Millionenverluste, fragwürdige Beweise, Justiz-Debakel
Schwyzer Kantonalbank bestreitet Beteiligung an PK-Skandal

Mit einer Pensionskasse wollte die Schwyzer Kantonalbank das grosse Geld machen. Jetzt steht die Kasse vor dem Ruin – doch die Bank will nichts damit zu tun haben. Dabei ist sie tief in den Skandal verstrickt.
Publiziert: 15.01.2022 um 17:59 Uhr
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Aktualisiert: 15.01.2022 um 21:09 Uhr
Danny Schlumpf

Die aargauische Pensionskasse Phoenix steht am Abgrund. Die Vorsorgeeinrichtung für kleine und mittlere Betriebe betreut mehrere Tausend Versicherte. Auch der Eishockeyklub Rapperswil-Jona Lakers hat sein Vorsorgegeld bei der Phoenix parkiert. Nun ist die Pensionskasse dieser Tage an den Sicherheitsfonds BVG gelangt – die Auffangeinrichtung für angeschlagene und bankrotte Vorsorgeeinrichtungen. Denn in der Phoenix-Kasse klafft ein Loch von über zwölf Millionen Franken.

Die breite Öffentlichkeit erfuhr 2019 erstmals von der desolaten Situation. Verschiedene Schweizer Medien berichteten darüber – und schienen auch zu wissen, wer dafür verantwortlich sei: Phoenix-Gründer Serge Aerne und die Mitglieder des Stiftungsrats, des obersten Organs der Pensionskasse.

Unternehmer Aerne hatte 2013 Immobilien in Lütisburg SG gebaut und einige davon an die von ihm geführte PK Phoenix verkauft. Das ist nicht sympathisch, aber im Pensionskassenmarkt sind solche Geschäfte gang und gäbe. Sie sind rechtlich erlaubt, solange sie korrekt und transparent abgewickelt werden.

Die Eishockeyspieler der Rapperswil-Jona Lakers haben ihr Vorsorgegeld bei der PK Phoenix parkiert.
Foto: keystone-sda.ch
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Doch im Herbst 2019 liess eine grosse Schweizer Zeitung die Bombe platzen: Wegen dieses Immobilien-Deals würden zwölf Millionen in der Kasse der PK Phoenix fehlen. Nun ermittle die Staatsanwaltschaft gegen den «schillernden» Unternehmer Aerne und weitere Phoenix-Verantwortliche.

Mit keinem Wort erwähnte der Bericht die Schwyzer Kantonalbank (SZKB). Dabei ist ihre Rolle in dem Skandal entscheidend. Das zeigen gemeinsame Recherchen von SonntagsBlick und SRF. Über 1000 Dokumente zum Fall wurden gesichtet – und sie weisen alle in dieselbe Richtung: Die Geschichte vom fiesen PK-Gründer und den unfähigen Stiftungsräten ist konstruiert. Sie soll vertuschen, wer wirklich für das Desaster verantwortlich ist.

Denn: Mehrere Absetzungsversuche gegen den Phoenix-Stiftungsrat wegen der Immobiliengeschäfte von Lütisburg wurden vom Bundesverwaltungsgericht und vom Bundesgericht abgewiesen. Und im letzten Herbst teilte die zuständige Staatsanwaltschaft zum Stand der strafrechtlichen Untersuchungen mit: «Aufgrund der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse beabsichtigen wir, das Verfahren ohne Weiterungen einzustellen.»

Dazu passt ein forensischer Untersuchungsbericht im Auftrag der PK Phoenix, der 2020 zum Schluss kam: Für das Millionenloch sind nicht dubiose Geschäfte um ein Bauprojekt in Lütisburg von 2013 verantwortlich, sondern massive Buchungsfehler in den Jahren 2015 und 2016.

Anzeigenschlacht

In diesen beiden Jahren war die Nova-Vorsorge-Holding verantwortlich für die Buchhaltung der PK Phoenix. Die Schwyzer Kantonalbank war zu 49 Prozent an dieser Holding beteiligt. Sie nahm eine «beherrschende Stellung» ein, wie sie in ihrem Geschäftsbericht von 2020 selber schreibt. Denn sie stellte die Mehrheit im Verwaltungsrat und den VR-Vorsitzenden – Kuno Kennel, der gleichzeitig Präsident der SZKB war. Er hatte die Beteiligung eingefädelt, weil er den grossen Reibach im Pensionskassenmarkt witterte.

