Oft ohne Zusatznutzen
Laser-OPs werden zur Senioren-Melkmaschine

Bei der Behandlung des Grauen Stars blüht ein Geschäft mit fragwürdigen Zusatzprodukten. Fragen sind unerwünscht, die Behörden schauen zu.
Publiziert: 09.09.2024 um 11:13 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2024 um 10:27 Uhr

Auf einen Blick

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Gian Signorell
Beobachter

Von ihrem Besuch in der Augenklinik Heuberger in Olten kam Sibylle Diem überrascht zurück – und beunruhigt. Sie habe den Grauen Star, ihre Augen seien in einem schlechten Zustand. Die Ärzte empfahlen eine Operation mit dem Laser. Kosten pro Auge: 1850 Franken. Bezahlen müsse sie diesen Betrag selbst, die Krankenkassen übernähmen nichts.

Diems Glück: Sie kannte einen pensionierten Augenarzt. Dieser meinte, in seinem Spital hätten sie nie mit Laser operiert. Und so holte sie in der Augenklinik des Inselspitals in Bern eine Zweitmeinung ein.

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Auch hier überraschte Diem die Diagnose – diesmal positiv: «Man gratulierte mir zum guten Zustand meiner Augen.» 

Rund 100'000 Behandlungen des Grauen Stars werden in der Schweiz jährlich durchgeführt.
Foto: Shutterstock
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Sibylle Diem war erleichtert und verärgert zugleich. «Wie kann es sein, dass eine Diagnose so weit danebenliegt?» Der Beobachter hat nachgefragt, doch die Augenklinik Heuberger wollte die Fragen nicht beantworten. Stattdessen schlug die Geschäftsleitung ein Gespräch mit der Patientin vor. Diem lehnte ab.

Der Beobachter-Prämienticker

Es scheint wie ein Naturgesetz: Im Herbst fallen die Blätter und die Krankenkassenprämien steigen. Mit dem Prämienticker übernimmt der Beobachter etwas dagegen: Er recherchiert und publiziert Missstände im Gesundheitswesen, benennt die Verantwortlichen und fordert Lösungen von den Entscheidern.

Es scheint wie ein Naturgesetz: Im Herbst fallen die Blätter und die Krankenkassenprämien steigen. Mit dem Prämienticker übernimmt der Beobachter etwas dagegen: Er recherchiert und publiziert Missstände im Gesundheitswesen, benennt die Verantwortlichen und fordert Lösungen von den Entscheidern.

Wie der Graue Star behandelt wird

In der Schweiz werden jährlich rund 100'000 Behandlungen des Grauen Stars durchgeführt. Dabei wird die natürliche Linse, die sich getrübt hat, durch eine Kunstlinse ersetzt.

Die Ursprünge dieses Verfahrens gehen zurück auf den britischen Augenarzt Harold Ridley. Er implantierte im Jahr 1949 die erste Kunstlinse – nachdem er beobachtet hatte, dass Plexiglassplitter in den Augen der Kampfpiloten des Zweiten Weltkriegs keine Reizung verursacht hatten. 

Ein lukratives Geschäft

Rund um die Behandlung des Grauen Stars hat sich in den letzten Jahren ein blühendes Zusatzgeschäft entwickelt. Dazu gehört vor allem auch das lasergestützte Operationsverfahren.

Dabei werden die Schnitte sowie die Zertrümmerung der getrübten Linse zusätzlich mit einem sogenannten Femtosekundenlaser ausgeführt – statt mit Skalpell und Ultraschall. Die Lasermethode wird meist zu einem Mehrpreis von 1800 bis 2000 Franken angeboten. Die Ultraschallmethode wird komplett von der Krankenkasse übernommen. 

10'000 Franken Umsatz pro Fall

Das rechnet sich. Zählt man die Pauschale von rund 1800 Franken pro Auge hinzu, die Augenärztinnen und Augenärzte von den Krankenversicherern erhalten, generiert ein einziger Grauer-Star-Fall bei der Behandlung beider Augen einen Umsatz von 7600 Franken – für einen Eingriff, der rund 30 Minuten dauert.

Rechnet man noch Vorbesprechungen, Untersuchungen und Nachkontrollen ein, kann ein einziger beidseitiger Katarakt – so der Fachbegriff – rund 10'000 Franken an Umsatz in die Kasse spülen.

