«Für die Kinder ist das cool»
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Berlinger zum Hochwasser:«Für die Kinder ist das cool»

Thurgauer Gemeinden Berlingen und Gottlieben bereiten sich auf Hochwasser vor
«Der Sonntag wird entscheidend»

Die Niederschläge der letzten Wochen liessen den Pegelstand des Bodensees bedrohlich steigen, es herrscht Gefahrenstufe vier von fünf. Die Bewohnerinnen und Bewohner der betroffenen Gemeinden Gottlieben TG und Berlingen TG sind parat – und nehmen es mit Humor.
Publiziert: 08.06.2024 um 15:44 Uhr
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Aktualisiert: 08.06.2024 um 19:15 Uhr
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Sandro ZulianReporter News

Die Stimmung in Berlingen TG am Untersee ist ausgelassen. Kinder spielen auf einem überfluteten Parkplatz, Touristen machen Fotos der Ausnahmesituation. «Für die Kleinen ist das natürlich richtig cool», sagt Astrid Kern (50) aus Berlingen. Sie steht mit ihrer Tochter Lilly (15) auf dem provisorischen Steg, den die Gemeinde erstellen liess. Ohne diesen kämen Schiffspassagiere nicht mehr zur Anlegestelle. 

Der Hafenbereich ist geflutet, Gehwege, Sitzbänke, Abfalleimer, alles steht an die 20 Zentimeter unter Wasser. Tochter Lilly reicht das noch nicht. «Ich fände es noch cool, denn ich habe noch nie ein richtiges Hochwasser erlebt», rutscht es der Teenagerin raus und sie hält sich sogleich die Hand vor den Mund. Die Aussage könnte sich bald bewahrheiten, denn ab Sonntag könnte sich der Pegel des Bodensees noch einmal gefährlich erhöhen.

Einer der höchsten, je erreichten Pegelstände in Berlingen lag am 24. Mai 1999 auf 397,657 Meter über Meer. Markierungen auf einem Haus an der Seestrasse zeugen davon. Aktuell liegt der Stand noch komfortable 76 Zentimeter darunter und auch vom Stand des Hochwassers 2016 ist man hier noch 14 Zentimeter entfernt, heisst es auf Anfrage beim Bundesamt für Umwelt (Bafu). Nein, wünschen tut sich hier ein Hochwasser niemand.

Hochwasserschutz mit Sandsäcken und Pflastersteinen vor dem Restaurant Hirschen in Berlingen TG.
Foto: Sandro Zulian
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«Wir sind offen!»

«Jetzt hat gerade jemand angerufen und gesagt, sie kämen nicht, weil sie denken, unsere Terrasse stehe unter Wasser», sagt Sinan Oswald (27) und lacht, während er barfuss fast knietief im Wasser steht und mit Blick spricht. Der Geschäftsführer des Restaurants «Zum Schiff» in Berlingen nimmt die Sache mit Humor.

«Wir und auch der ‹Hirschen› nebenan sind offen!», sagt er mit Nachdruck in die Kamera. Auf seiner Anzeigetafel neben der Strasse prangt nun der Schriftzug: «Hochwasserterrasse geöffnet.» Zum Schutz hat er in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Ziegelsteine vor die Zugänge zur Terrasse hingemauert. Bislang funktioniert diese Taktik, die Gäste dinieren im Trockenen.

«Ich konnte im Keller schwimmen!»

Ein rüstiger Rentner spaziert an der Szenerie vorbei und grinst schelmisch. Es ist Josef Zeller, mit seinen 98 Jahren einer der ältesten Berlinger. «Das? Das ist doch kein Hochwasser!», sagt er und lacht. Zeller wurde 1926 geboren. Auch ein Hochwasserjahr, auch verewigt am Haus an der Seestrasse.

«Diese Schächte hier», sagt Zeller und zeigt mit seinem Gehstock auf die Strasse, «sind für mich schon jahrzehntelang ein Zeichen. Wenn es hier raussprudelt, dann wird es langsam ernst.» Die Situation jetzt sei für ihn «Humor und Spass», sagt der, der alles erlebt hat. «1999 hatte ich 60 Zentimeter Wasser im Keller. Ich konnte darin schwimmen!»

«Ganz gut, dass das Haus nicht mir gehört»

Nur wenige Meter neben dem überfluteten Parkplatz in Berlingen steht ein Wohnhaus. Der Eingangsbereich ist mit einer Reihe Pflastersteinen umrahmt, der Zugang zum See mit Brettern verbarrikadiert. Cynthia S.*, die nicht mit Foto und Namen in der Zeitung erscheinen möchte, wohnt hier – im ersten Stock. «Zum Glück», sagt sie. Ständig wuselt sie umher und verschwindet im Keller. Er steht jetzt schon unter Wasser. «Irgendwo kommt es hier rein. Aber ich weiss einfach nicht, wo genau.»

Pumpen säumen den feuchten Boden und S. versucht beständig, das einlaufende Wasser zu stoppen. Viel könne man dagegen aber nicht machen. «Ausser, die Sachen im Keller aufzuhängen.» Ein Profi-Tipp, den nun auch die Nachbarin, die es beim letzten Mal vergessen hatte, beherzigt. Auch S. nimmt die Sache mit viel Gelassenheit und Humor. «Wenn man am See wohnt, muss man immer damit rechnen. Eigentlich ganz gut, dass das Haus nicht mir gehört.»

«Wir stehen vielleicht so oder so in der Sauce»

Auf der Fahrt von Berlingen TG nach Gottlieben TG ist eindrücklich zu sehen, wie hoch der See schon steht. «Man muss schon fast den Blick heben, um die Schiffe zu sehen», sagt der Wirt eines nahen Restaurants. In Gottlieben präsentiert sich ein ähnliches Bild. Die Feuerwehr hat lange, rote, mit Wasser gefüllte Schläuche an der Promenade aufgebaut, um das Wasser und die Wellen abzuhalten.

«Wie wir es auch immer machen, wir stehen vielleicht so oder so in der Sauce», sagt Roger Reinhard (50), Stabschef des regionalen Führungsstabes Kreuzlingen. «Der Sonntag wird entscheidend. Denn wir wissen nicht: Kriegen wir Wasser von oben, oder Hochwasser vom See?»

Träte zweites Szenario ein, böten die Schläuche einen guten Schutz. Falls es aber Starkregen gäbe, würde das Wasser aus den bewohnten Gebieten genau wegen dieser Dämme nicht mehr in den See retourfliessen können. «Es ist ein Abwägen. Auf welches Ereignis bereiten wir uns vor? Wir haben uns jetzt für das Seehochwasser entschieden. Dann schauen wir weiter.» 

*Name geändert 

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