Hat Nicolas N. sein Baby Janosch erstickt?
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Tötungs-Prozess in Solothurn:Erstickte Nicolas N. (34) sein Baby Janosch (†8 Wochen)?

Schreckenstat von Breitenbach SO endlich vor Gericht
Hat Nicolas N. sein Baby Janosch erstickt?

Mehr als zehn Jahre sind vergangen – nun kommt der Fall vor Gericht. Nicolas N. (34) soll im Sommer 2010 seinen Sohn Janosch (†8 Wochen) getötet und sein zweites Kind später fast zu Tode geschüttelt haben. Er wird unter anderem der versuchten Tötung angeklagt.
Publiziert: 26.04.2021 um 18:05 Uhr
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Aktualisiert: 29.04.2021 um 12:41 Uhr
Luisa Ita, Ralph Donghi, Fabian Vogt

Heute wäre Janosch* zehn Jahre alt. Ein Bub, der das Leben noch vor sich hätte – und wohl staunend auf die Welt blicken würde. Doch Janosch starb viel zu früh: Am 26. Juli 2010 wählten seine Eltern den Notruf. Das Baby habe Atemnot. Jede Hilfe kommt zu spät. Mit gerade mal acht Wochen stirbt der Säugling in der Wohnung des jungen Paares in Breitenbach SO.

Nun, zehn Jahre später, kommt es zum Prozess. Die Staatsanwaltschaft Solothurn klagt Nicolas N.* (34) unter anderem wegen vorsätzlicher Tötung und mehrfacher versuchter vorsätzlicher Tötung an. N. soll Janosch im Laufgitter mit einem unbekannten Gegenstand die Atemwege abgedeckt und damit erstickt haben!

«In Kauf genommen, dass sie stirbt»

Nicolas N. und seine Partnerin geraten kurz nach der Tat ins Visier der Ermittler. Ein halbes Jahr nach der Tragödie klicken die Handschellen – die beiden werden in U-Haft genommen. Doch da die Todesursache nicht eindeutig festgestellt werden kann und die Verhafteten beharrlich schweigen, werden sie wieder auf freien Fuss gesetzt.

Nicolas N. (34) steht vor Gericht.
Foto: zvg
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Rund eineinhalb Jahre nach dem Tod von Janosch wird das Paar wieder mit einem Baby gesegnet. Die kleine Sandra* wird geboren. Dramatisch: Sieben Wochen später stellen die Ärzte bei einem Spitalbesuch auch bei ihr Verletzungen fest – ein Schütteltrauma! Das Mädchen mit Jahrgang 2012 muss neurochirurgisch operiert werden und der Verdacht auf Kindesmisshandlung wird laut. Erneut kommt das Paar hinter Gitter. Und erneut kommen sie nach einigen Wochen wieder frei.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt nun Nicolas N., die kleine Sandra «mit den Händen umfasst und vorsätzlich geschüttelt zu haben». Als Folge vergrösserte sich unter anderem der Kopfumfang erheblich. Ausserdem entwickelte sich die Sehschärfe verzögert. «Der Beschuldigte nahm im Kauf, dass die Geschädigte durch sein Handeln stirbt», sagt die Staatsanwaltschaft. Sandra habe sich nur aufgrund einer raschen Operation nicht in akuter Lebensgefahr befunden.

Undercover-Agenten im Einsatz

Nachdem Nicolas N. und seine Partnerin zum zweiten Mal auf freiem Fuss sind, bleibt die Staatsanwaltschaft hartnäckig. Zwischen 2012 und 2015 wird die Wohnung des Paares verwanzt und Undercover-Agenten werden eingesetzt. Drei der Polizeispitzel bewegen sich im Freundeskreis der Mutter, eine Agentin wird sogar ihre beste Freundin. Die Verdächtige vertraut der vermeintlichen Kollegin alles an und belastet so den Kindsvater schwer.

Im Herbst 2013 trennt sich das Paar. Das Verfahren gegen die Mutter wird zwischenzeitlich vollumfänglich eingestellt, Nicolas N. bestreitet die Tat stets. Ende 2018, also acht Jahre nach Janoschs Tod, erhebt die Staatsanwaltschaft schlussendlich Anklage gegen den Solothurner.

Valentin Landmann zur Polizeitaktik
2:41
Verdeckte Ermittlungen:Valentin Landmann zur Polizeitaktik

«Schauspiel wie sonst nur im Kino»

Am ersten Prozesstag sagen die verdeckten Ermittler aus. Per Videoübertragung, anonymisiert und mit verzerrter Stimme, um ihre Identität zu schützen. So auch die Ermittlerin, die der Mutter besonders nahe gestanden hat. Sie sagt aus, die Kindesmutter habe sehr sprunghafte Angaben gemacht. Etwa zum Tod des Sohnes: Einmal machte sie eine Hirnblutung verantwortlich, einmal den plötzlichen Kindstod. Und einmal habe sie ihren Mann gefragt, ob er etwas damit zu tun hatte und er habe es bestritten.

Die Ermittlerin stand der Mutter sehr nah. Töchterchen Sandra nannte sie gar «Tante». Die Anwältin von N. findet das nicht gut. Schliesslich seien die Ermittler aufgeflogen. Ohnehin seien die Polizisten zu weit gegangen. Sie seien perfid vorgegangen, hätten die Kindsmutter mit Alkohol zum Sprechen bringen wollen. Sie hätten sie auch in die Ferien eingeladen. Es sei ein «unfassbares Schauspiel gewesen, wie man es sonst nur aus dem Kino» kenne. Auch per Whatsapp seien intimste Nachrichten ausgetauscht worden.

