Das Coronavirus breitet sich in der Schweiz weiter aus
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Trotz strenger Massnahmen:Das Coronavirus breitet sich weiter aus

Medikamente, Intensivplätze, Atemgeräte – woran es jetzt schon mangelt
Droht dem Gesundheitssystem der Kollaps?

Jetzt zählt jede Zahl: Intensivplätze, Atemgeräte und Fachpersonal sind Mangelware. Während die Corona-Infizierten täglich zunehmen, wächst die Sorge vor einer Überbelastung des Gesundheitssystems. Viele Ressourcen sind heute schon knapp.
Publiziert: 22.03.2020 um 23:10 Uhr
|
Aktualisiert: 23.03.2020 um 15:29 Uhr
Anian Heierli und Marco Latzer

Die Zahl der Corona-Infizierten steigt rasant. Epidemiologen gehen davon aus, dass sich jeder zweite Erwachsene anstecken wird. Parallel dazu wächst die Sorge vor einer Überbelastung des Gesundheitssystems. So zeigt die Pandemie auch die äusserst knappen Ressourcen auf. Schlimmstenfalls kommt es zu Engpässen in den Spitälern.

Im Kanton Tessin sind die Plätze in Intensivstationen schon heute nahezu belegt. Deshalb drohen harte Entscheide. Zurzeit beschäftigen sich die Ärzte in der Schweiz mit ethischen Fragen? Wer hat Vorrang an der Beatmungsmaschine? Wer wird noch gepflegt, wenn das Personal ausgeht? Konkret heisst das: Patienten mit weniger Überlebenschancen müssen anderen Platz machen. Das Nachsehen haben dann ältere Patienten und Menschen mit Vorerkrankungen.

130 freie Plätze auf Intensivstationen

In der Schweiz sind rund 40 000 Spitalbetten verfügbar. Falls die Regeln des Social Distancing durch die Bevölkerung in genügendem Masse eingehalten werden, sollten sie ausreichen. Geschieht es nicht, fehlen Tausende Betten. Auf Schweizer Intensivstationen können momentan 800 Patienten versorgt werden. Laut dem Bundesamt für Gesundheit waren Ende letzter Woche noch 160 Plätze frei. Grosses Problem: Corona-Patienten, die bereits auf künstliche Beatmung angewiesen sind, gelten als praktisch nicht mehr transportfähig. Ausgelastete Spitäler können deshalb ihre Fälle nicht weitergeben.

Intensivplätze werden knapp: Der Transport eines Patienten mit Covid-19 am Eingang der Notaufnahme im Kantonsspital La Carità in Locarno.
Foto: keystone
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Rekrutierung von Fachpersonal dauert Jahre

Schon zu normalen Zeiten arbeitet das Personal im Gesundheitswesen oft am Anschlag. Medizinische Fachkräfte sind Mangelware. Gerade in Grenzkantonen ist die Zahl ausländischer Spezialisten gross. Notfalls werden die Grenzgänger in ihrem Heimatland gebraucht. Doch das Schweizer Gesundheitssystem ist auf die Hilfe dieser Menschen angewiesen. Am Freitag dankte der Berufsverband der Pflegefachpersonen der Bevölkerung für den Applaus – aber warnte auch: «Wir schaffen es nicht, wenn sich die Bevölkerung nicht an die Weisungen des BAG hält!»

Zu wenige Test-Kits

Einige Ärzte, Epidemiologen und Politiker fordern flächendeckende Tests. Das BAG und der Leiter für Übertragbare Krankheiten, Daniel Koch, halten dagegen an der Strategie mit spezifischen Tests fest. Ein Grund ist, dass gerade Schnelltests Mangelware sind. «Die verfügbaren Ressourcen für Tests sind am Limit», so Koch. Man tue «alles Menschenmögliche», um mehr Tests und zusätzliches Material aufzutreiben. Eine schwierige Aufgabe. So kann Pharmariese Roche weltweit 3,5 Millionen Tests pro Monat liefern. Der Konzern empfiehlt dringend, die Tests auf Patienten mit Symptomen der Krankheit zu konzentrieren. Hinzu kommt, dass spezielle Röhrchen, die es für die Diagnosemaschine braucht, zunehmend knapp werden.

