Sogar der Pöstler fiel aus allen Wolken
Sybille Vetsch (45) bekam 30 Betreibungen – an einem Tag!

Eine wahre Flut an Betreibungen ergoss sich letztes Jahr über Sybille Vetsch (45) und ihr Treuhandbüro. 30 Briefe erhielt sie an einem Tag! Für den Absender der Betreibungen, die Softwarefirma Bexio, ist klar: Vetsch hat nicht bezahlt. Diese sieht das natürlich anders.
Publiziert: 12.09.2024 um 20:06 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2024 um 10:22 Uhr
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Sandro ZulianReporter News

Ungern erinnert sich Sybille Vetsch (45) aus Frauenfeld TG an den Tag im September vor einem Jahr. «Der Pöstler kam rein und fragte, ob ich länger Zeit hätte. Er müsse sich setzen.» Dann habe er stapelweise Betreibungen ausgepackt und verlangte von Vetsch, den Erhalt zu bestätigen. «Wir brachten ihm sogar einen Kaffee, weil es so lange dauerte.»

Hintergrund dieser 30 Betreibungen, die der Treuhänderin im Herbst 2023 regelrecht um die Ohren flogen, ist die frühere Zusammenarbeit mit der Firma Bexio. Das Unternehmen bietet Lösungen für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) an. Buchhaltung, Offerten, Lohnzahlung: Mit Bexios Programm lässt sich alles steuern – zugeschnitten auf das jeweilige Unternehmen.

Am Anfang eng mit Bexio zusammengearbeitet

Vetsch war in der Vergangenheit im «Bexio Partner-Programm» für Treuhänder. Ein Geben und Nehmen: Bexio akquiriert Neukunden, die Treuhänder arbeiten die Neukunden mit dem Programm ein. Es sollte Win-Win-Geschäft werden: Bexio spart sich die Arbeit, die Treuhänder haben einen potenziellen Neukunden für die Zukunft. Einen «Lead», wie man in der Fachsprache sagt. Dazu hatte Vetsch ein spezielles Bexio-Konto, mit dem sie Zugriff auf die Accounts der Kunden hatte.

Fast 30 Betreibungen flatterten bei Sybille Vetsch (45) an einem einzigen Tag ins Haus.
Foto: Sandro Zulian
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Ende 2021 beendeten Vetsch und Bexio aber die Zusammenarbeit. Grund: Aus Vetschs Sicht hat Bexio ihr nicht genug Kunden zugeschanzt. Und: Die Treuhänderin findet, mit ihrem Engagement zu wenig verdient zu haben: «Die Kosten für den Service gingen voll an Bexio.»

Nach dem Schlussstrich verschwanden «ihre» Bexio-Kunden aus Vetschs Partner-Account. Und wurden in ihrem Konto auch nicht mehr angezeigt, wenn sie sich einklinkte. Das Konto behielt sie jedoch – für ihre bestehenden Kunden, die noch beim Software-Anbieter angemeldet waren.

Die Sache sollte laut Vetsch gegessen sein

Im Jahr darauf ging es dann los. Mahnungen für eine grosse Anzahl von Software-Paketen ihrer ehemaligen Kundenkontos gingen plötzlich ein. «Damals rief ich an und sagte, dass hier etwas nicht stimmt», sagt Vetsch. Blick liegt ein E-Mail-Verlauf mit einem Teamleiter von Bexio vor, der zeigt, dass dieser sich der Sache annahm und ihr zusicherte, die Kontos zu löschen. Es schien alles geklärt.

Doch dann flatterten wieder Mahnungen und Inkassobriefe in den Briefkasten. Auf abermalige Nachfrage sagte Bexio Vetsch, dass sie noch immer als Rechnungsempfängerin der gemahnten Kontos hinterlegt sei. Bexio selber könne die Rechnungsempfängeradresse nicht ändern, weil Bexio selber auch keinen Zugang auf die Kundenkontos habe. Das habe nur der Kunde selber. Vetsch müsse in diesem Fall sämtliche alten Kunden kontaktieren und die Sache in Ordnung bringen.

Dann, vor einem Jahr, kamen die Betreibungen. «Wie soll ich denn etwas bezahlen oder kündigen, auf das ich schon lange keinen Zugriff mehr habe?», fragt Vetsch. «Bei mir ist nichts offen!», ist sie sich sicher.

Der Fehler liege bei der Softwarefirma, und die Betreibungen seien heute noch pendent, Bexio habe nach Vetschs Rechtsvorschlag keine Fortsetzung der Betreibung verlangt. Ein Indiz dafür, dass Bexio sich selbst nicht sicher sei. Was die Fehlersuche ebenfalls nicht vereinfacht: Die Bexio-Forderungen sind auf vielen Dokumenten nur sehr allgemein beschrieben: ‹Offene Rechnung vom 08.08.2022›, heisst es da etwa.

«Sie hat offene Rechnungen»

Bexio bestreitet alles Vorwürfe: «Frau Vetsch hat nachweislich mehrere Dutzend Bexio-Pakete gekauft und entsprechend offene Rechnungen bei uns», sagt Mediensprecherin Jennifer Maurer.

Bexio habe sich mehrfach um die Bereinigung der Angelegenheit bemüht: «Es fand nachweislich ständiger Austausch mit Frau Vetsch seitens Ansprechpartner, Buchhaltungsabteilung und Inkassopartner statt. Wir haben persönlich versucht, Frau Vetsch mehrfach telefonisch zu erreichen, um einen Termin zu vereinbaren, um die Angelegenheit persönlich zu bereinigen. Leider ohne Erfolg.»

Es sei zu jeder Zeit alles richtig gelaufen, so Jennifer Maurer: «Seitens Bexio sind uns keine Fehler bekannt.» Der Softwarehersteller sei sehr verständnisvoll gewesen: «Wir haben auf kulante und entgegenkommende Art und Weise versucht, alles mit Frau Vetsch persönlich zu klären.»

Eine Auflistung aller offenen Posten bekommt Blick auch. Auf dieser Liste schuldet Sybille Vetsch 6930 Franken. Auf der Liste, die Vetsch im August von Bexio bekam, waren es noch 5875 Franken. Tendenz steigend.

Das Geschirr zwischen Bexio und Sybille Vetsch ist zerschlagen. Für die Treuhänderin bedeutet das: Der Berg an Betreibungen dürfte in Zukunft noch wachsen.

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