Doch das Geschäft ging gründlich schief: Schon im Verlauf des Jahres 2015 bemerken die Verantwortlichen der PK Phoenix Unstimmigkeiten in der Buchhaltung. Anfang 2016 teilen sie der Nova-Holding mit, dass sie den Verwaltungsvertrag mit ihr kündigen wollen. Jetzt läuten bei der Nova-Holding und der Schwyzer Kantonalbank die Alarmglocken: Sie reichen Anzeige bei der Aargauer Pensionskassenaufsicht ein – gegen den Stiftungsrat der Pensionskasse Phoenix, die sie selber verwalten. Der Vorwurf: mutmassliche Verstösse und Straftaten im Zusammenhang mit den Immobilien in Lütisburg.

Die Aufsicht reagiert prompt: Ohne den Phoenix-Verantwortlichen das rechtliche Gehör zu gewähren, setzt sie den gesamten Stiftungsrat ab. An seiner Stelle übernimmt ein von der Aufsicht bestellter Sachwalter die Leitung. Doch das Bundesverwaltungsgericht pfeift die Aufsicht umgehend zurück und setzt den Stiftungsrat wieder ein. Der bietet von sich aus an, mit dem Sachwalter weiter zusammenzuarbeiten, um den Ungereimtheiten in der Buchhaltung auf den Grund zu gehen.

Im Herbst 2016 legen SZKB-Präsident Kuno Kennel und ein Verwaltungsratsmitglied der Nova-Holding mit einer Strafanzeige gegen Serge Aerne nach. Es ist der Auftakt zu einer Serie von Anzeigen gegen die Phoenix-Verantwortlichen.

Dubiose Word-Datei

Dasselbe VR-Mitglied der Nova-Holding, das die erste Anzeige verschickte, stellt im Frühling 2017 eine Word-Datei fertig, die künftig eine Schlüsselrolle spielt. Das Dokument ist zwar anonym verfasst, doch die Metadaten zeigen, dass das VR-Mitglied die Datei finalisiert hat. Sie enthält eine Liste von Vorwürfen gegen Serge Aerne und den Phoenix-Stiftungsrat rund um das Bauprojekt von Lütisburg.

Im Herbst 2017 tauchen genau die gleichen Vorwürfe wieder auf – in einem grossen Bericht des von der Aargauer Aufsicht eingesetzten Sachwalters. Untersucht wurden diese Vorwürfe bis heute nicht. Doch die Aufsicht setzt aufgrund dieses Berichts den Phoenix-Stiftungsrat zum zweiten Mal ab. Der Sachwalter und die Aufsicht wollen gegenüber dem Recherchekollektiv von SonntagsBlick und SRF keine Stellung nehmen. Sie berufen sich auf die Schweigepflicht.

Der Phoenix-Stiftungsrat zieht auch gegen seine zweite Absetzung vor das Bundesverwaltungsgericht – und kriegt wieder recht. Doch jetzt übernimmt die Pensionskassen-Oberaufsicht des Bundes OAK BV und gelangt mit dem Bericht des Sachwalters als Kronbeweis gegen die Phoenix-Verantwortlichen ans Bundesgericht. Dieses schmettert das Begehren der Aufsichtsbehörden Anfang 2019 endgültig ab und setzt dem Justiz-Debakel ein Ende.

Erst jetzt kann sich der wieder eingesetzte Phoenix-Stiftungsrat mit dem Zwölf-Millionen-Loch befassen, das die Nachfolgerin der Nova-Holding in der Verwaltung der Kasse mittlerweile festgestellt hat. Nun gibt die PK Phoenix den forensischen Untersuchungsbericht in Auftrag, der festhält: «Die in den Jahren 2013 und 2014 erstellten Jahresrechnungen zeigen keine Anzeichen oder Indizien für wesentliche Fehlaussagen.» Anders sieht das für 2015 aus, als die Nova-Holding die PK-Gelder verwaltete: «Wir können wesentliche Fehlbuchungen nicht ausschliessen.» 2016 war für die Buchhaltung der PK Phoenix noch desaströser, so die Gutachter: «Es muss davon ausgegangen werden, dass die Jahresrechnung 2016 wesentlich falsch ist.» Und: «Es ist davon auszugehen, dass aufgrund einer korrigierten Jahresrechnung 2016 mit einem um CHF 12,4 Millionen schlechteren Ergebnis grundlegend andere Massnahmen des Stiftungsrates und der Aufsichtsbehörde zur Folge gehabt hätten.»

Die Nova-Holding sagt dazu: «Wir hatten mit dem Jahresabschluss per 31. Dezember 2016 nichts mehr zu tun, da die Zusammenarbeit mit der Phoenix PK dannzumal bereits beendet war. Entsprechend haben wir keine vertieften Kenntnisse, ob die Jahresrechnung 2016 richtigerweise anders hätte ausfallen müssen.»

