Neue Details zum geflüchteten Häftling von Aarau
Amin T. (34) entwich einem Securitas-Mitarbeiter

Amin T. (34) war illegal in der Schweiz und stand wegen mehreren Delikten vor Gericht. Jetzt war er in Ausschaffungshaft – und konnte in Aarau flüchten. Blick-Recherchen zeigen nun, wie der Tunesier entweichen konnte.
Publiziert: 06.10.2022 um 16:56 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 16:16 Uhr
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Ralph DonghiReporter News

Amin T.* (34), der am Dienstag beim Ausstieg aus dem Gefangenenfahrzeug vor dem Migrationsamt in Aarau abhauen konnte, ist noch immer auf der Flucht. Der Häftling war in Ausschaffungshaft, nachdem er illegal in der Schweiz gelebt hatte, Straftaten begangen hatte und im 2021 vor Gericht in Olten SO zu 27 Monaten Freiheitsstrafe sowie einem achtjährigen Landesverweis verurteilt wurde.

Bisher sagte die Kantonspolizei Aargau nicht, ob ein eigener Beamter oder jemand von einer beauftragten Sicherheitsfirma den Häftling zum Migrationsamt fuhr. Denn: Zweiteres ist laut dem revidierten Polizeigesetz, das der Grosse Rat Ende 2020 beschlossen hatte, möglich. Auch auf Nachfrage sagt Polizeisprecher Bernhard Graser nur: «Der Begleiter war befugt und ausgebildet, Gefangenentransporte durchzuführen. Nähere Angaben zu seiner Funktion machen wir nicht.»

Amin T. wurde nicht von einem Polizisten begleitet

Jetzt zeigen Blick-Recherchen: Der Mann, dem Amin T. nach dem Ausladen in Crocs davonrennen konnte, ist ein Angestellter der Securitas Gruppe. Deren Kommunikationsleiter Urs Stadler bestätigt: «Die Securitas hatte den Transportauftrag ausgeführt, bei dem ein Häftling entflohen ist.» Und: «Weitere Angaben über den Vorfall können wir aufgrund des laufenden Untersuchungsverfahrens nicht machen.»

Die Kantonspolizei Aargau sucht mit diesem veröffentlichten Bild nach dem geflüchteten Häftling.
Foto: Kapo AG
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Dass einem Securitas-Mitarbeiter ein solcher Häftling entweichen konnte, dürfte im Aargau wieder für Zündstoff sorgen. Grund: Erst vor gut zwei Monaten hatte in der «Aargauer Zeitung» die SP-Grossrätin Lelia Hunziker (49) die Auslagerung von Gefangenentransporte an Private als «stossend und heikel» kritisiert. Die Aufgabe sei anspruchsvoll. Sie sagt: «Gefangene sind gefesselt, eingesperrt, ausgeliefert, vielleicht traumatisiert und somit höchst vulnerabel.»

«Mittel für Service public müssten erhöht werden»

Die Politikerin hatte in einem Vorstoss Fragen an den Regierungsrat gestellt. Unter anderem interessiert sie, wie der Datenschutz sichergestellt wird, weil sensible Daten wie Name, Aufenthaltsort, allenfalls Gesundheitsaspekte und Gefährdungspotenzial von gefangenen Personen «an Dritte ausgelagert werden». Zudem möchte Hunziker mehr über die Regelung und Form der Zusammenarbeit sowie das Monitoring wissen.

Und nicht zuletzt interessiert die Grossrätin die Kosten. Für sie ist klar, dass nur Kosten gespart werden können, wenn Leistungen und Arbeitsbedingungen schlechter sind. Die Kapo Aargau rechtfertigte im AZ-Bericht die Auslagerung von Gefangenentransporten an Private unter anderem mit der tiefen Polizeidichte im Aargau. Für die Grossrätin ist klar, dass «die Mittel für den Service public erhöht werden müssten».

Der Securitas-Mann wurde befragt

Auf Nachfrage von Blick sagt Lelia Hunziker, dass sie noch keine Antworten vom Regierungsrat erhalten habe. Und ergänzt: «Der vorliegende Fall zeigt exemplarisch, dass aufgrund des Sparwahns die Sicherheit der Bevölkerung und nicht zuletzt auch der Angestellten aufs Spiel gesetzt wird. Nun wird gefahndet und gesucht. Das kostet. Diese Sparerei ist ein Boomerang, der uns teuer zu stehen kommt.»

Und was hat der neueste Fall nun für Konsequenzen für den Securitas-Mitarbeiter? «Entweichungen dürfen nicht passieren, und so arbeiten wir jeden der seltenen Vorfälle genau auf, um daraus die nötigen Lehren zu ziehen», sagt Graser von der Kapo Aargau. «Dazu gehört natürlich auch die Befragung des Begleiters.»

Wie konnte Amin T. trotz Handschellen abhauen?

Graser will festhalten: «Wir führen jedes Jahr Hunderte solcher Transporte durch. Obwohl Entweichungen die absolute Ausnahme darstellen, besteht immer ein Restrisiko.» Besondere Vorsicht sei etwa geboten, wenn Gefangene nicht in gesicherten Garagen, sondern im Freien ausgeladen werden müssten. «Jede und jeder Gefangene ist grundsätzlich als fluchtgefährlich anzusehen.»

Der Gefangene, der am Dienstag geflüchtet sei, habe sich «nicht Haft befunden, weil von ihm eine Gefahr für die Öffentlichkeit ausging, sondern um die drohende Ausschaffung sicherzustellen», erklärt Graser. Deshalb habe es wie bei unzähligen ähnlichen Transporten keine Veranlassung gegeben, «ihn durch mehr als eine Begleitperson zu transportieren».

Bleibt die Frage, wie der Häftling trotz Handschellen abhauen konnte? «Die Gefangenen sind in den speziellen Zellenwagen zusätzlich gefesselt», sagt Graser. «Ob und wie es dem flüchtigen Tunesier gelungen war, die Handschellen zu lösen, ist noch unklar und wird untersucht.»

* Name geändert

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