Peter Spuhler über Erben, Arbeiten und Stress mit der EU
«Auch wenn es rumpelt: Das muss man aushalten»

Im Blick-Interview äussert sich Peter Spuhler unter anderem zur heutigen Besitzerfamilie von Sika, Erbschaftssteuer und Masseneinwanderungs-Initiative. Und er erklärt, weshalb der starke Franken eine blutige Spur hinterlassen wird.
Publiziert: 30.05.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.10.2018 um 05:01 Uhr
13 Jahre sass Peter Spuhler (56) für die SVP im Nationalrat. Ein politisches Comeback als Ständerat schliesst er aus.
Foto: Mirko Ries
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Von Guido Schätti (Interview) und Mirko Ries (Foto)

BLICK: Herr Spuhler, Sie haben sich selbst nach oben gearbeitet. Finden Sie es richtig, wenn anderen der Reichtum in den Schoss fällt, weil sie erben und dafür nicht einmal Steuern bezahlen müssen?
Peter Spuhler:
Ich bin nicht grundsätzlich gegen eine Erbschaftssteuer. Dann muss aber die Vermögenssteuer weg. Beides geht nicht. Nur fünf Länder kennen beide Steuern. So wird den Firmen zu viel Substanz entzogen. Für uns Unternehmer ist Kapital das Werkzeug, mit dem wir arbeiten.

Der Milliardär Hansjörg Wyss ist der Meinung, eine Steuer von 20 Prozent auf Erbschaften sei verkraftbar.
Er hat gut reden, er hat seine Firma verkauft und Milliarden gemacht. Die Gegner der Initiative haben aber zum Ziel, die Unternehmen in Familienbesitz zu behalten. Unternehmer haben ihr Vermögen nicht auf der Bank oder horten es zu Hause unter der Matratze. Das Geld ist in der Firma investiert. Dafür zahlen wir schon heute viel Steuern. Ich liefere mit der Einkommens- und Vermögenssteuer jedes Jahr ein Prozent des Unternehmenswertes dem Staat ab. Wenn jetzt noch 20 Prozent hinzukommen sollen, muss ich über 30 Jahre hinweg 50 Prozent der Firmensubstanz an Steuern zahlen. Für grössere Unternehmen wird der Generationenwechsel dadurch fast unmöglich. Man müsste die Firma verkaufen oder Finanzinvestoren an Bord holen. So würden Investitionen erschwert und Arbeitsplätze gefährdet.

Die Gegner der Initiative behaupten, die Erbschaftssteuer würde auch bei Firmenvermögen 20 Prozent betragen. Im Initiativtext steht aber, dass der Satz so angepasst würde, dass er weder den Fortbestand des Unternehmens noch Arbeitsplätze gefährdet.
Die Initianten haben während des Abstimmungskampfes gemerkt, dass die Initiative zu einem Desaster führt. Deshalb versuchen sie jetzt, die Stimmbürger mit Rabatten zu locken. Erst war die Rede von einem Freibetrag von zehn Millionen Franken, nun ist man bei 50 Millionen und einem Steuersatz von fünf Prozent.

Dadurch würden die KMU und ihre Arbeitsplätze geschützt.
Unter dem Strich geht die Rechnung aber nicht auf. Heute bringt die Erbschaftssteuer den Kantonen jährlich 900 Millionen ein. Durch die jetzt vorgeschlagenen Rabatte fallen die Einnahmen der Kantone deutlich unter dieses Niveau. Die Löcher in den Kantonskassen müssten dann durch höhere Steuern auf Einkommen oder Liegenschaften gestopft werden.

Nicht alle Erben haben für ihren Reichtum gearbeitet. Die heutige Besitzerfamilie von Sika hat nie einen Finger gerührt für das Unternehmen. Sie verkauft es nun für 2,8 Milliarden ins Ausland und nimmt in Kauf, dass der neue Besitzer die Firma ausbluten lässt. Mit einer Erbschaftssteuer könnte sich der Staat schadlos halten.
Ich finde es auch katastrophal, wie die Familie Burkard den Verkauf ihrer Sika-Aktien aufgegleist hat. Ich hätte das sicher nicht so gemacht. Der Fall Sika hat aber überhaupt nichts mit der Erbschaftssteuer zu tun. Es gibt viele Beispiele von Familien, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, etwa die Familien Hoffmann und Oeri bei Roche oder die Familie Schindler.

