Solarstrom kaufen und verkaufen im Quartier
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Die Zukunft des Strommarktes:Solarstrom kaufen und verkaufen im Quartier

Quartier in Walenstadt SG produziert und vermarktet eigenen Strom
Öko-Pfuus vom Nachbarn

In Walenstadt SG wird der Strommarkt revolutioniert. Solaranlagen-Besitzer verkaufen den Saft direkt an ihre Nachbarschaft. Das ist lukrativ – und klimafreundlich.
Publiziert: 15.11.2018 um 02:52 Uhr
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Aktualisiert: 14.12.2019 um 20:56 Uhr
Anian Heierli

Im Quartier Schwemmiweg in Walenstadt SG blitzen die Hausdächer. Fast jeder hier hat eine eigene Solaranlage. Schweizweit ein Novum: Die Bewohner vermarkten ihren Solarstrom auch selbst. Ein lokaler Strommarkt mit grüner Energie – klimafreundlicher gehts kaum.

Das Wasser- und Elektrizitätswerk Walenstadt (WEW) macht mit. Der regionale Monopolist stellt sein Netz zur Verfügung und liefert weiter Strom, wenn die Solaranlagen der Bewohner im Winter zu wenig Pfuus produzieren. Warum? «Wir verschliessen uns nicht vor Innovationen», sagt Geschäftsführer Christian Dürr (43). «Wir wollen in der Energiezukunft eine aktive Rolle spielen. Der Solarmarkt bietet auch uns Chancen, etwa als Installateur und Berater.»

Walenstadt machts wie Brooklyn

Hurrikan Sandy wütete 2012 rund um New York. Wegen einer Explosion in einem Umspannwerk waren 250'000 Menschen tagelang ohne Strom. Nach der Katastrophe nahm eine innovative Gruppe aus Brooklyn deshalb ihre elektrische Versorgung selbst in die Hand. Auf Lagerhäusern, Fabrik- und Wohngebäuden wurden Solarpanels und Windturbinen installiert. Finanziert haben die Initianten ihr Projekt in der Startphase mittels Crowdfunding.

Langfristig unabhängig sein

Mittlerweile ist so ein autarkes Stromnetz entstanden, das sogenannte Microgrid Brooklyn. Die Technik wird heute vom Konzern Siemens gestellt. Darunter fallen Kontrollsysteme, Konverter und Batterien. Das Start-up-Unternehmen LO3 Energy kümmert sich um die dazugehörige Blockchain-Plattform. Denn wie im Quartier Schwemmiweg in Walenstadt SG handeln auch die Vorreiter aus New York ihren Solarstrom digital und versorgen sich so gegenseitig. Ihr Ziel: langfristig nicht mehr vom nationalen Energiemarkt abhängig zu sein.

Mehr Sicherheit bei Naturkatastrophen

Aktuell speisen über 60 Teilnehmer ihren Strom ins eigene Netzwerk ein. Laut der Zeitung «New York Times» zeigt das Beispiel, wie neue Technologien in der Lage sind, die traditionellen Beziehungen zwischen Elektrizitätswerk und Konsument zu verschieben. Und zwar, «indem sie mehr Kontrolle für Konsumenten schaffen». In Brooklyn steht aber nicht allein der Handel mit Ökostrom im Zentrum. Das System soll auch verhindern, dass beim nächsten Hurrikan erneut die Lichter ausgehen.

Hurrikan Sandy wütete 2012 rund um New York. Wegen einer Explosion in einem Umspannwerk waren 250'000 Menschen tagelang ohne Strom. Nach der Katastrophe nahm eine innovative Gruppe aus Brooklyn deshalb ihre elektrische Versorgung selbst in die Hand. Auf Lagerhäusern, Fabrik- und Wohngebäuden wurden Solarpanels und Windturbinen installiert. Finanziert haben die Initianten ihr Projekt in der Startphase mittels Crowdfunding.

Langfristig unabhängig sein

Mittlerweile ist so ein autarkes Stromnetz entstanden, das sogenannte Microgrid Brooklyn. Die Technik wird heute vom Konzern Siemens gestellt. Darunter fallen Kontrollsysteme, Konverter und Batterien. Das Start-up-Unternehmen LO3 Energy kümmert sich um die dazugehörige Blockchain-Plattform. Denn wie im Quartier Schwemmiweg in Walenstadt SG handeln auch die Vorreiter aus New York ihren Solarstrom digital und versorgen sich so gegenseitig. Ihr Ziel: langfristig nicht mehr vom nationalen Energiemarkt abhängig zu sein.

Mehr Sicherheit bei Naturkatastrophen

Aktuell speisen über 60 Teilnehmer ihren Strom ins eigene Netzwerk ein. Laut der Zeitung «New York Times» zeigt das Beispiel, wie neue Technologien in der Lage sind, die traditionellen Beziehungen zwischen Elektrizitätswerk und Konsument zu verschieben. Und zwar, «indem sie mehr Kontrolle für Konsumenten schaffen». In Brooklyn steht aber nicht allein der Handel mit Ökostrom im Zentrum. Das System soll auch verhindern, dass beim nächsten Hurrikan erneut die Lichter ausgehen.

