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Jetzt redet der geschasste Herzchirurg Francesco Maisano
«Sicher werde ich weiter operieren»

In der Herzklinik-Affäre hat sich das Zürcher Unispital von Francesco Maisano getrennt. Mit dem SonntagsBlick spricht er über seinen Nachfolger, den Whistleblower und eine Rückkehr nach Italien.
Publiziert: 05.09.2020 um 23:00 Uhr
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Aktualisiert: 20.03.2021 um 19:46 Uhr
Interview: Reza Rafi

Die Ära Maisano ist seit Donnerstag Geschichte. Das Zürcher Universitätsspital (USZ) und der Direktor der Herzchirurgie haben sich nach langem Ringen getrennt. Ein Mitarbeiter erhob gegen Francesco Maisano 2019 massive Vorwürfe: Beschönigung von wissenschaft­lichen Resultaten, Berei­cherung durch unnötige ope­rative Eingriffe, Irre­führung von Patienten und Gesundheitsbehörden.

Im Frühjahr landete das Dossier bei den Tamedia-Zeitungen, die eine Kaskade bissiger Artikel gegen den Italiener veröffentlichten.
Es folgte ein unabhän­giges Rechtsgutachten mit der Entlastung in wesentlichen Punkten. Vor allem seien Patienten nie gefährdet worden. Doch offene Fragen blieben, ­mutmassliche Verfehlungen werden noch untersucht. SonntagsBlick traf Maisano in Zürich – einen gefassten, aber müden Mann.

Sie verkörpern in der Öffentlichkeit derzeit alle Vorurteile über Ärzte: Sie seien geldgierig, eitel, intrigant. Eine schöne Bürde.
Francesco Maisano: Der Vorwurf der Geldgier verletzt mich am meisten. Ich bin Mediziner. Aber als ­Direktor einer grossen ­Klinik war ich auch ein CEO, ein Unternehmer. Und Lehrer, Forscher, Entwickler.

Francesco Maisano im Büro seiner Zürcher Kommunikationsberater.
Foto: Valeriano Di Domenico
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Sie entwickeln Produkte, an denen Sie als Arzt mitverdienen, sobald Sie diese einsetzen.
Meine Interessenbindungen sind ein Teil meiner Karriere. Ich arbeite seit 20 Jahren auf diesem Gebiet, in dem es grosse Entwicklungen gab. Natürlich habe ich in dieser Zeit verschiedene Erfolge gefeiert – auch finanzielle. Ich habe medizinische Produkte erfunden, die heute angewandt werden. Gerade wegen meiner Erfindungen holte man mich man ja ans USZ! Es ist traurig, sagen zu müssen, dass dies nun auch der Grund dafür ist, sich von mir zu trennen. Jetzt heisst es: Er macht Geld! Aber es ging mir nie ums Geld. Ich hatte diverse Angebote aus der Privatwirtschaft abgelehnt, mit denen ich massiv mehr hätte verdienen können. ­Einer meiner leitenden ­Ärzte hat letzthin zu einer Privatklinik gewechselt. Dort operiert er vielleicht ­ein Drittel der Fälle, aber verdient rund das Doppelte von dem, was ich verdiente.

Geldsorgen haben Sie aber keine, oder?
Ich bin nicht so reich, wie «Inside Paradeplatz» fabuliert. Die Vorstellung, dass ich ein Multimillionär sei, ist schon komisch. Klar, ich habe in den sieben Jahren in Zürich gut verdient. Davon habe ich das meiste in unser Haus investiert. Die vielen Untersuchungen gegen mich gehen mir jedenfalls an die Ressourcen.

Wie viel erhalten Sie für Ihren Abgang?
Über den Inhalt der Auf­hebungsvereinbarung darf ich nichts sagen. Nur so viel: Es ist viel, viel weniger, als wohl alle denken. Natürlich muss man bei einer solchen Lösung immer Abstriche machen.

Bewerten Sie Ihre Zeit in Zürich als erfolgreich?
Klar.

Haben Sie keine Fehler gemacht?
Sicher. Als Mediziner bin ich der grösste Kritiker meiner eigenen Arbeit. Das ist die Basis für Erfolg. Wenn ich zurückschaue, habe ich aber keine Entscheide gefällt, die ich heute in der gleichen Situation anders fällen würde. In den letzten zwei Jahren habe ich nur einen grossen Fehler gemacht: den falschen Leuten vertraut.