Werden Ihre Kinder einmal Stadler Rail übernehmen?
Ich bin noch so jung und dynamisch, dass die Nachfolge kein Thema ist (lacht). Nein, im Ernst: Es ist durchaus möglich, dass sich eines meiner drei Kinder dafür interessieren wird, in die Firma einzusteigen. Ich bin aber nicht ein Vater, der das Gefühl hat, die Kinder müssten dasselbe machen wie die Eltern. Deshalb bin ich entspannt und warte, was auf mich zukommt.

Was wäre die Alternative?
Um die Unabhängigkeit von Stadler Rail zu sichern, könnte man die Firma auch an die Börse bringen. Dann wäre Stadler Rail eine kotierte Firma wie Tausende andere in Europa. Eine Vinkulierung für die Familienaktionäre wie bei Sika gäbe es aber nicht. Das kann ich heute schon sagen.

Die Erbschaftssteuer soll die AHV sanieren. Dort werden wir schon in wenigen Jahren ein Problem haben. Wie wollen Sie das Loch ohne die Erbschaftssteuer stopfen?
Die Verknüpfung mit der AHV ist eine beliebte Mogelpackung. Sobald es um die AHV geht, sind die Bürger eher bereit, ein Ja in die Urne zu legen. Spätestens nach 2030 werden wir in der AHV ein jährliches Defizit von 8,5 Milliarden Franken haben. Da reichen die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer bei weitem nicht. Vor allem, wenn noch Rabatte gegeben werden. Wir müssen die AHV als Gesamtpaket nachhaltig sanieren.

Linke Initiativen haben sich in den letzten Jahren gehäuft. Sehen Sie dies als Zeichen für einen poli­tischen Richtungswechsel?
Die Schweizer denken in der Mehrheit nach wie vor sehr bürgerlich. Es ist erstaunlich, über wie viele linke Initiativen wir im Fahrwasser von Minder in den letzten Jahren abgestimmt haben. Das Volk hat sie klar abgelehnt. Es wäre schön, wenn das Parlament und der Bundesrat ebenso klar bürgerlich politisieren würden.

Das bürgerliche Lager ist gespalten wegen Blocher und der Europafrage. Hat die SVP die bürgerliche Schweiz geschwächt?
Es ist sicher nicht die Schuld der SVP, wenn man keine Geschlossenheit innerhalb der bürgerlichen Parteien im Parlament hinkriegt. Das Problem liegt in der Mitte. Die neuen Parteien BDP und GLP haben zu einer Zerstückelung geführt. Wir sehen bei kantonalen Wahlen, dass man sehr viel erreichen kann, wenn die drei grossen bürgerlichen Parteien SVP, FDP und CVP zusammenstehen.

Aber die SVP hat mit der Masseneinwanderungs-Initiative den Bürgerblock gespalten.
Das Verhältnis zu unserem wichtigsten Handelspartner, der EU, ist aussenpolitisch sicher das zentrale Thema. Ich bin der Meinung, dass die bilateralen Verträge der einzige Weg sind, um einen EU-Beitritt der Schweiz zu vermeiden. Ich habe diesen Weg immer verteidigt, teilweise auch gegenüber meiner eigenen Partei.

Die Masseneinwanderungs-Initiative stellt die Bilateralen in Frage.
Aus meiner Sicht war das Ja ein Unfall. Viele Bürger wollten Dampf ablassen und haben die Konsequenzen unterschätzt. Man muss Verständnis haben, dass nicht alle Gewinner der Globalisierung sind und einer Öffnung zustimmen. Es gibt auch Verlierer. Zudem ist die Zuwanderung enorm hoch. Jedes Jahr so viele neue Einwohner zu integrieren, wie die Stadt Winterthur zählt, ist auf Dauer nicht möglich. Ich finde es richtig, dass dieses Thema vom Volk auf die politische Agenda gesetzt wurde. Auch wenn es schwierig ist und ein bisschen rumpelt mit der EU, muss man das aushalten.

Was wären die Folgen für Stadler Rail, wenn die Bilateralen fielen?
Wir müssten die internationalen Ausschreibungen zukünftig aus einem unserer Schwesterwerke in Deutschland, Polen oder Ungarn abwickeln. Die Schweiz stünde im Offside. Das Ende der bilateralen Verträge wäre für die gesamte Exportindustrie eine Katastrophe.

Wie kommen wir da heraus?
Ich erwarte, dass der Bundesrat mit einer mehrheitsfähigen Lösung aus Brüssel zurückkommt. Wahrscheinlich wird es nochmals zu einer Abstimmung kommen. Dann kann das Volk abschliessend entscheiden, ob es die Bilateralen will oder nicht.