Wenig verwunderlich, wird die Lasermethode nicht nur von der Augenklinik Heuberger angeboten, sondern von vielen Arztpraxen prominent beworben. Da ist etwa die Rede von «modernster und sicherer Technologie», «höchster Präzision», «schonenderer Technik». Wer würde sich da nicht dafür entscheiden?

Zumindest, wenn er oder sie nicht vollständig aufgeklärt wurde. Wie dies geschehen müsste, stellt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) klar: Patientinnen und Patienten müssten «auf sachliche und vollständige Weise über alle Informationen verfügen, um in Kenntnis aller Tatsachen einer Behandlung zustimmen zu können».

Wollen Augenpraxen diese Vorgaben befolgen, müssen sie vor allem Folgendes sagen: Die Lasermethode bringt gegenüber der herkömmlichen Ultraschallmethode keine Vorteile. Nur in ganz seltenen Fällen gibt es schwache Hinweise, dass die Lasermethode möglicherweise bei manchen Patientinnen und Patienten einen höheren klinischen Nutzen hat.

Einigkeit in der Forschung

Zu diesem Schluss kommen Forschende der Cochrane-Stiftung in einer aktuellen Vergleichsstudie. Die Stiftung ist ein weltweites Netz von Wissenschaftlerinnen und Ärzten. Ihre oberste Prämisse ist der Verzicht auf finanzielle Förderung durch die pharmazeutische oder die medizinische Industrie. Ihre Ergebnisse gelten als evidenzbasiert und glaubwürdig.

Auch die Schweizerische Ophthalmologische Gesellschaft (SOG) – die Fachgesellschaft der Augenärztinnen und Augenärzte – schreibt in ihrem Patienteninformationsblatt, «dass das Laserverfahren ausser bei wenigen ausgewählten Patientinnen und Patienten keine Vorteile bietet». 

Fragen an Augenärzte

Daraus ergibt sich die Frage: Wie macht man einem Kunden ein Produkt schmackhaft, das zwar 2000 Franken kostet, aber höchstwahrscheinlich keinen Nutzen hat? Der Beobachter hat dazu mehrere Augenzentren angeschrieben, die auf ihrer Website die Lasermethode bewerben.

Etwa das Elza Institute in Dietikon ZH. Leiter Farhad Hafezi antwortete, er sei an einem Kongress und auf Reisen in Indien und könne nicht antworten.

Und zum Beispiel Augenarzt Walter Aus der Au von den beiden gleichnamigen Augenzentren in Bern und Freiburg liess wissen, er diskutiere solche Fragen nur unter Fachleuten – nicht mit dem Beobachter. Er fügte hinzu: «Unsere Behandlungen des Grauen Stars sind äusserst differenziert und werden stets im Interesse des Patienten ausgeführt.» Andere Augenpraxen haben gar nicht geantwortet oder einfach die Vorteile wiederholt, die sie bereits auf der Website aufzählen.

Und was sagen die Behörden?

Wie Ärzte werben dürfen, ist gesetzlich geregelt: objektiv, weder irreführend noch aufdringlich. Zudem muss die Werbung einem öffentlichen Bedürfnis entsprechen.

Aber welchem öffentlichen Bedürfnis entspricht Werbung für eine Behandlung, die zwar teuer ist, aber in der Regel keinen Zusatznutzen hat? Diese Frage stellte der Beobachter den zuständigen kantonalen Aufsichtsinstanzen. 

Bern teilte mit, sie würden nur einschreiten, wenn die Grenzen des Zulässigen krass überschritten würden. Appenzell Ausserrhoden und Freiburg wollen dem Hinweis auf fragwürdige Werbung für Laserbehandlungen nachgehen.

Konkret gehandelt hat nur der Kanton Luzern. Dort war ausgerechnet das Kantonsspital durch offensive Werbung aufgefallen. «Das Luzerner Kantonsspital hatte bis vor kurzem eine Empfehlung pro Laser auf seiner Website publiziert. Diese wurde nun entfernt», so Kantonsarzt Roger Harstall. 

Und schon das nächste Geschäft

Neben der für die meisten ihrer Patientinnen und Patienten nutzlosen laserassistierten Operationsmethode haben Augenärzte eine weitere Möglichkeit entdeckt, um mehr Geld zu machen: Linsen mit sogenannten Zusatzfunktionen, etwa mit Blaulicht- oder UV-Filter, Asphärizität oder mehreren Brennweiten.