Zur Person

Der Italiener Francesco Maisano wurde 1966 ­geboren und wuchs in Rom auf. Dort studierte er Herzchirurgie und schloss unter anderem an der ­Università La ­Sapienza ab. Spätere Stationen ­waren Birmingham (USA), Turin und Mailand. 2013 wurde er als leitender Arzt an das Universitätsspital ­Zürich berufen, wo er 2014 zum ordentlichen Professor und Direktor der Klinik für Herz­chirurgie ernannt wurde. Maisano ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Der Italiener Francesco Maisano wurde 1966 ­geboren und wuchs in Rom auf. Dort studierte er Herzchirurgie und schloss unter anderem an der ­Università La ­Sapienza ab. Spätere Stationen ­waren Birmingham (USA), Turin und Mailand. 2013 wurde er als leitender Arzt an das Universitätsspital ­Zürich berufen, wo er 2014 zum ordentlichen Professor und Direktor der Klinik für Herz­chirurgie ernannt wurde. Maisano ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

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Sie meinen den Whistleblower?
Ich habe eine gewisse Ab­neigung, über ihn zu reden. Er ist ein Chirurg mit ... (überlegt) mit einer inte­ressanten Konstellation. Als Mitarbeiter habe ich ihm ­geholfen. Ich dachte, ich tue alles, um seine Karriere zu unterstützen, habe ihn zum leitenden Arzt befördert und ihm volle Handlungsfreiheit gegeben. Dann kam irgendwann der Punkt, an dem er glaubte, er sei ein besserer Chirurg, als er tatsächlich ist.

Die Spitalleitung spricht von einem «zwischenmenschlichen Konflikt».
Es kam zu Missverständ­nissen und mangelnder Transparenz. Aber das so­genannte Whistleblowing war eine schlechte Art zu kommunizieren. Er hatte über Jahre viele Gelegenheiten, konstruktive Zweifel anzubringen. Ich befür­worte die Haltung, dass man seine Stimme erhebt.

Kam es am Arbeitsplatz je zu einer offenen Konfrontation?
Nein, denn er war mir gegenüber nie ehrlich. Er ­entschied, Vorwürfe zu ­konstruieren und an die ­Öffentlichkeit zu gehen.

Sie sind sich also keiner Schuld bewusst. Wie hält man dann so viele Artikel gegen einen aus?
Manche Journalisten machen mir willkürlich alles Mögliche zum Vorwurf: ­Inkaufnahme von Todes­fällen, Misswirtschaft, Fälschungen, fehlende wissenschaftliche Integrität, Interessenkonflikte. Als Patient hätte ich kein Vertrauen mehr in Maisano. Das Ziel dieser Kampagne war doch klar: Maisano muss weg!

Sie wiegeln ab. Es laufen diverse Untersuchungen gegen Sie. Sie sollen zum Beispiel negative Resultate in Forschungsberichten unterschlagen haben.
Man braucht zwei Minuten, um einen Vorwurf niederzuschreiben. Aber es braucht Monate, um die Unschuld von jemandem zu beweisen. Mein Anwalt und ich haben gezeigt, dass auch der von Ihnen erwähnte Vorwurf unhaltbar ist. Es ging um ­einen Drahtbruch, der in ­einem Film nicht dokumentiert wurde, der aber me­dizinisch absolut irrelevant ist. Auch der Vorwurf, dass ich Interessenbindungen unterschlagen habe, ist nicht haltbar. Nochmals: Vielleicht habe ich Fehler gemacht, aber nur im Bereich Administration.

Eine Patientenschützerin hat Sie wegen fahrlässiger Tötung angezeigt – Sie sollen den Tod eines Patienten verantworten.
Ich habe mich immer auch um komplexe Hochrisikofälle gekümmert, welche an­dere gar nicht operieren wollen. Patienten retten, nur darum geht es mir. Nun kann jeder aus meinen sieben Jahren am Unispital die Todesfälle sammeln. Es sind leider nicht wenige. Ich habe in meiner Zeit in Zürich rund 1500 Eingriffe gemacht. Wer will, kann bei jedem ­Patienten eine falsche Entscheidung finden.