Doch in der Öffentlichkeit kursiert bereits die Geschichte vom krummen Immo-Deal von Lütisburg. Denn verschiedene Medien haben mittlerweile den Bericht des Sachwalters zugespielt bekommen, der die gleichen Vorwürfe aufführt wie das anonyme Word-Dokument, das von einem Verwaltungsrat der Nova-Holding fertiggestellt wurde. Das Word-Dokument selbst scheint dem Bericht einer grossen Zeitung im Herbst 2019 unmittelbar als Basis gedient zu haben. Darauf deutet jedenfalls eine eingehende Textanalyse des Recherchekollektivs von SRF und SonntagsBlick.

Eine ganz andere Richtung schlagen zwei Beiträge des Schweizer Fernsehens im Frühling 2020 ein: Sie thematisieren erstmals die Rolle der Schwyzer Kantonalbank. Die geht rabiat gegen die gesendeten Beiträge vor und zieht vor die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) – mit dem Bericht des Sachwalters als Kronbeweis. Doch es ergeht ihr gleich wie der Aufsicht vor Bundesgericht: Die UBI weist die Beschwerde ab.

Bis Anfang 2021 trennt sich die Schwyzer Kantonalbank von sämtlichen Kaderangestellten, die mit dem Skandal zu tun haben. Im Mai 2021 steigt die Bank schliesslich still und leise bei der Nova-Holding aus.

Die Haftungsfrage

Zurück bleibt eine Pensionskasse vor dem Zusammenbruch – und die Versicherten müssen machtlos zusehen: «Es ist erschreckend, wie wenig die Versicherten machen können», sagt Sozialversicherungsexperte Thomas Gächter, Rechtsprofessor an der Uni Zürich. «Verluste und Leistungskürzungen treffen sie direkt. Doch sie sind nicht berechtigt, die Verantwortlichen einzuklagen.»

Auch die Rapperswil-Jona Lakers haben ihr Vorsorgegeld nach wie vor bei der Phoenix parkiert. «Wir von den Lakers wollen uns einzig auf den Sport konzentrieren können», sagt Lakers-CEO Markus Bütler. «Darum hoffen wir, dass jetzt endlich Ruhe einkehrt. Und dass die Verursacher dieses Debakels Verantwortung übernehmen.»

Darauf pocht auch Orlando Pavano, Vizepräsident des Phoenix-Stiftungsrats: «Sobald wir alle Fakten auf dem Tisch haben, werden wir uns nicht scheuen, frühere Dienstleister und Institutionen für die Entstehung der Probleme unserer Pensionskasse zur Verantwortung zu ziehen.»

Serge Aerne sagt: «Die diversen von der SZKB und der Nova-Holding lancierten Klagen waren für mich und mein Umfeld eine grosse Belastung. Sie haben sich als haltlos erwiesen. Die Versicherten der Phoenix haben ein Recht zu erfahren, wer wirklich dafür verantwortlich ist.»

Dabei hat auch der Sicherheitsfonds BVG ein Wörtchen mitzureden. Denn diese Auffangeinrichtung wird von den Vorsorge-Versicherten finanziert – und will allfällige Gelder zur Rettung der Phoenix-Kunden zurück. «Deshalb muss der Sicherheitsfonds radikal vorgehen, detaillierte Abklärungen tätigen und wenn nötig auch klagen», sagt Urs Eicher, Präsident von PK-Netz, das die Interessen der Arbeitnehmer im PK-Markt vertritt. «Der Sicherheitsfonds ist die letzte Instanz», sagt Eicher. «Deshalb dürfen die Versicherten erwarten, dass er auch handelt.»

Damit ist klar: Weder für die Aufsichtsbehörden noch für die Nova-Holding ist die Sache ausgestanden. Und auch die Schwyzer Kantonalbank muss sich wohl warm anziehen: «Wenn die SZKB selbst sagt, sie habe eine beherrschende Stellung eingenommen, kann sich daraus eine gewisse Haftung ergeben», sagt Rechtsprofessor Gächter. «Sie hat ja nicht nur ein Finanzinvestment getätigt, sondern sich strategisch eingebracht. Das könnte ein Ansatz sein, die Bank mit in die Haftung zu ziehen. Im Pensionskassenwesen wäre das Neuland, aber in anderen Rechtsbereichen wird das bereits gemacht.»

Die Schwyzer Kantonalbank, die zu 100 Prozent den Schwyzer Steuerzahlern gehört, will mit all dem nichts zu tun haben. Sie lässt ausrichten: «Aus Sicht der SZKB ist die Angelegenheit mit dem im Mai 2021 erfolgten Verkauf der Minderheitsbeteiligung an der Nova Vorsorge AG erledigt.»

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