Wie kommt Blocher dazu zu behaupten, die Schweizer Wirtschaft brauche die Bilateralen nicht?
Das müssen Sie ihn fragen. Ich beurteile das anders. Natürlich können wir für ausländische Arbeitskräfte Kontingente einführen. Dann würden wir aber mit grosser Sicherheit den Zugang zum europäischen Binnenmarkt verlieren. Das würde auch die Banken und Versicherungen hart treffen.

Nach dem Frankenschock im Jahr 2011 sind Sie aus dem Parlament ausgetreten, um sich ganz Stadler Rail zu widmen. Heute ist der Franken noch stärker. Was unternehmen Sie jetzt?
Dasselbe wie damals: Kosten senken, neue Märkte erschliessen, neue Produkte entwickeln, Einkaufsvolumen vom Franken in den Euro verschieben. Wir haben zudem die Arbeitszeit von 42 auf 45 Stunden erhöht. Als letzte Massnahme müssten wir Aufträge aus der Schweiz in eines unserer Werke in Zentraleuropa verschieben. So weit sind wir zum Glück noch nicht. Wir werden dafür kämpfen, dass es auch nie eintritt.

Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt erwartet den Verlust von 40 000 Arbeitsplätzen, wenn der Franken bei der Parität bleibt.
Prognosen sind schwierig. Ich befürchte aber, dass der starke Franken eine blutige Spur in der Maschinen- und Elektroindustrie hinterlassen wird.

Konjunkturforscher haben bereits Entwarnung gegeben.
Wenn Wirtschaftsprofessoren verkünden, es sei alles halb so schlimm, kann ich nur staunen. Sie denken viel zu kurzfristig. Jetzt ist der Auftragsbestand noch gut, Ende Jahr wird das anders sein. Wir haben ein massives Margenproblem. Über Nacht sind unsere Produkte nochmals gegen 20 Prozent teurer geworden. Dies wird negative Auswirkungen auf die Auslastung haben.

Hat die Nationalbank zu früh kapituliert, als sie den Euro-Mindestkurs aufhob?
Es war allen klar, dass die SNB nicht auf alle Ewigkeit hinaus die Euro-Untergrenze von 1.20 Franken halten kann. Die Kommunikation und das Timing des Ausstiegs waren aber schlecht. Die SNB hätte die Untergenze letztes Jahr auf 1.10 Franken senken können, als der Euro bei 1.24 Franken lag. Der 15. Januar war der denkbar schlechteste Zeitpunkt. Die meisten Firmen hatten ihre Budgets für 2015 bei einem Kurs von 1.20 Franken gemacht.

Ist die SNB zu wenig nah an der realen Wirtschaft?
So pauschal würde ich das nicht sagen. Ich halte viel von Thomas Jordan. Die Frankenstärke ist der Preis dafür, dass wir eine seriöse Finanzpolitik und eine liberale Wirtschaftsordnung haben. Langfristig ist das ein Vorteil. Aber kurzfristig kann es dazu führen, dass Arbeitsplätze ausgelagert werden.

Kommt nun die gefürchtete Desindustrialisierung?
Das ist die grosse Gefahr. Die Schweiz hat schon ganze Wirtschaftszweige verloren wie etwa die Textilindustrie und die Textilmaschinenindustrie. In einer Stadt wie Winterthur hat es heute nicht mehr viel Industrie. Weitere Verluste müssen wir vermeiden. Es kann nicht sein, dass wir am Schluss nur noch eine Finanz- und Dienstleistungsindustrie haben.

Was lässt sich dagegen tun?
Traditionelle Konjunkturprogramme bringen nichts. Falls es zu einer Rezession kommen sollte, bringt die Verlängerung der Bezugszeit der Kurzarbeit am meisten. So kann man die Stammmannschaft in der Krise zusammenhalten. Sonst kann die Politik leider nicht viel machen. Sie kann aber die bürokratischen Hürden für die Firmen abbauen.

Die SNB könnte einen neuen Mindestkurs einführen.
In der Theorie schon, aber in der Praxis nicht. Wenn sie wieder einen Mindestkurs einführen würde, nähme ihre Glaubwürdigkeit weiteren Schaden. Der Zug ist abgefahren.