Also alles bestens?
Glauben Sie mir: Als Chi­rurg erinnere ich mich an ­jeden einzelnen Fall, bei dem etwas schiefgelaufen ist. Auch an jenen im «Tages­Anzeiger». Nimmt ein Fall ein tragisches Ende, kann ich danach nächtelang nicht schlafen. Es war meine Entscheidung in jener Situation, eine zweite Herzklappe zu flicken. Ich hatte danach ­Gespräche mit der Familie des Patienten, mit Kollegen und Mitarbeitern. Es war furchtbar! Wenn ich dann sehe, dass ein solcher Fall in den Medien gegen mich ­benutzt wird, schmerzt mich das sehr.

Hat die Anzeigenerstat­terin je mit Ihnen geredet?
Nein, nie. Ich bin auch nicht sicher, ob es in die­ser ­ganzen Auseinander­setzung wirklich um den Patientenschutz geht. Sobald ich dazu komme, werde ich ein Buch über diese Geschichte schreiben.

Paul R. Vogt, Ihr Nach­folger als Klinikdirektor, soll der «NZZ am Sonntag» gesagt haben, dass in der Herzchirurgie rund eine Million Franken Ver­sicherungsgelder unrecht­mässig bezogen worden seien. «Die Fakten liegen auf dem Tisch», wird er zitiert.
Ich kann und will nichts Schlechtes über Professor Vogt sagen. Sein einziges Problem ist, dass er offenbar sehr viel mit Journalisten ­ redet (lacht). Im Ernst: Er steht vor einer grossen ­Aufgabe am Unispital, er muss dort jetzt aufräumen und für Ruhe sorgen.

Was sagen Sie zum mutmasslichen Fehlbetrag?
Ich kenne diese Vorwürfe erst aus den Medien. Ich habe darüber mit meinem Key Account Manager diskutiert. Vielleicht ist das eine administrative Angelegenheit, womöglich wurden Dienstleistungen automatisch verrechnet, die nicht hätten automatisch verrechnet werden sollen. Das muss alles erst abgeklärt werden.

Kennen Sie Ihren Nach­folger Vogt eigentlich persönlich?
Er hat mit mir viele ­Jahre als Belegarzt zusammen­gearbeitet. Wir haben auch über mögliche gemeinsame Forschungsprojekte geredet. Aber es geht um das Unispital. Davor habe ich grossen Respekt. Umso bedauerlicher ist der ent­standene Schaden für die Institution.

Ganz generell, unabhängig von der Person Vogt: Ist es ideal, wenn ein Klinikdirektor nebenbei noch bei einer Privatklinik angestellt ist?
Grundsätzlich erachte ich das als falsch. Das Unispital braucht jemanden, der sich hundertprozentig einsetzt. Ich habe grosse Sorge um meine ehemaligen Mitar­beiter. Sie haben Angst, dass künftig jeder Fehler in den Medien landet.

Ihr Berufsstand hat zurzeit eine ziemlich schlechte Presse. Liegt das nicht auch an den falschen monetären Anreizen im System?
Diese Frage müssen Poli­tiker beantworten. Aber glauben Sie mir: Jeder Chirurg arbeitet hart. Und wenn ich einen Rechts­anwalt engagiere, kostet der mich mehr als ein Chirurg. Ich arbeite ge­fühlte 25 Stunden pro Tag. Wochenenden gibt es keine. Ein Herzchirurg steht enorm unter Druck. Dazu müssen und wollen wir forschen, lehren, ausbilden. Wie jetzt diese Branche kriminalisiert wird, akzeptiere ich nicht. Wissen Sie, wie viel ein Klinikdirektor zusätzlich verdient?

Sagen Sie es uns.
Der Lohnunterschied zwischen einem leitenden Arzt und einem Klinikdirektor sind tausend Franken. Die Frage lautet doch: Wenn in den Privatkliniken so viel verdient wird, steckt dann womöglich zu viel Geld im System? Und wo fliesst­ dieses hin?

Wollen Sie in der Chirurgie bleiben?
In der Schweiz ist meine Persönlichkeit schwer verletzt worden. Aber ich habe ein internationales Netzwerk, das mich unterstützt. Die Schweiz sollte meinen Fall studieren – was hier ­geschieht, ist eine Krimi­nalisierung der Innovation. Das gab es schon einmal vor vierzig Jahren, als das damalige Zürcher Kantonsspital mit Andreas Grüntzig …

... einem berühmten deutschen Kardiologen ...
... international führend war. Die ganze Welt kam nach ­Zürich. Bis andere Direk­toren gegen Grüntzig zu ­arbeiten begannen, worauf er sich entschied, Zürich in Richtung USA zu verlassen.

