Manipulierte Forschungsergebnisse
Uni Zürich attestierte Starforscher reine Weste – zu Unrecht

Biomediziner Adriano Aguzzi musste in den vergangenen Monaten mehrere Publikationen korrigieren oder gar zurückziehen. Ein Teil der Unregelmässigkeiten wurde der Unileitung bereits vor Jahren gemeldet. Die Verantwortlichen sahen jedoch keinen Handlungsbedarf.
Publiziert: 00:30 Uhr
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Aktualisiert: 16:26 Uhr

Auf einen Blick

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Foto: KEYSTONE
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Adriano Aguzzi (63) ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Prionenforschung. Für seine Erkenntnisse, wie anormale Eiweisspartikel das Gehirn schädigen können, wurde der italienisch-schweizerische Biomediziner mehrfach ausgezeichnet – unter anderem vom früheren Bundesrat Pascal Couchepin (82) und der belgischen Königin Mathilde (51).

Auf dem Höhepunkt: 2017 erhält Adriano Aguzzi von der belgischen Königin Mathilde den Baillet Latour Health Prize. Dotierung: 250 000 Euro.
Foto: imago/Belga

Doch das Denkmal des Starforschers wackelt: Weil in seinem Labor am Unispital Zürich Tierversuche gefälscht wurden, musste Aguzzi in den vergangenen Monaten mehrere Publikationen anpassen oder gar widerrufen. Zudem sah sich der Neuropathologe bei früheren Arbeiten, die um das Jahr 2010 herum publiziert wurden und nichts mit den gefälschten Tierversuchen zu tun hatten, ebenfalls zu Korrekturen gezwungen.

Die Vorgänge bringen nicht nur Aguzzi, sondern auch die Universität Zürich in Erklärungsnot. Denn einige Arbeiten, die nun korrigiert oder gar zurückgezogen werden mussten, wurden der Universitätsleitung bereits Ende 2019 als verdächtig gemeldet. Konkret wurden auf dem Wissenschaftsblog «For Better Science» zahlreiche Unregelmässigkeiten und mutmassliche Manipulationen in Arbeiten von Professor Aguzzi aufgelistet.

So wurde getrickst: Die gleichen Mikroskopaufnahmen – einfach gedreht und mit verändertem Bildausschnitt.
Foto: Blog ««For better Science»

Unter anderem ging es darum, dass in der Studie «Aerosols transmit prions to immunocompetent and immunodeficient mice» («Aerosole übertragen Prionen auf immunkompetente und immundefiziente Mäuse») einige Mikroskopaufnahmen von Mäusegehirnen mehrfach gezeigt wurden – allerdings bewusst gedreht und mit verändertem Bildausschnitt.

Unispitze stärkte Aguzzi den Rücken

Die Universitätsleitung versprach in der Folge, dass man sich mit den Vorwürfen auseinandersetzen werde. Am 22. Dezember 2019 schrieb Professor Christian Schwarzenegger (64), damals Vizerektor der Uni Zürich und bis heute Mitglied der Unileitung, in einem E-Mail an den Blog-Betreiber: «Die Universitätsleitung hat eine Untersuchung der von Ihnen erhobenen Vorwürfe eingeleitet. Im Verfahren gilt wie immer die Unschuldsvermutung. Sobald wir einen Bericht vorliegen haben, entscheiden wir über die nächsten Schritte.»

Mail von Christian Schwarzenegger, damals Vize-Rektor der Uni Zürich und bis heute Mitglied der Unileitung, vom 22. Dezember 2019.
Foto: Zvg

In der Folge hörte der Blog-Betreiber nichts mehr von der Universitätsleitung. Auch sonst wurde nichts kommuniziert. Erst jetzt, fast fünf Jahre später, teilt ein Sprecher auf Anfrage von Blick mit: «Die Universität Zürich hat eine Untersuchung betreffend Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten gegen Prof. Dr. med. Adriano Aguzzi im September 2020 abgeschlossen.»

Die Untersuchung fiel erfreulich aus für Aguzzi. Laut Medienstelle sei zum Abschluss festgehalten worden, dass «die mutmasslichen Unregelmässigkeiten» bei den fraglichen Publikationen «entweder widerlegt oder den betreffenden Zeitschriften als Korrigenda gemeldet» worden seien. Die Unispitze stützte ihrem Kollegen den Rücken: «Prof. Aguzzi hat sich stets bemüht, Zweifeln an seinen Publikationen umgehend nachzugehen, und er hat die notwendigen Schritte unternommen, um Fehler zu korrigieren.»

Kein Kommentar zu Fehleinschätzung

Handlungsbedarf sah die Universitätsleitung um Rektor Michael Schaepman (58) offenbar nicht – was sich nun als höchst fragwürdig erweist. Denn vier Jahre nach Abschluss der Untersuchung musste Aguzzi eine der Arbeiten, die von der Unileitung als sauber beurteilt worden war, zurückziehen. Bei einer weiteren Arbeit, die 2020 ebenfalls den Segen der Unispitze erhalten hatte, musste im Sommer 2024 eine Korrektur vorgenommen werden.

Schaute weg – oder zu wenig genau hin: die Universitätsleitung um Rektor Michael Schaepman (Dritter von rechts).
Foto: Frank Brüderli

Wieso geschah das nicht schon vor vier Jahren, als die Unileitung – gemäss eigenen Aussagen – diese Publikationen unter die Lupe nahm?