Sie haben im Einverständnis mit der Unia die Arbeitszeiten verlängert. Als einer der ganz wenigen Unternehmer liegen Sie mit der Unia nicht im Streit.
Ich kenne Unia-Industriechef Corrado Pardini aus der Wirtschaftskommission des Nationalrates. Er ist ein harter Verhandlungspartner. Politisch haben wir das Heu sicher nicht auf der gleichen Bühne. Aber auch er hat das Ziel, den Werkplatz Schweiz zu verteidigen. Deshalb haben wir uns relativ schnell gefunden.

Pardini hat in einem Buch Interna aus den GAV-Verhandlungen ausgeplaudert und die Arbeitgeber als schwache Figuren hingestellt.
Das war sicher ungeschickt und hat auf Seite des Industrieverbandes Swissmem zu Recht Emotionen geschürt. Ich hoffe, dass der Graben zum Wohl des Werkplatzes Schweiz wieder zugeschüttet wird.

Viele Arbeitgeber klagen, dass die Sozialpartnerschaft in der Schweiz im Niedergang begriffen sei.
Im Vergleich mit Deutschland haben wir in der Schweiz noch immer sehr konstruktive Verhältnisse. Beim Eisenbahnkonflikt in Deutschland geht es nicht um die Vertretung der Mitarbeiter, sondern nur um die Macht unter den Gewerkschaften. Das ist katastrophal.

Ein Mitglied der Personalkommission von Stadler Rail hat in der Gewerkschaftszeitung «Work» gesagt, es sei darüber erschrocken, wie loyal die Stadler-Arbeiter Ihnen gegenüber seien.
Ich stehe seit 27 Jahren in der operativen Verantwortung. Ich habe immer versucht, faire Lösungen für meine Mitarbeiter zu finden. Wir fordern viel, aber wir sind fair und transparent. Das schätzen die Mitarbeiter. Sie wissen auch, dass es unsere Branche zurzeit schüttelt. Ich bin in Bussnang vor 1700 und in Altenrhein vor 1000 Mitarbeitern gestanden und habe verkündet, dass wir in Zukunft 45 statt 42 Stunden arbeiten. Am Schluss haben die Mitarbeiter geklatscht. Das hat mir gezeigt, dass wir gemeinsam diese Krise bewältigen können.

Sie haben in den letzten Jahren neue Märkte in Osteuropa und in den GUS-Staaten erobert. Welche Rolle spielt die Menschenrechtslage in diesen Ländern?
Wir halten uns selbstverständlich an alle internationalen Sanktionen und Embargos. Wir schauen auch, ob die Schweiz diplomatische Beziehungen unterhält. Wenn das der Fall ist, sehe ich keinen Grund, warum wir diesen Ländern unsere Produkte nicht verkaufen können. Sie kommen der breiten Bevölkerung zugute. Ein Technologietransfer hilft der Integration solcher Länder viel mehr als Sanktionen, die derzeit in Mode sind. Wir müssen aufpassen, dass wir die Welt nicht nur aus einer beschränkten Schweizer Perspektive wahrnehmen. Sonst liefern halt unsere Konkurrenten, und der Schweizer Werkplatz hätte das Nachsehen. Wenn wir überall den gleichen Standard wie in der Schweiz verlangen würden, fielen ganze Kontinente weg. Sogar in die USA dürfte man wegen Guantánamo nicht mehr liefern und nach China schon gar nicht. Gegen solche Länder getraut sich aber niemand etwas zu sagen.

Im Vergleich mit Konkurrenten wie Siemens oder Bombardier ist Stadler Rail relativ klein. Wie können Sie sich gegen diese durchsetzen?
Grösse ist in unserer Branche kein strategischer Vorteil. Wir sind im Projektgeschäft tätig. Bei jedem Auftrag müssen die Produkte den kundenspezifischen Anforderungen und nationalen Vorschriften angepasst werden. Da braucht es hohe Flexibilität und Geschwindigkeit bei der Umsetzung. Und da sind wir mindestens auf Augenhöhe mit unseren Konkurrenten. Auch die hohe Innovationsfähigkeit hilft uns.

Um China haben Sie immer einen Bogen gemacht. Nun haben die chinesischen Hersteller fusioniert und drängen nach Westen.
Ich bin froh, dass wir nicht in China sind. Die Gefahr, dass Know-how verloren geht, ist zu gross. Schienenfahrzeuge gelten als strategischer Bereich in China. Ausländer können nicht als eigenständige Firma auftreten, sondern müssen ein Joint-Venture mit chinesischen Firmen eingehen. Unsere Mitbewerber haben in den letzten zehn Jahren die Chinesen mit westlicher Technologie aufgerüstet. Die chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge sind westliche Kopien. Irgendwann werden sie von Osten nach Westen rollen.

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