschäften, Zwangsarbeit und Werken, die Juden anlässlich ihrer Flucht verkaufen mussten. Die Kritik: Trotz all dem wolle die Stadt die Bilder zeigen, um sich international als Kulturmetropole zu etablieren.

Ein einzelner Historiker legt sich mit den mächtigen Institutionen an, mit der Stiftung Bührle, dem Kunsthaus, der Stadt Zürich. Was ist sein Ziel? Die Ausstellung sabotieren?

«Nein», sagt Keller. Er habe die Geschichte der Sammlung Bührle aufarbeiten wollen, unbefangen. Man müsse darüber nachdenken, wie wir mit dem Namen Bührle umgehen wollten. «Es kann nicht sein, dass er in zwanzig Jahren nur noch für Kunst steht und alles andere vergessen ist.»

Weltkriegsvergangenheit nicht aufgearbeitet

Kellers Buch wirft Wellen. Schweizer und deutsche Medien wie der «Spiegel» berichten darüber. Und über den Umgang der Schweiz mit Raubkunst. Die Debatte stellt eine Frage wie einen Elefanten in den Raum: Ist es legitim, Bilder mit einem solchen historischen Erbe zu zeigen? Darüber hinaus: Wo steht unser Land bei der Aufarbeitung seiner Weltkriegsvergangenheit?

Der emeritierte Geschichtsprofessor Jakob Tanner sass in der Bergier-Kommission. Er sagt: «Die Schweiz hat ein Problem mit dem Zweiten Weltkrieg, es gibt auch zwanzig Jahre nach dem Bergier-Bericht ein Nichtwahrhabenwollen von Zusammenhängen.» Das zeige die aktuelle Debatte. Er sagt auch: Bührle machte seine Geschäfte in einem weiteren Kontext, er verfügte über gut funktionierende Netzwerke auf allen Ebenen.

Fest steht: Bührle ist nicht der einzige Übeltäter. Sein Name, seine Profite sind eng mit der Eidgenossenschaft verflochten.

Und das seit dem Zweiten Weltkrieg. Bührles Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO) versorgte erst Nazi-Deutschland, danach die Amerikaner im Koreakrieg mit reichlich Waffen. Allein in den Weltkriegsjahren verzwanzigfachte sich sein Vermögen auf rund 171 Millionen Franken. Die Schweiz verdiente mit: 100 Millionen Franken Steuern zahlte er in den letzten Kriegsjahren. Die Schweiz förderte die Geschäfte sogar. Durch sogenannte «Clearingkredite», die sie an Nazi-Deutschland und das faschistische Italien vergab.

Er profitierte von hiesiger Zwangsarbeit

Bührle profitierte auch von Zwangsarbeit. Im deutschen Rüstungswerk Ikaria liessen die Nazis Frauen aus einem Konzentrationslager schuften. Bührle war Lizenzgeber, verdiente an jeder Kanone. Ähnliches enthüllte der «Beobachter» kürzlich für die Schweiz (siehe Kasten). Auch hier: Die Behörden halfen mit.

Bührle und die Zwangsarbeit in der Schweiz

Im August machte der «Beobachter» publik: Hunderte Mädchen mussten in der Nachkriegszeit gegen ihren Willen in einer Fabrik von Emil G. Bührle im Toggenburg arbeiten. Bührle besass in Dietfurt SG ab 1941 eine Spinnerei mit Mädchenheim. Fürsorgebehörden aus der Deutschschweiz – insbesondere jene aus Zürich – liessen in diesem Heim angeblich schwer erziehbare Mädchen internieren – und zu Hungerlöhnen arbeiten. Sie waren zwischen 16 und 20 Jahre alt und nach damaligem Recht minderjährig.

Im August machte der «Beobachter» publik: Hunderte Mädchen mussten in der Nachkriegszeit gegen ihren Willen in einer Fabrik von Emil G. Bührle im Toggenburg arbeiten. Bührle besass in Dietfurt SG ab 1941 eine Spinnerei mit Mädchenheim. Fürsorgebehörden aus der Deutschschweiz – insbesondere jene aus Zürich – liessen in diesem Heim angeblich schwer erziehbare Mädchen internieren – und zu Hungerlöhnen arbeiten. Sie waren zwischen 16 und 20 Jahre alt und nach damaligem Recht minderjährig.

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Bührle stieg so zum reichsten Schweizer auf. Kaufte im grossen Stil Kunst, 633 Werke von Künstlern von Weltformat, darunter Monet, Renoir und Cézanne. Ein Drittel davon gehört heute zur Bührle-Stiftung, zwei Drittel zum Privatbesitz der Familie.

Bloss: Der Name Bührle ist eine Hypothek. Das färbt auf die Werke ab. Ausstellungen im Ausland zeigten das. Die «New York Times» fragte einmal kritisch, warum man die Bührle-Sammlung überhaupt noch zeige.