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Auch das Bundesamt für Energie (BFE) unterstützt das Pilotprojekt Quartierstrom. Es passt in die Klimaschutz-Strategie des Bundes, den CO2-Ausstoss pro Kopf zu senken. Denn gelingt der Kampf gegen den Klimawandel nicht, drohen der Schweiz schon Mitte des Jahrhunderts längere Dürreperioden, heftige Unwetter sowie warme, verregnete Winter. Das zeigen die am Dienstag veröffentlichten Klimaszenarien von MeteoSchweiz und ETH (gestern im BLICK).

Peter Stutz (70) aus Walenstadt SG verkauft seinen Solarstrom bald in der Nachbarschaft.
Foto: STEFAN BOHRER
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Nachbarn handeln per Blockchain

Die Schweiz muss entsprechend umdenken und neue Wege gehen. Wie das Quartier Schwemmiweg. 30 Haushalte machen beim lokalen Strommarkt mit, die Infrastruktur steht bereit. Der Handel kann beginnen. Das funktioniert dank Blockchain-Technologie (siehe Kasten). Solaranlagen-Besitzer setzen online fest, wie viel Geld sie für ihren Strom wollen. Die Abnehmer sagen dann, was sie zahlen möchten. Passen Angebot und Nachfrage zusammen, fliessen Strom und Geld.

So funktioniert Blockchain

Das Thema Blockchain sorgt für einen Hype in der Tech- und Finanzwelt. Am bekanntesten ist die Kryptowährung Bitcoin. Doch wie funktionieren solche Systeme überhaupt? Eine anschauliche Erklärung liefert Jamie Skella, Gründer des australischen Blockchain-Projekts Horizon State.

Der Experte vergleicht Blockchain mit einem Kassenbuch. Immer wenn eine Datentransaktion stattfindet, wird in diesem Buch eine neue Position eingetragen. Das Kassenbuch liegt nicht bei einem Buchhalter. Es gibt mehrere Kopien davon auf den Handys und Computern der Mitglieder im System. Wenn nun durch eine Transaktion eine neue Position eingetragen wird, erscheint diese in sämtlichen Rechnern und wird dort authentifiziert.

Je nach Grösse des Systems werden die Transaktionen auf Tausenden Rechnern gespeichert. Deshalb gilt Blockchain als besonders fälschungssicher.

Das Thema Blockchain sorgt für einen Hype in der Tech- und Finanzwelt. Am bekanntesten ist die Kryptowährung Bitcoin. Doch wie funktionieren solche Systeme überhaupt? Eine anschauliche Erklärung liefert Jamie Skella, Gründer des australischen Blockchain-Projekts Horizon State.

Der Experte vergleicht Blockchain mit einem Kassenbuch. Immer wenn eine Datentransaktion stattfindet, wird in diesem Buch eine neue Position eingetragen. Das Kassenbuch liegt nicht bei einem Buchhalter. Es gibt mehrere Kopien davon auf den Handys und Computern der Mitglieder im System. Wenn nun durch eine Transaktion eine neue Position eingetragen wird, erscheint diese in sämtlichen Rechnern und wird dort authentifiziert.

Je nach Grösse des Systems werden die Transaktionen auf Tausenden Rechnern gespeichert. Deshalb gilt Blockchain als besonders fälschungssicher.

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Einer, der im Quartier lebt und Solarstrom produziert, ist Rentner Peter Stutz (70). «Wir erhoffen uns eine Win-win-Situation für alle», sagt er zu BLICK. Heisst konkret: Wenn Stutz die Kilowattstunde für 15 Rappen verkauft, bekommt er mehr als vom Elektrizitätswerk. Überschüssigen Strom verkaufte man dort bislang für 11 Rappen pro Kilowattstunde. Schon lange sorgen tiefe Einspeise-Vergütungen und lange Wartelisten schweizweit für Ärger (BLICK berichtete). Doch solche Sorgen sind durch den lokalen Strommarkt am Schwemmiweg vorbei.

Gleichzeitig zahlt der Abnehmer weniger als bisher. Denn aktuell kostet der Strom aus der Steckdose 21 Rappen. Der grosse Vorteil des lokalen Marktes: Es fallen viel tiefere Kosten an, als wenn der Strom von einem grossen Versorger kommt.

Nachbar Stutz: «Es muss sich finanziell lohnen»

Rentner Stutz betont: «Für uns Anwohner muss sich das Projekt vor allem finanziell lohnen.» Aus seiner Sicht muss sich eine zukunftsträchtige Lösung auch positiv im Geldbeutel niederschlagen. Wichtig ist ihm auch der geplante Atomausstieg: «So helfen wir, Atomstrom zu ersetzen.»

ETH-Ingenieur Sandro Schopfer (36) leitet das Projekt. Die Vorteile liegen für ihn auf der Hand: «Der lokale Austausch von Strom wird begünstigt, die Einspeise-Tarife sind günstiger als beim Versorger, und auch die Stromkosten für Verbraucher sind tendenziell tiefer.» Er erklärt: «Mit lokalen Strommärkten lassen sich auch grössere Anlagen – etwa auf einem Bauernhof – gut ausnutzen.»

Das neue Projekt soll in einem Jahr ausgewertet werden – finanziell wie ökologisch. Schon heute gibt es im Quartier Schwemmiweg Batteriespeicher, die den Anwohnern gehören. Gelingt die Energiewende hier im Kleinen, könnte das Quartier zum Vorbild für die ganze Schweiz werden.

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