Papst-Berater Rutishauser
«Das Judentum steht zwischen allen Fronten»

Christian Rutishauser berät Papst Franziskus in Fragen zum Judentum. Der Schweizer Jesuit warnt vor Antisemitismus.
Publiziert: 31.03.2024 um 10:30 Uhr
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Aktualisiert: 31.03.2024 um 11:09 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Herr Rutishauser, lassen Sie uns über Ihr Lebensthema reden: den christlich-jüdischen Dialog. Was hat sich da seit dem Angriff der Hamas auf Israel geändert?
Christian Rutishauser: Bislang war der Referenzpunkt für diesen Dialog die Aufarbeitung des Holocausts. Der Angriff vom 7. Oktober zeigt, wie verletzlich Israel ist und wie salonfähig neue Formen des Antisemitismus sind. Ein neuer Fokus kommt hinzu.

Zum christlichen Antijudaismus gehörte jahrtausendelang der Vorwurf, die Juden hätten Jesus ermordet.
In der Woche des Osterfestes hatte der Judenhass lange Zeit seinen Höhepunkt. Die Pogrome im Mittelalter gingen oft von der Karwoche aus. Judas, der Verräter, wurde zum Feindbild, nach dem Motto: «So sind alle Juden.» Nach dem Holocaust haben die Kirchen diese Sicht korrigiert. Wir bekennen uns klar zu unseren jüdischen Wurzeln: Jesus war Jude. Und er wurde unter Pontius Pilatus gekreuzigt, wie es im Glaubensbekenntnis heisst – auf Befehl eines Römers also.

Karfreitag in Jerusalem: Früher wurde Juden vorgeworfen, Jesus ermordet zu haben.
Foto: Getty Images
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Nach dem 7. Oktober sangen einige Christen keine Psalmen mehr, in denen das Volk Israel positiv vorkommt – um Muslime nicht zu verärgern.
Hier zeigt sich die Dimension des Konflikts. Das Judentum steht zwischen allen Fronten. Früher stritt Europa um die «Judenfrage» und Hitler versuchte eine «Endlösung». Heute wird das Existenzrecht Israels auf globaler Ebene in tragischer Weise wieder infrage gestellt.

Kann man den Karfreitag aktualisieren und sagen, das Judentum werde angefeindet und ans Kreuz genagelt?
Eine solche Sprache mag ich nicht. Israel ist ein jüdischer Staat, die meisten Einwohner sind Juden und haben gerade Purim gefeiert – und nicht Ostern. Purim erzählt die Geschichte der Königin Ester, die einen Völkermord verhindert. Damit deuten Juden zu Recht ihre Geschichte. Die Christen (in Israel und Palästina leben rund 230 000 Christen; Red.) aber sollen und dürfen ihr Leiden vom Karfreitag her verstehen. Die Botschaft der Hoffnung lautet: Mit Christus kann der Teufelskreis von Gewalt und Hass durchbrochen werden. Durch seine Wunden können unsere Wunden heilen.

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«Heute wird das Existenzrecht Israels infrage gestellt.»
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Die israelische Regierung wirft Papst Franziskus vor, gegenüber der palästinensischen Seite allzu viel Verständnis zu üben.
Für Papst Franziskus steht das Humanitäre an erster Stelle. Es geht darum, Menschen in Not zu retten – unabhängig von der Volkszugehörigkeit. Er leidet mit den israelischen Geiseln ebenso wie mit den palästinensischen Opfern.

Die Mehrheit der Schweizer gehört keiner Kirche mehr an. Können auch Atheisten Kraft aus dem Osterfest schöpfen?
Wer sich vom Christentum abwendet, der sucht wohl keine Osterbotschaft. Doch sie will alle Menschen erreichen: Liebe ist stärker als der Tod. Letztlich siegt Gottes schöpferische Kraft und schenkt uns den Neuanfang.

Persönlich

Christian Rutishauser (58) stammt aus St. Gallen und ist promovierter Judaist. Er arbeitet bei den Jesuiten in München (D) und berät Papst Franziskus in Fragen zum Judentum.

Christian Rutishauser (58) stammt aus St. Gallen und ist promovierter Judaist. Er arbeitet bei den Jesuiten in München (D) und berät Papst Franziskus in Fragen zum Judentum.

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