Im Schlaflabor Bad Zurzach AG bleibt nichts im Verborgenen
«Gute Nacht, Herr Aeschi!»

1280 Menschen kommen jährlich in die Schlafklinik. Sie sind erschöpft, manchmal depressiv, einige vor lauter Müdigkeit sogar Unfallfahrer. Beenden soll ihr Leiden eine Nacht im Schlaflabor.
Publiziert: 14.05.2017 um 20:19 Uhr
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Aktualisiert: 06.10.2018 um 22:00 Uhr
Aline Wüst (Text) und Siggi Bucher (Fotos)

Vier schlafen schon. Einer wälzt sich noch. Alle Schnarchmikrofone sind auf Sendung. In den fünf Schlaf­labors der Klinik für Schlafmedizin in Bad Zurzach AG liegt je ein Patient im Bett. Alle haben Mikrofon und Elektroden am Körper. Die messen Hirnströme, Augenbewegungen, Atmung, Muskelspannung und verwandeln Körperfunktionen in Kurven auf Bildschirmen. Eine Infrarotkamera sendet live vom Bett. Diese Nacht bliebt nichts im Verborgenen.

Lautsprecher übertragen das Schnarchen

Pfleger Domenic Hafner (30) sitzt vor den Bildschirmen im Kontrollraum. Es ist kurz nach 23 Uhr. Der Raum liegt gleich neben den Schlaflabors. Aus drei Lautsprechern schnarcht es bereits. Hafner will es genauer hören, dreht ­einen Lautsprecher auf. Atmen. Regelmässig. «Herr Aeschi schläft bereits.»

Toni Aeschi (73), vierfacher Grossvater aus Lupfig AG, hat ein Problem im Schlaf. Bis zu eineinhalb Minuten am Stück atmet er nachts nicht. Wegen der sogenannten Schlaf­apnoe trägt er seit 20 Jahren eine Atemmaske. Aeschis Ehefrau hat das Problem früh bemerkt. Zum Arzt ging er aber erst, als er vor Müdigkeit mit dem Auto Schlangenlinie fuhr – ohne es zu bemerken. Diese Nacht wird ein intensiverer Druck für seine Atemmaske getestet. Deshalb muss Aeschi ins Schlaflabor. Nur so kann er in Zukunft gefahrlos schlafen.

Toni Aeschi (73) aus Lupfig AG ist Patient im Schlaflabor.
Foto: Siggi Bucher
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Eine Nacht im Labor kann alles verändern

Ab 19 Uhr treffen die Patienten in der Schlafklinik ein. Die beiden Pfleger begleiten sie ins Zimmer. Aeschi hat sein eigenes Kissen mitgenommen. Zwei Minuten nach dem Eintritt steht er in T-Shirt, Boxershorts mit Fila-Socken in Finken auf dem Gang. Pfleger Dominic Hafner wird ihn nun bettfertig machen. Das ist in der Schlafklinik aufwendiger als zu Hause. Insgesamt 19 Elektroden müssen am Körper angebracht werden. Hafner sucht die Stellen am Kopf. Mit einem Peeling raut er die Haut auf, damit sie besser haften. Um kurz vor zehn sind bei allen Patienten alle Elek­troden angebracht. Sie warten nun auf die Müdigkeit.

Manchmal verändert diese Nacht alles: Chefarzt Jens Acker (44) erzählt von einem Mann, der jahrelang wegen Depressionen behandelt wurde. Seine Frau, die seit 40 Jahren Nacht für Nacht neben ihm liegt, bemerkte keine Auffälligkeit an seinem Schlaf. Die Auswertungen des Schlaflabors zeigten: Der Mann hatte nachts schwere Atemaussetzer und starke Beinbewegungen – und seine Frau wohl schlicht einen tiefen Schlaf. Die Störung konnte behandelt und die Antidepressiva konnten abgesetzt werden.

Schlaflose, Schlafwandler und Schnarcher

In den Betten des Schlaflabors liegen Schlaflose, Schlafwandler und Schnarcher. Ihre Betten wollen ihnen aber immer häufiger ganz unauffällige Schläfer streitig machen. Es sind Leute, die bei Chefarzt Acker im Sprechzimmer sitzen, ihm Auswertungen zu ihrem Schlaf vorlegen. Vermessen haben sie sich mithilfe von Smartphone-Apps – Herzschlag, Atemfrequenz und Schlafrhythmus. Nun glauben sie, krank zu sein, wollen ins Schlaflabor. Acker merkt schon bei der Befragung: Da ist alles normal und schickt sie heim zum Schlafen. Denn wer sich tagsüber fit fühle, brauche sich keine Gedanken um den Schlaf zu machen, sagt er.

Sorgen macht dem Schlafmediziner hingegen, was seit drei Jahren immer häufiger über die Bildschirme des Kontrollraums flimmert: Smartphones, die um zwei Uhr nachts surren. Patienten, die automatisch danach greifen, Nachrichten lesen, Antworten tippen. «Wenn die Leute das im Schlaflabor tun, was tun sie erst zu Hause?», fragt sich Acker.

Schlafen unter Beobachtung

Toni Aeschi gähnt. Er fragt Pfleger Hafner, ob die Elektrode an seinem Kinn noch haftet. Sie hält. Aeschi sitzt auf der Bettkante, barfuss. Kabel werden an Elektroden befestigt, Brust- und Bauchgurt angezogen. Zum Schluss deckt der Pfleger Aeschi zu. Er schliesst die Türe, geht in den Kontrollraum. Von dort gibt er Aeschi Anweisungen: Augen öffnen, laut schnarchen, auf die rechte Seite drehen. Er kontrolliert so, ob alle Elektroden funktionieren. Alles gut. «Gute Nacht, Herr Aeschi!»

Die Nachtwache ist eingetroffen. Hafner sitzt noch vor den Bildschirmen, beobachtet Kurven, macht Notizen. Ein Frau dreht sich im Bett, ein Mann atmet nicht mehr. Nach einer Weile ein lauter Schnarcher: Die Atmungskurve setzt wieder ein. Schon kurz vor Mitternacht ist damit ein Grund für die tägliche Müdigkeit des Patienten gefunden: Schlafapnoe. Toni Aeschi schläft gleich auf dem Bildschirm daneben. Er hat die Decke bis zum Kinn hochgezogen, realisiert in diesem Moment nicht mehr, dass ihm gerade vier Menschen beim Schlafen zuschauen.

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