Sie vergleichen sich mit Andreas Grüntzig?
Nein. Aber viele haben mir gesagt: Jetzt haben wir erstmals seit Grüntzig wieder einen Innovator in Zürich. Wir haben Zürich kardiologisch wieder in die Mitte Europas gebracht. Der Standort Zürich ist aber für Innova­toren nicht einfach. Das tut mir weh, gerade für Zürich.

Wie meinen Sie das?
Ich bin in Rom aufgewachsen. In meiner Kindheit gab es in der Vatikanstadt die Schweizer Apotheke. Alle wussten: Wenn dir ernsthaft etwas fehlt, musst du zur Schweizer Apotheke. Dort gibt es immer die neusten und besten Medikamente. Später, als ich Herzchirurgie studierte, war klar, wo ich hinwill: nach Zurigo. Dorthin, wo Koryphäen wie Åke Senning und Marko ­Turina wirkten.

Nun ist das Kapitel Zürich beendet. Werden Sie wieder operieren?
Sicher werde ich weiter ­operieren. Wieso nicht? Das ist meine Berufung. Vielleicht gehe ich nach Italien zurück, wo ich weniger ­ verdienen würde. Das Salär ist nicht mein Interesse. Mein Beruf ist, Patienten zu retten.

Der Preis dieser Affäre ist hoch

Mit dem Schritt, sich von Maisano und dem Whistleblower zu trennen, versucht das Universitätsspital Zürich (USZ) einen Neuanfang. Was als öffentliche Kritik am ­Direktor der Herzchirurgie begann, artete zu einer Schlammschlacht aus. Mit einem hohen Preis: Es ­hagelte Strafanzeigen in alle Richtungen. Eine zeitweise überfordert wirkende Spitalleitung spricht von einem «zwischenmenschlichen Konflikt» – dass der Hinweisgeber intern selber umstritten ist, bestätigen Rückmeldungen aus der Belegschaft. Neben seiner Tätigkeit als ­leitender Arzt ist er in der Security-Branche aktiv. Spitalratspräsident Martin Waser hat am Donnerstag betont, dass man sich von ihm nicht aufgrund des Whistle­blowings trennen will, sondern ­wegen «unterschiedlicher Vorstellungen» und fehlenden Vertrauens.
Von eingekehrter Ruhe am USZ kann indes keine Rede sein. Die «Weltwoche» machte eine Straf­anzeige gegen Maisanos Nach­folger Paul R. Vogt und gegen die Spitalleitung wegen fahrlässiger Tötung im Zusammenhang mit ­einer Operation publik. Die Anzeigenerstatter sind offenbar Spitalangestellte und ­begründen ihre Anonymität in der Anzeige damit, dass am USZ «weiterhin eine Angstkultur herrscht». Es gilt für alle Genannten die Unschuldsvermutung.

Keystone

Mit dem Schritt, sich von Maisano und dem Whistleblower zu trennen, versucht das Universitätsspital Zürich (USZ) einen Neuanfang. Was als öffentliche Kritik am ­Direktor der Herzchirurgie begann, artete zu einer Schlammschlacht aus. Mit einem hohen Preis: Es ­hagelte Strafanzeigen in alle Richtungen. Eine zeitweise überfordert wirkende Spitalleitung spricht von einem «zwischenmenschlichen Konflikt» – dass der Hinweisgeber intern selber umstritten ist, bestätigen Rückmeldungen aus der Belegschaft. Neben seiner Tätigkeit als ­leitender Arzt ist er in der Security-Branche aktiv. Spitalratspräsident Martin Waser hat am Donnerstag betont, dass man sich von ihm nicht aufgrund des Whistle­blowings trennen will, sondern ­wegen «unterschiedlicher Vorstellungen» und fehlenden Vertrauens.
Von eingekehrter Ruhe am USZ kann indes keine Rede sein. Die «Weltwoche» machte eine Straf­anzeige gegen Maisanos Nach­folger Paul R. Vogt und gegen die Spitalleitung wegen fahrlässiger Tötung im Zusammenhang mit ­einer Operation publik. Die Anzeigenerstatter sind offenbar Spitalangestellte und ­begründen ihre Anonymität in der Anzeige damit, dass am USZ «weiterhin eine Angstkultur herrscht». Es gilt für alle Genannten die Unschuldsvermutung.

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