Die Universitätsleitung, in der seit 2020 nur der Finanzchef gewechselt hat, will auf diese Frage nicht eingehen: «Über den Gegenstand von laufenden Verfahren kann die Universität Zürich keine Auskunft geben», lassen die Verantwortlichen via Medienstelle ausrichten.

Professor Aguzzi und sein falscher PhD-Titel

Forscher aus aller Welt heben in ihrem Lebenslauf hervor, dass sie im Labor von Adriano Aguzzi ihren «PhD» erworben haben. Ein PhD gilt als höchster akademischer Grad, den man nach einem Hochschulabschluss erwerben kann. Auch Aguzzi selbst bezeichnete sich jahrelang als «PhD». Ob in wissenschaftlichen Arbeiten, seiner E-Mail-Signatur oder auf Twitter: Überall nannte sich der Biomediziner «MD-PhD» (Doctor of Medicine–Doctor of Philosophy).

Das Problem dabei: Gemäss Lebenslauf hat Aguzzi nie ein Forschungsdoktorat mit drei- bis vierjähriger Promotion absolviert, das zum Tragen dieses Titels berechtigt. Zwar besitzt Aguzzi einen Doktortitel in Humanmedizin der Albert-Ludwig-Universität Freiburg im Breisgau (D) und mehrere Ehrendoktortitel. Ein PhD-Programm ist aber nirgends ersichtlich. Die Uni Zürich bestreitet nicht, dass Aguzzi jahrelang mit falschem Titel unterwegs war. 2020, nachdem der Blog «For Better Science» die Ungereimtheiten publik gemacht hatte, war «die Frage der korrekten Führung von akademischen Titeln» Teil einer Untersuchung. In dieser kam die Unileitung aber zum Schluss, dass dem Starprofessor nichts vorzuwerfen sei. Ein Sprecher teilt auf Anfrage mit: «Dass der Titel ‹PhD› von Professor Aguzzi falsch verwendet wurde, ist auf einen Übersetzungsfehler zurückzuführen.»

Konkret sei der Ehrendoktortitel der Universität Bologna mit «PhD h. c.» anstatt korrekt mit «Dr. sc. h. c.» übersetzt worden. Das sei aber nicht Aguzzis Fehler gewesen: «Die falsche Betitelung wurde durch einen Übersetzungsfehler der Medizinischen Fakultät verursacht.» Die Erklärung mutet seltsam an. Von einer Universität, die sich zu den besten der Welt zählt, sollte erwartet werden können, dass sie akademische Titel korrekt übersetzt. Aguzzi selbst hätte seinen PhD ebenfalls hinterfragen können. Hoffentlich weiss er zumindest heute, als Leiter des MD-PhD-Programms der Uni Zürich, was es zum Tragen dieses Titels braucht.

Forscher aus aller Welt heben in ihrem Lebenslauf hervor, dass sie im Labor von Adriano Aguzzi ihren «PhD» erworben haben. Ein PhD gilt als höchster akademischer Grad, den man nach einem Hochschulabschluss erwerben kann. Auch Aguzzi selbst bezeichnete sich jahrelang als «PhD». Ob in wissenschaftlichen Arbeiten, seiner E-Mail-Signatur oder auf Twitter: Überall nannte sich der Biomediziner «MD-PhD» (Doctor of Medicine–Doctor of Philosophy).

Das Problem dabei: Gemäss Lebenslauf hat Aguzzi nie ein Forschungsdoktorat mit drei- bis vierjähriger Promotion absolviert, das zum Tragen dieses Titels berechtigt. Zwar besitzt Aguzzi einen Doktortitel in Humanmedizin der Albert-Ludwig-Universität Freiburg im Breisgau (D) und mehrere Ehrendoktortitel. Ein PhD-Programm ist aber nirgends ersichtlich. Die Uni Zürich bestreitet nicht, dass Aguzzi jahrelang mit falschem Titel unterwegs war. 2020, nachdem der Blog «For Better Science» die Ungereimtheiten publik gemacht hatte, war «die Frage der korrekten Führung von akademischen Titeln» Teil einer Untersuchung. In dieser kam die Unileitung aber zum Schluss, dass dem Starprofessor nichts vorzuwerfen sei. Ein Sprecher teilt auf Anfrage mit: «Dass der Titel ‹PhD› von Professor Aguzzi falsch verwendet wurde, ist auf einen Übersetzungsfehler zurückzuführen.»

Konkret sei der Ehrendoktortitel der Universität Bologna mit «PhD h. c.» anstatt korrekt mit «Dr. sc. h. c.» übersetzt worden. Das sei aber nicht Aguzzis Fehler gewesen: «Die falsche Betitelung wurde durch einen Übersetzungsfehler der Medizinischen Fakultät verursacht.» Die Erklärung mutet seltsam an. Von einer Universität, die sich zu den besten der Welt zählt, sollte erwartet werden können, dass sie akademische Titel korrekt übersetzt. Aguzzi selbst hätte seinen PhD ebenfalls hinterfragen können. Hoffentlich weiss er zumindest heute, als Leiter des MD-PhD-Programms der Uni Zürich, was es zum Tragen dieses Titels braucht.

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