Ganz Europa sucht Atemgeräte

Fast jeder zehnte Infizierte kommt auf die Intensivstation und braucht ein Atemgerät. Doch diese sind nur in begrenzter Zahl verfügbar. Zum Vergleich: Das Spital Davos hat zwei Plätze mit Beatmungsgeräten, im Notfall kann auf vier aufgestockt werden. Der Bund versucht nun in einer koordinierten Aktion unter der Leitung der Armee weitere Geräte aufzutreiben. Der Haken: Ganz Europa bestellt aktuell entsprechendes Equipment. Zum Glück springt die Hamilton AG in Bonaduz GR in die Bresche. Die Firma stellt zurzeit im Schichtbetrieb täglich 80 Atemgeräte her. Aus Solidarität werden derzeit viele Geräte nach Italien geliefert.

Weniger Vorschriften für Sauerstoff-Gasflaschen

Der Chef des Gasunternehmens Messer in Lenzburg AG warnt im SonntagsBlick vor einer Sauerstoffknappheit: «Wenn die Sauerstoffbranche zusammenbricht, nützt jedes Beatmungsgerät nichts», so Hans Michael Kellner (54). Mancherorts würden sie aus Angst gehortet. Für den Gashändler wäre eine Lockerung der Vorschriften eine Lösung. Denn medizinischer Sauerstoff ist nur in speziell dafür vorgesehenen Flaschen erlaubt, obwohl sich auch andere Typen eignen. Der Industriegasverband hat sich deshalb an Swissmedic gewandt, die Aufsichtsbehörde für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Arzneimittel bereits knapp

Für fiebersenkende und schmerzlindernde Medikamente gibt es in der Schweiz Lieferengpässe. Beispielsweise konnten Apotheken keine Dafalgan-Tabletten mehr bestellen. Schuld sind Hamsterkäufe in den letzten Tagen. Deshalb beschränkt der Bundesrat die Abgabe: Apotheken dürfen bei fiebersenkenden, schmerzlindernden und entzündungshemmenden Medikamenten pro Einkauf nur noch eine Packung abgeben. Davon ausgenommen sind Patienten mit chronischen Krankheiten. Sie dürfen sich noch für zwei Monate mit entsprechenden Arzneimitteln ausstatten.

Noch reichen die Blutkonserven

Trotz der Coronavirus-Pandemie sind Spitäler auf Blutkonserven angewiesen. Diese können im Ernstfall schnell knapp werden, da man sie lediglich sechs Wochen aufbewahren kann! Das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) ruft deshalb zum Blutspenden auf. «Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass das Virus übers Blut weitergegeben wird», sagt SRK-Sprecherin Franziska Kellenberger zu BLICK. Aktuell gibt es noch keinen Engpass: «Wir merken sogar eine gewisse Solidaritätswelle bei Spendern.» Wichtig sei aber, dass man einen Termin online oder telefonisch vereinbare.

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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Massnahmen gegen Coronavirus

Der Bundesrat stuft am 16. März die Situation in der Schweiz neu als ausserordentliche Lage gemäss Epidemiengesetz ein. Sie erlaubt dem Bundesrat, in allen Kantonen einheitliche Massnahmen anzuordnen. Zuvor hat er die Kantone über diesen Schritt informiert. Ab dem 17. März um Mitternacht gelten folgende Regeln:

  • Öffentliche und private Veranstaltungen sind verboten.
  • Alle Läden, Restaurants und Bars werden bis mindestens am 26. April 2020 geschlossen.
  • Dasselbe gilt für Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe wie Museen, Bibliotheken, Kinos, Konzert- und Theaterhäuser, Sportzentren, Schwimmbäder und Skigebiete werden geschlossen. Ebenso werden Betriebe geschlossen, in denen das
    Abstand halten nicht eingehalten werden kann, wie Coiffeursalons oder Kosmetikstudios.
  • Ausgenommen sind unter anderem Lebensmittelläden und die Gesundheitseinrichtungen.
  • Die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Lebensmitteln, Medikamenten und Waren des täglichen Gebrauchs ist sichergestellt: Es sind genügend Vorräte angelegt.
  • Lebensmittelläden, Take-aways, Betriebskantinen, Lieferdienste für Mahlzeiten und Apotheken bleiben geöffnet, ebenso Tankstellen, Bahnhöfe, Banken, Poststellen, Hotels, die öffentliche Verwaltung und soziale Einrichtungen.
  • Auch Werkstätten für Transportmittel können geöffnet bleiben.
  • Die Einreise in die Schweiz wird drastisch eingeschränkt, dazu werden Grenzkontrollen eingeführt.
  • Zur Unterstützung der Kantone in den Spitälern, bei der Logistik und im Sicherheitsbereich hat der Bundesrat den Einsatz von bis zu 8000 Armeeangehörigen bewilligt. Auch der Zivilschutz wird aufgeboten.
  • Bundesrat appelliert weiterhin an alle Bürger: «Abstand halten kann Leben retten!»
  • Der Bundesrat verzichtet vorerst auf eine allgemeine Ausgangssperre. Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, hat er aber die Kontaktregeln verschärft. Gruppen über fünf Personen drohen Bussen von 100 Franken pro Person.
  • Die Arbeitgeber im Baugewerbe und in der Industrie werden zudem verpflichtet, die Empfehlungen des Bundes zur Hygiene und zum Abstandhalten einzuhalten. Betriebe, die sich nicht daran halten, sollen geschlossen werden.
  • Die Wirtschaft bekommt mehr Geld: Mit 32 Milliarden Franken beschliesst der Bundesrat wohl das grösste Konjunkturpaket der Schweizer Geschichte. Insgesamt stehen über 40 Milliarden Franken zur Verfügung.
  • Die Bewilligungsdauer von Kurzarbeit wird von 3 auf 6 Monate verlängert. Damit kann die Anzahl Gesuche minimiert und somit das Bewilligungsverfahren beschleunigt werden. Die Frist zur Voranmeldung für Kurzarbeit wird gänzlich aufgehoben.

  • Bei der Stellenmeldepflicht werden alle damit verbundenen Aufgaben und Pflichten für Arbeitgeber und die öffentliche Arbeitsvermittlung vorübergehend aufgehoben. Damit werden die Rekrutierungsprozesse beispielsweise für medizinisches Personal, die Pharmabranche, die Landwirtschaft oder die Logistik erleichtert.

  • Bei der Arbeitslosenversicherung wird auf das Einreichen des Nachweises von Arbeitsbemühungen verzichtet. Die versicherte Person muss den Nachweis der Arbeitsbemühungen aber spätestens einen Monat nach Ablauf der COVID-19-Verordnung 2 nachreichen.

  • Um Aussteuerungen zu vermeiden, erhalten alle anspruchsberechtigten Personen maximal 120 zusätzliche Taggelder.

  • Arbeitgeber dürfen für die Bezahlung der Arbeitnehmerbeiträge an die berufliche Vorsorge vorübergehend die von ihnen geäufneten Arbeitgeberbeitragsreserven verwenden. Diese Massnahme soll es den Arbeitgebern erleichtern, Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Für die Arbeitnehmenden hat die Massnahme keine Auswirkungen.

  • Der Bundesrat hat zudem beschlossen, eine Bewilligungspflicht für die Ausfuhr von medizinischer Schutzausrüstung einzuführen.