Manche dieser Zusatzfunktionen haben einen Nutzen, andere nicht. Alle diese Zusatzfunktionen erfüllen aber bloss Komfortansprüche – keinen medizinischen Zweck. Deshalb müssen Patienten sie selbst bezahlen. 

Ein erstaunlicher Preis

Das kann ins Geld gehen. Diese Erfahrung machte unter anderen Rosemarie Reimann. Ihr offerierte die Augentagesklinik Zürich Oberland in Wetzikon zwei multifokale Linsen, davon eine mit Korrektur der Hornhautverkrümmung für 2860 Franken.

«Der Preis hat mich sehr erstaunt», sagt Reimann. Auf ihre Nachfrage antwortete die Augentagesklinik: Eine Linse, die von der Krankenkasse komplett übernommen werde, würden sie nicht implantieren. 

Das mag umsatzfördernd sein, ist aber möglicherweise gesetzeswidrig.

Leistungserbringer hätten «die obligatorische versicherte Leistung zum vorgesehenen Tarif und ohne zusätzliche Kosten anzubieten», schreibt das BAG auf Anfrage. Als der Beobachter die Augentagesklinik um eine Erklärung bittet, krebst diese zurück: «Wir versorgen einen relevanten Teil unserer Patienten mit zuzahlungsfreien Linsen.»

Rosemarie Reimann hat sich entschieden, ihren Grauen Star anderswo operieren zu lassen.

Linsen mit Blaulichtfilter

Patient Marcel Marti hat die Operation bereits hinter sich. Er liess sich im Augenzentrum Ono in Wallisellen ZH behandeln und bezahlte für zwei Linsen mit der Bezeichnung «Blaulichtfilter IOL» – so steht es auf der Rechnung – 1000 Franken. Wie dem Beobachter vorliegende Dokumente zeigen, liegt der Einkaufspreis für Linsen mit Blaulichtfilter und der Zusatzfunktion Asphärizität bei rund 120 Franken. Die Ono in Wallisellen ist keine Ausnahme, auch diverse andere Augenpraxen bieten solche Linsen für teures Geld an.

Obwohl das Augenzentrum rechtsgültig vom Arztgeheimnis entbunden wurde, wollte es dem Beobachter die genauen Spezifikationen der «Blaulichtfilter IOL»-Linsen nicht nennen. Mit der Identifikationsnummer auf dem Implantateausweis, der jedem Patienten ausgehändigt werde, könne man die Angaben beim Hersteller erfragen, so die Auskunft. Für den Blaulichtfilter ist der Zusatznutzen wissenschaftlich nicht belegt. Haben die Linsen keine zweite Spezifikation, dann hat Marcel Marti 1000 Franken bezahlt für ein Produkt ohne belegten Nutzen.

Es geht auch anders

In der Augenklinik des Inselspitals erhalten Patientinnen und Patienten eine asphärische Linse mit Blaulichtfilter ohne eigene Zuzahlung. «Unsere Klinik setzt auf eine evidenzbasierte und individuell angepasste Behandlung von Augenerkrankungen und empfiehlt ausschliesslich kostenpflichtige Zusatzleistungen, die einen klaren Nutzen für den Patienten haben», sagt Klinikdirektor Martin Zinkernagel.

Ist das Inselspital eine Ausnahme? Der Beobachter hat die Augenkliniken von zwanzig Universitäts- und Kantonsspitälern angefragt, welche Leistungen bei der Behandlung des Grauen Stars ohne Zuzahlung erbracht würden. Das Thema scheint heikel. Kein einziges Spital hat die Fragen beantwortet.

Sibylle Diem erhielt widersprüchliche Diagnosen zum Grauen Star

Vor einigen Jahren sorgte ein Bericht des BAG zu den Ärzteeinkommen für Furore. Dieser wies für die Ärzteschaft viel höhere Einkommen aus als gemeinhin angenommen. Die Augenärzte lagen mit rund 402'000 Franken pro Jahr weit vorn.

«Sie zitieren völlig veraltete Zahlen», sagt SOG-Präsident Christoph Kniestedt. Es habe seither im Tarmed erhebliche Leistungskürzungen und Taxpunktreduktionen gegeben.

Doch Kniestedt irrt. Gemäss Bundesamt für Statistik lag im Jahr 2021 das standardisierte – also auf Vollzeit hochgerechnete – durchschnittliche Netto-Jahreseinkommen der niedergelassenen Augenärzte bei 405'000 Franken.

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