Streit um St. Galler Alphütten
«Der Kanton hat uns alle enteignet»

Die Alphütten gehören dem, der den Boden besitzt. So will es das Zivilgesetzbuch. Im Kanton St. Gallen wurde das lange anders gehandhabt. Jetzt wurde die Praxis geändert – und Eigentümer wie Josef Koller (67) haben das Nachsehen.
Publiziert: 28.03.2022 um 17:37 Uhr
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Aktualisiert: 29.03.2022 um 13:48 Uhr
Georg Nopper

Josef «Schäfli-Sepp» Koller (67) aus Alt St. Johann SG hat eine Alphütte auf der Alp Flis. Im Jaunar 2019 hat eine Lawine einen Grossteil davon zerstört. Koller investierte über 500'000 Franken – und jetzt soll ihm die Alphütte im Toggenburg plötzlich nicht mehr gehören.

Grund dafür ist, dass der Kanton ein eigentlich über Hundert Jahre altes Gesetz, das er bisher nicht konsequent anwandte, plötzlich umsetzt. Das Zivilgesetzbuch schreibt vor, dass ein Gebäude demjenigen gehört, dem der Boden gehört. Auf der Alp Flis gehört der Boden jedoch nicht Koller und den anderen Älplern, sondern der Alpkorporation. In der Praxis wurden Koller und die anderen Betroffenen bisher trotzdem wie Eigentümer behandelt.

Alpkorporation bekam auf einen Schlag 47 Briefe

Koller hat die Alphütte, die einst seinem Grossvater gehörte, von seinem Onkel übernommen. Weil er selbst eine Gaststätte betreibt und nicht in der Landwirtschaft tätig ist, verpachtet er sie einem Bauern, der dort im Sommer Vieh hält. Koller hat gut zu der Alphütte geschaut und neben dem ganzen Geld auch viel Herzblut investiert. «Ich habe immer die Rechnungen der Gebäudeversicherung bezahlt, auch die Gebühren für die Baubewilligungen gingen auf meine Kosten.»

Um die Toggenburger Alphütten – hier eine Aufnahme von der Alp Flis – ist ein heftiger Streit ausgebrochen.
Foto: Zvg
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Vor zwei Jahren gingen die Briefe der Gebäudeversicherung St. Gallen (GVA) plötzlich allesamt an die Alpkorporation – und nicht mehr an die Alphüttenbesitzer, wie der Alppräsident gegenüber SRF erklärt. Über die geänderte Praxis sei er nie informiert worden. Auf einmal habe er einfach auf einen Schlag 47 Briefe von der GVA bekommen.

Nur noch Weidenutzungsrechte im Grundbuchauszug

Auch Koller sagt, die Behörden hätten die Praxisänderung einfach durchgezogen, ohne mit den Betroffenen zu reden. «Wir wurden nicht informiert. Man hat uns einfach alle enteignet», sagt er zu Blick.

Koller kann einen alten Auszug des Grundbucheintrags vorweisen, aus dem hervorgeht, dass er als Erbe seines Grossvaters «selbständige Anteilrechte» an der Alphütte und den dazugehörigen Gebäuden geniesst. Doch inzwischen ist alles anders. Koller verlangte einen neuen Grundbuchauszug für seinen Anteil an der Alpkorporation Flis und fiel aus allen Wolken: «Die Gebäude sind einfach verschwunden». Zudem ist dort nur noch von «Weidenutzungsrecht» die Rede.

Rund 800 Gebäude betroffen

Koller will sich die «Enteignung» durch den Kanton nicht gefallen lassen. Er hat beim Departement des Innern des Kantons St. Gallen eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht.

Von der geänderten Praxis sind rund 800 Gebäude betroffen. Am vergangenen Mittwoch hat der Kanton bei einem Informationsabend in Wildhaus zum ersten Mal Stellung bezogen. Alexander Gulde, der Leiter des Amts für Gemeinden und Bürgerrecht im Kanton St. Gallen, ist überzeugt, dass der Kanton nichts falsch gemacht hat: «Nach unserer Einschätzung gehören diese Alpgebäude seit Jahrzehnten – seit der Einführung des Zivilgesetzbuches in der Schweiz – den Alpkorperationen.»

Der Kanton wolle Hand bieten für Lösungen, hiess es. Doch der Ball liege nun bei den Alpkorporationen. Wie der Sachverhalt am Ende geregelt wird, ist unklar. Mögliche Lösungen wären einzelne Verträge zwischen Älplern und den Alpkorporationen oder Baurechtsverträge. Im Kanton Uri etwa gibt es speziell für Alpen ein «Baurecht auf Allmend». Im Kanton Bern können Baurechte im Grundbuch eingetragen werden, zudem können unter bestimmten Umständen überlieferte Baurechte geltend gemacht werden.

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