Inszenierte Schlägerei

Es sei zudem mal eine Schlägerei zwischen den verdeckten Ermittlern vorgetäuscht worden, um zu schauen, wie der Beschuldigte reagiert im Fall eines Streits. Diese Angabe der Anwältin wurde am Prozess durch einen der verdeckten Ermittler bestätigt.

Ein weiterer verdeckter Ermittler, der mit dem Vater Kontakt hatte, sagt am Prozess, er habe vorgetäuscht, ein Model getötet zu haben, um dem Vater ein Geständnis zu entlocken. Erfolglos. Jedoch habe der Vater widersprüchliche Aussagen zum Tod des Sohnes gemacht.

Die Anwältin des Beschuldigten kritisiert auch, dass alle Daten und Fotos der verdeckten Ermittler sichergestellt und vernichtet worden seien. Sie fordert den Beizug weiterer Akten betreffend den verdeckten Ermittlungen, damit ihr Klient ein faires Verfahren habe. Es gehe ihm nicht gut, sein Leben sei «zerstört».

Gericht weist Antrag ab

Der Staatsanwalt kontert und sagt, dass die Beweisanträge der Anwältin betreffend der verdeckten Ermittler bereits einmal abgelehnt worden seien. Hinzu komme, dass er gerne mit dem Beschuldigten die Berichte der verdeckten Ermittler durchgegangen wäre – doch der Beschuldigte habe dies nicht gewollt.

Das Gericht weist die Anträge der Anwältin vom Beschuldigten ab. Das Haftgericht habe den verdeckten Ermittlern Anonymität zugesichert. Zudem hätten sie nach wie vor Einsätze.

Ermittler sieht keine Verfehlungen

Der leitende verdeckte Ermittler sagt vor Gericht, er habe die Einsätze immer begleitet und auch überprüft, dass die Rechtmässigkeit eingehalten wurde. Es habe keine gesetzmässigen Verfehlungen, etwa in Sachen Alkoholkonsum oder Autofahren, gegeben.

Die Verteidigerin des Beschuldigten fragt, was denn genau der Auftrag gewesen sei. Der Ermittler antwortet, dass sowohl belastende als auch entlastende Momente und Indizien beschafft werden sollten – dies im Rahmen der Gesetzmässigkeit des Verfahrens. Zuerst sei dies zum Todesfall vom Buben und später auch zu den Verletzungen des Mädchens gemacht worden. Die Vorgabe der Staatsanwaltschaft sei gewesen, dass die verdeckten Ermittler als Zuhörer tätig sind. Es seien keine technischen Mittel im Einsatz gewesen, um etwas aufzunehmen. Auch die Handys der verdeckten Ermittler hätten nichts aufgezeichnet.

Angeklagter wirkte unsicher

Als Blick den Beschuldigten kürzlich an seinem Wohnort besucht, wirkt er unsicher: «Ich will nichts sagen, ich werde mich dann vor Gericht äussern.» Nicolas N. soll laut einem früheren «SRF»-Bericht sämtliche Taten bestreiten.

Für die erstinstanzliche Verhandlung sind drei Tage anberaumt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

* Namen geändert

Verdeckte Ermittlerin brachte den Durchbruch

Die Kindseltern erschwerten der Solothurner Staatsanwaltschaft mit ihrer Aussageverweigerung die Strafuntersuchung. Daher ordnete die Behörde im Jahr 2012 eine Audioüberwachung ihrer Wohnung an. Im Dezember 2013 genehmigte das Haftgericht auch den Einsatz verdeckter Ermittler.

Nachdem die Undercover-Agenten entlarvt worden waren, beschwerten sich die beiden Betroffenen. Das Obergericht des Kantons Solothurn kam dann zum Schluss, dass die Zwangsmassnahmen tatsächlich unrechtmässig gewesen seien.

Das Bundesgericht sah es anders. Sämtliche Voraussetzungen für Undercover-Ermittlungen seien gegeben gewesen. So würden die vorgeworfenen Straftaten sehr schwer wiegen, und eine anderweitige Untersuchung sei aussichtslos erschienen. Die durch Spitzel erwirkten Aussagen dürfen verwendet werden.

Das Bundesgericht beanstandete aber, die Staatsanwaltschaft habe mit einer Razzia bei der Mutter über die Stränge geschlagen. Nachdem die Agenten aufgeflogen waren, wurden digitale Datenträger bei ihr beschlagnahmt und alle Fotos von den Ermittlern gelöscht. So seien wertvolle Beweise zerstört worden.

Die Kindseltern erschwerten der Solothurner Staatsanwaltschaft mit ihrer Aussageverweigerung die Strafuntersuchung. Daher ordnete die Behörde im Jahr 2012 eine Audioüberwachung ihrer Wohnung an. Im Dezember 2013 genehmigte das Haftgericht auch den Einsatz verdeckter Ermittler.

Nachdem die Undercover-Agenten entlarvt worden waren, beschwerten sich die beiden Betroffenen. Das Obergericht des Kantons Solothurn kam dann zum Schluss, dass die Zwangsmassnahmen tatsächlich unrechtmässig gewesen seien.

Das Bundesgericht sah es anders. Sämtliche Voraussetzungen für Undercover-Ermittlungen seien gegeben gewesen. So würden die vorgeworfenen Straftaten sehr schwer wiegen, und eine anderweitige Untersuchung sei aussichtslos erschienen. Die durch Spitzel erwirkten Aussagen dürfen verwendet werden.

Das Bundesgericht beanstandete aber, die Staatsanwaltschaft habe mit einer Razzia bei der Mutter über die Stränge geschlagen. Nachdem die Agenten aufgeflogen waren, wurden digitale Datenträger bei ihr beschlagnahmt und alle Fotos von den Ermittlern gelöscht. So seien wertvolle Beweise zerstört worden.

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