Nun kann die Familie aufatmen, die Werke der Stiftung sind als Dauerleihgabe im Erweiterungsbau versorgt. Überhaupt bleibt in der Schweiz die Empörung aus. 2012 entschied sich das Zürcher Stimmvolk für den Bau. Bedingungslos. Anders rund zehn Jahre zuvor. Als der Kunstsammler Friedrich Christian Flick in Zürich ein Museum bauen wollte, stiess er auf Widerstand. Sein Grossvater war in NS-Zwangsarbeit verwickelt. Enkel Flick sollte nun einen Geschädigten-Fonds mitfinanzieren, er lehnte ab.

Warum ist man mit Bührle nachsichtiger?

Unbestritten ist: Zürich und Kunsthaus profitieren von ihm. Er machte Schenkungen, spendierte dem Museum in den Fünfzigern einen Anbau – den Bührle-Saal. Und jetzt der Erweiterungsbau, finanziert auch mit Geld der Familie.

Vorwurf: Stadt schaue weg

Erich Keller blickt im Kunsthaus auf Bührle, der in Stein gehauen süffisant vor sich hin lächelt. Der Historiker sagt: «Der Anbau verschaffte dem Kunsthaus national Bedeutung, mit dem Chipperfield-Erweiterungsbau steigt es nun in die europäische Topliga der Museen auf.» Und das sei das Ziel Zürichs. Prestige. Im Standortwettbewerb der Städte. «Dafür sah man über Bührles Vergangenheit hinweg.»

Stadtpräsidentin Corine Mauch widerspricht. Auf Anfrage sagt sie: Das neue Kunsthaus sei eine «grosse Chance für die Kulturstadt Zürich». «Die Sammlung Bührle abzulehnen, könnte heissen, dass Zürich sich der Verantwortung entzieht und keinen Beitrag zur Debatte leisten will.» Man wolle, dass die Museumsbesucher spüren, dass Zürich sich kritisch mit dem Thema auseinandersetze.

2017 gab man bei der Universität Zürich eine historische Studie in Auftrag, die dies tut. Die Provenienzforschung, welche die Herkunft der Bilder klärt, übernahm der Direktor der Bührle-Stiftung. Die Ergebnisse seien Teil eines Dokumentarraums neben der Ausstellung, heisst es.

Keller war als Historiker an der Uni-Studie beteiligt. Stieg aber aus, weil die Auftraggeber in die Forschungstätigkeit eingriffen. Die «Wochenzeitung» machte den Fall publik. Tritt Keller nun mit dem Buch nach?

Er schüttelt den Kopf, sagt: «Hätte ich mich nicht zur Wehr gesetzt, wäre die Sache nicht an die Öffentlichkeit gekommen.»

Befangene Provenienzforschung

Für Keller ist die Provenienzforschung «befangen». Die Sammlung enthalte Kunst, die Juden wegen der NS-Verfolgung verkaufen mussten. Fluchtgut. Diese müsse an die Nachkommen restituiert werden. Ähnliche Vorwürfe erhoben Historiker bereits 2015 im Buch «Schwarzbuch Bührle».

Ein Gemälde rückt Keller besonders in den Fokus: «Paysage» von Paul Cézanne. Die Vorbesitzer, das jüdische Ehepaar Nothmann, mussten 1939 Deutschland verlassen. Um später für ihren Lebensunterhalt aufkommen zu können, verkaufte Martha Nothmann den Cézanne. Das erwähnte sie in einem Brief. Kellers Vorwurf: Die Bührle-Provenienzforschung unterschlage den Verfolgungsdruck. Zitiere falsch aus dem Brief. Der Direktor der Bührle-Stiftung, Lukas Gloor, will die Vorwürfe nun prüfen, wie er auf Anfrage sagt. «Sollte sich seine Behauptung als richtig erweisen, werden wir die Stelle im Provenienz-Bericht umgehend korrigieren.»

Dass Bührle auch Raubkunst kaufte, unwissentlich angeblich, ist bekannt. 13 Werke musste er an die jüdischen Besitzer zurückgeben, neun davon erwarb er wieder. Lukas Gloor schreibt zudem: Fünf der Bilder der Bührle-Sammlung, die dieser auf dem Schweizer Markt erstand, seien Fluchtgut. Bei weiteren acht erlaube der derzeitige Kenntnisstand keine Aussage. In Kunsthistoriker-Kreisen geht man von höheren Zahlen aus.

Unklar ist, wie viele der rund 400 Bilder der Familien-Privatsammlung Raubkunst oder Fluchtgut sind. Sie sind nicht Teil der Provenienzforschung.

Die Frage bleibt: Darf man die Bilder zeigen?

Der Historiker Jakob Tanner bejaht. Aber: «Alle ungeklärten Fälle müssen von unabhängigen Experten untersucht werden.» Er fordert: Die Ergebnisse der Bührle-Studie der Uni Zürich müssen mehr Resonanz finden. Sonst findet das Thema nicht ins kollektive Gedächtnis der Schweiz.

Und was sagt Keller?

«Eine solche Sammlung, finanziert mit Geldern aus Waffenhandel und Zwangsarbeit, sollte man in dieser Form nicht zeigen.»

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