Nach Shitstorm um Verhaftungsvideos
Was bringen Bodycams?

Nach Aufnahmen, die Polizeigewalt belegen sollen, fordern Polizisten und Politiker Bodycams – trotz mangelnder Wirksamkeit. Einige Kantone haben sie bereits eingeführt.
Publiziert: 30.07.2023 um 11:22 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2023 um 14:52 Uhr
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Ein Polizist reisst einer Frau das Plakat aus den Händen, zieht sie aus der Demo und bringt sie zu Boden. Das Video vom Frauenstreiktag am 14. Juni landet auf Youtube und löst einen Shitstorm aus. Genauso wie ein weiteres Video: Anfang Juli fixieren drei Polizisten einen Elfjährigen am Boden und legen ihm Handschellen an – Shitstorm Nummer zwei.

Und die Polizei? Die fühlt sich missverstanden. Die Videos zeigten nur einen Ausschnitt und verfälschten die Szene.

Letzte Woche forderte der Basler Polizeibeamtenverband in der «NZZ am Sonntag» ein Filmverbot bei Polizeieinsätzen. SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor will dies in der Herbstsession thematisieren. Damit erhält auch ein anderes Thema wieder Schub: Bodycams für Einsatzkräfte. Die Idee: Wenn schon Kameras, dann auf beiden Seiten – Waffengleichheit, sozusagen.

Bodycams sollen Polizistinnen und Polizisten vor gewaltbereiten Bürgern schützen – so die Theorie.
Foto: Keystone
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In Basel-Stadt will der SVP-Grossrat Felix Wehrli einen Vorstoss für deren Einführung bei der Kantonspolizei einreichen. Wehrli hofft, dass durch die Bodycams sowohl die Polizei als auch die Bürger vor falschen Anschuldigungen geschützt werden können. Giovanni Garra, Vizepräsident des Polizeibeamtenverbands, forderte gar, «unverzüglich» Bodycams einzuführen.

In der Schweiz bereits im Einsatz

Mehrere Kantone, Städte und die SBB-Transportpolizei haben bereits Erfahrung mit Körperkameras. Graubünden verabschiedete 2018 als erster Kanton einen entsprechenden Gesetzesartikel. Die Kantonspolizei Bern führte Bodycams letztes Jahr definitiv ein. Auch die Stadt Zürich sprach sich im Juli 2021 für die Anschaffung von 34 Bodycams aus. In allen Fällen werden die Kameras nicht permanent, sondern punktuell eingesetzt – beispielsweise dann, wenn eine Straftat unmittelbar bevorsteht.

Doch was bringen Bodycams – nebst der Beweissicherung – überhaupt? Dirk Baier, Kriminologe an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, hat untersucht, ob sie ein wirksames Mittel zum Schutz von Polizisten sind, aber auch, ob die Minikameras dazu beitragen, Übergriffe der Polizei zu verringern.

Anders als in den USA oder England, wo Körperkameras primär gegen Polizeigewalt eingesetzt werden – und permanent eingeschaltet sind, geht es hier darum, die Polizei vor Gewalt zu schützen.

Die Forscher hatten Zürcher Einsatzteams neun Monate lang mit Bodycams ausgestattet, Vorfälle von Drohungen und Gewalt gegen Beamte sowie Beschwerden gegen sie ausgewertet, rund 300 Polizistinnen und Polizisten befragt.

Das Ergebnis: Eine Bodycam habe zwar keine eskalierende Wirkung – aber auch keine deeskalierende. Baier sagt: «Zum Schutz der Polizisten sind Bodycams eher kein geeignetes Mittel.»

Das deckt sich mit internationalen Befunden: Forscher aus den USA und Australien fanden beim Studium von 30 Studien heraus, dass Körperkameras weder das Verhalten von Polizisten noch das von Bürgern signifikant beeinflussen. Polizeigewalt wurde durch die Kameras nicht verringert. In manchen Studien nahm sie sogar zu. Einzig die Beschwerden gingen zurück. Weshalb, ist unklar.

Polizisten schalten Kameras aus

Dass Bodycams im deutschsprachigen Raum nur punktuell eingeschaltet werden – die Polizei entscheidet über deren Einsatz – lässt auch Missbrauch zu, wie mehrere Fälle belegen. Im letzten August beispielsweise starb in Dortmund (D) ein 16-jähriger Flüchtling, der mit einem Messer auf Polizisten zugelaufen war und dabei von mehreren Kugeln aus einer Polizei-Maschinenpistole getroffen wurde. Die Bodycam der Polizisten war ausgeschaltet. Im Januar 2020 erstickte ein 42-jähriger französischer Kurier bei seiner Festnahme in Paris. Eine Polizistin hatte einen vorangehenden Streit gefilmt, ihre Kamera aber im entscheidenden Moment ausgeschaltet.

Bei Aufnahmen mit einer Bodycam stellen sich auch Fragen zum Datenschutz. Wann darf sie laufen? Wer sieht die Bilder? Wie lange bleiben sie gespeichert? In Zürich setzte der Gemeinderat durch, dass Bodycams bei unbewilligten Demos nicht eingesetzt werden. Zudem dürfen Aufnahmen nicht mit Gesichtserkennungssoftware oder Datensystemen der Polizei verknüpft werden und sind nach 100 Tagen zu löschen.

Ein grösseres Hindernis sieht Kriminologe Baier darin, dass Polizisten Bodycams ablehnen. In seiner Untersuchung gab fast die Hälfte der Befragten an, deren Einsatz kritisch zu sehen: «Einige haben Angst, dass die Aufnahmen gegen sie eingesetzt werden.» Interessant: Die Polizistinnen waren nach dem Pilotversuch kritischer als davor. Daher, sagt Baier, stelle sich die Frage, «wie die Kameras schliesslich eingesetzt und ob die Regeln befolgt werden.»

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