Isolationshaft verhängt und Kunstaktion subventioniert
Spagat der Zürcher Regierung im Fall «Carlos»

Eine Künstlergruppe lanciert am Dienstag eine Aktionsreihe für «Carlos» beziehungsweise Brian. Subventioniert wird sie von Jacqueline Fehrs Departement – das gleichzeitig dessen Isolationshaft verantwortet.
Publiziert: 19.09.2021 um 09:12 Uhr
Reza Rafi

Es ist beeindruckend, wie viele verschiedene Universen der als «Carlos» bekannt gewordene Pöschwieshäftling Brian K. schon durchquert hat: die eiskalte Juristensprache der Staatsmacht, die schrillen Schlagzeilen der Medienwelt, die fürsorgliche Wärme seiner Betreuer, die sibyllinischen Suren des Koran, die abgeklärt-analytische Schärfe seiner Verteidiger – und jetzt auch noch der soziokulturelle Slang der Zürcher Kunstszene. Seit geraumer Zeit umgarnt diese den Delinquenten, der seit acht Jahren in den Fängen der Justiz steckt und mithilfe prominenter Anwälte gegen seine Isolationshaft kämpft.

«Big Dream» heisst der Instagram-Account, auf dem Aktivisten Briefe des tragischen Insassen veröffentlichen. Nun wird am Dienstag, an Brians 26. Geburtstag, das ganz grosse Stück vorgestellt: «#Bigdreams, ein Medientheater in fünf Akten» steht im 19-seitigen Gesuchsdossier, das SonntagsBlick vorliegt.

An der Seite der Truppe namens «U-Kollektiv» steht das Theater Neumarkt. Das Social-Media-Konto und Brians Auftritt sind nur der erste Akt. Der zweite geht so: Brian will – Achtung Kunst – die Zeitung Blick kaufen, die wie der SonntagsBlick zum Ringier-Verlag gehört. Dazu muss er zuerst das «Label» seines spanischen Pseudonyms zu Geld machen, das ihm SRF einst verlieh.

Brian aka Carlos in seiner Zelle in der JVA Pöschwies.
Foto: SRF
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Ein offenes Geheimnis

Obwohl im internen Briefing auf Vertraulichkeit gepocht wird, ist das ganze Vorhaben in der Bubble längst ein offenes Geheimnis. Die Macher hoffen auf medialen Wirbel: Man sehe «die provozierten Reaktionen der Massenmedien (vor allem des Blicks) als Teil des Theaters als Kunstkampagne», steht im Schlachtplan. «Die Massenmedien werden zu Figuren im Stück.»

Danach soll eine Debatte um die Haftpraxis in der Schweiz angestossen werden: Wofür Brians neue Freunde dessen Zelle originalgetreu als «Mahnmal» nachbauen wollen. Und weil er gerne Boxer geworden wäre, soll das Theater Neumarkt flugs in einen Boxring verwandelt werden. Im Duktus der Kreativen tönt das so: «Mit verschiedenen diskursiv-performativen Formaten wird Brians Schicksal vertieft in verschiedene gesellschaftliche Kontexte gestellt.»

In der Pipeline sind Podien, Talks, Performances, ein Hochglanzheft sowie Songs von Rapperin Big Zis und anderen. Der Höhepunkt beziehungsweise fünfte Akt besteht – Trommelwirbel – im Druck von Fake-Blick-Ausgaben. Inklusive Kalauer aus der Wortspielhölle: Der soll dann «Sick» heissen (engl. für krank).

Unfreiwillige Pointe

Die Aktion – böse Zungen reden von einer Mischung aus Schlingensief-Abklatsch und ZHDK-Diplomarbeit – liefert noch eine unfreiwillige Pointe: Sie wird mit 20'000 Franken von der kantonalen Fachstelle Kultur unterstützt. Die Behörde ist der Justizdirektion von SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr unterstellt – jenem Departement also, dem auch das Amt für Justizvollzug angehört. Das wiederum ebendiese Haftbedingungen verantwortet, die das Künstlerkollektiv ins Visier nimmt.

Ein Sprecher Fehrs bestätigt die Summe gegenüber SonntagsBlick und sagt, dass man begrüsse, wenn die Kultur sich gesellschaftlichen Themen widme, wozu auch die Strafjustiz gehöre.

Brian ist im Interesse aller Beteiligten zu wünschen, dass er bei seiner künftigen Wiedereingliederung in die Gesellschaft von der Aktion profitiert. Und nicht bloss zum Maskottchen einer selbstreferenziellen Show wird.

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