Der Bundesrat stuft am 16. März die Situation in der Schweiz neu als ausserordentliche Lage gemäss Epidemiengesetz ein. Sie erlaubt dem Bundesrat, in allen Kantonen einheitliche Massnahmen anzuordnen. Zuvor hat er die Kantone über diesen Schritt informiert. Ab dem 17. März um Mitternacht gelten folgende Regeln:

  • Öffentliche und private Veranstaltungen sind verboten.
  • Alle Läden, Restaurants und Bars werden bis mindestens am 26. April 2020 geschlossen.
  • Dasselbe gilt für Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe wie Museen, Bibliotheken, Kinos, Konzert- und Theaterhäuser, Sportzentren, Schwimmbäder und Skigebiete werden geschlossen. Ebenso werden Betriebe geschlossen, in denen das
    Abstand halten nicht eingehalten werden kann, wie Coiffeursalons oder Kosmetikstudios.
  • Ausgenommen sind unter anderem Lebensmittelläden und die Gesundheitseinrichtungen.
  • Die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Lebensmitteln, Medikamenten und Waren des täglichen Gebrauchs ist sichergestellt: Es sind genügend Vorräte angelegt.
  • Lebensmittelläden, Take-aways, Betriebskantinen, Lieferdienste für Mahlzeiten und Apotheken bleiben geöffnet, ebenso Tankstellen, Bahnhöfe, Banken, Poststellen, Hotels, die öffentliche Verwaltung und soziale Einrichtungen.
  • Auch Werkstätten für Transportmittel können geöffnet bleiben.
  • Die Einreise in die Schweiz wird drastisch eingeschränkt, dazu werden Grenzkontrollen eingeführt.
  • Zur Unterstützung der Kantone in den Spitälern, bei der Logistik und im Sicherheitsbereich hat der Bundesrat den Einsatz von bis zu 8000 Armeeangehörigen bewilligt. Auch der Zivilschutz wird aufgeboten.
  • Bundesrat appelliert weiterhin an alle Bürger: «Abstand halten kann Leben retten!»
  • Der Bundesrat verzichtet vorerst auf eine allgemeine Ausgangssperre. Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, hat er aber die Kontaktregeln verschärft. Gruppen über fünf Personen drohen Bussen von 100 Franken pro Person.
  • Die Arbeitgeber im Baugewerbe und in der Industrie werden zudem verpflichtet, die Empfehlungen des Bundes zur Hygiene und zum Abstandhalten einzuhalten. Betriebe, die sich nicht daran halten, sollen geschlossen werden.
  • Die Wirtschaft bekommt mehr Geld: Mit 32 Milliarden Franken beschliesst der Bundesrat wohl das grösste Konjunkturpaket der Schweizer Geschichte. Insgesamt stehen über 40 Milliarden Franken zur Verfügung.
  • Die Bewilligungsdauer von Kurzarbeit wird von 3 auf 6 Monate verlängert. Damit kann die Anzahl Gesuche minimiert und somit das Bewilligungsverfahren beschleunigt werden. Die Frist zur Voranmeldung für Kurzarbeit wird gänzlich aufgehoben.

  • Bei der Stellenmeldepflicht werden alle damit verbundenen Aufgaben und Pflichten für Arbeitgeber und die öffentliche Arbeitsvermittlung vorübergehend aufgehoben. Damit werden die Rekrutierungsprozesse beispielsweise für medizinisches Personal, die Pharmabranche, die Landwirtschaft oder die Logistik erleichtert.

  • Bei der Arbeitslosenversicherung wird auf das Einreichen des Nachweises von Arbeitsbemühungen verzichtet. Die versicherte Person muss den Nachweis der Arbeitsbemühungen aber spätestens einen Monat nach Ablauf der COVID-19-Verordnung 2 nachreichen.

  • Um Aussteuerungen zu vermeiden, erhalten alle anspruchsberechtigten Personen maximal 120 zusätzliche Taggelder.

  • Arbeitgeber dürfen für die Bezahlung der Arbeitnehmerbeiträge an die berufliche Vorsorge vorübergehend die von ihnen geäufneten Arbeitgeberbeitragsreserven verwenden. Diese Massnahme soll es den Arbeitgebern erleichtern, Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Für die Arbeitnehmenden hat die Massnahme keine Auswirkungen.

  • Der Bundesrat hat zudem beschlossen, eine Bewilligungspflicht für die Ausfuhr von medizinischer Schutzausrüstung einzuführen.

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