Pfusch bei der OP
Immer mehr Patienten gehen zum Anwalt

Auch Chirurgen machen Fehler. Oft folgen darauf langwierige Streitereien. Dann müssen Juristen die Arbeit im OP prüfen. Wie im Fall von Andrea T.
Publiziert: 27.01.2019 um 00:57 Uhr
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Aktualisiert: 16.03.2021 um 18:02 Uhr
Cyrill Pinto
Cyrill PintoReporter SonntagsBlick

Es war ein Routineeingriff, doch er endete im Drama: Weil sie mit Sicherheit schwanger werden wollte, suchte die 28-jährige Andrea T.* im Juli 2018 die Klinik Seeschau bei Kreuzlingen TG auf. Wenige Monate vor ihrer Hochzeit liess sie sich dort die Eileiter durchspülen.

Kaum war sie wieder zu Hause, spürte sie starke, stechende Schmerzen. Sie rief den Gynäkologen an, der den Eingriff durchgeführt hatte: Das sei nicht ungewöhnlich, antwortete der, die Schmerzen würden abklingen. Statt die Patientin zu untersuchen, riet der Mann zu einem Einlauf.

Akute Lebensgefahr wegen Infektion

In der Nacht wurde Andrea T. notfallmässig ins Kantonsspital Schaffhausen gebracht, um vier Uhr früh schob man sie in den OP: Bei der ersten Operation musste der Gynäkologe mit seinem Instrument ihren Darm durchstochen haben. Austretender Darminhalt hatte bereits eine Infektion im Bauchraum verursacht, es bestand akute Lebensgefahr.

Bei einem Routineeingriff durchstiess der operierende Arzt den Darm von Andrea T.
Foto: Regina Vetter
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Daniel Tapernoux von der Schweizerischen Stiftung Patientenschutz (SPO) kennt viele ähnlich erschreckende Geschichten. Tatsächlich ist die Zahl der Meldungen, welche die Stiftung juristisch abklären lassen muss, stark gestiegen: Waren es 2008 noch 270 Fälle, bearbeitete die SPO im letzten Jahr schon 355.

Seine Mitarbeiter schätzen jeweils ein, ob ein vermeidbarer Fehler vorliegt, erklärt Taper-noux. «Falls dies bejaht wird, erfolgt häufig eine Verhandlung mit der Haftpflichtversicherung des Arztes durch einen spezialisierten Rechtsanwalt.»

Strafverfahren gegen Belegarzt eingeleitet

Ziel ist eine aussergerichtliche Einigung, bei der die Entschädigung für den Patienten im Vordergrund steht. «Der Gang vor Gericht kostet jeweils sehr viel Zeit und Geld», so Tapernoux. Der Luzerner Anwalt Thomas Räber, der auf Haftpflichtfälle im Gesundheitswesen spezialisiert ist, unterscheidet zwischen Fällen in öffentlichen Spitälern oder privaten Kliniken: «Je privater eine Einrichtung ist, umso schwieriger wird es.» Für öffentliche Spitäler gelten kantonale Haftungsgesetze. Sie schützen einerseits den Patienten, aber auch den Arzt: Das Spital als Ganzes steht dann für den erlittenen Schaden ein.

Andrea T. hat inzwischen den Anwalt Stefan La Ragione beauftragt, der ein Strafverfahren gegen den Belegarzt der Privatklinik einleitete. Die Klärung der Haftungsfrage steht noch am Anfang.

Immerhin hat sich die Patientin mittlerweile einigermassen von den Eingriffen erholt. Mehrere Operationen, bei denen unter anderem ein künstlich gelegter Darmausgang wieder entfernt werden musste, waren nötig, zudem eine zweiwöchige Reha.

Seit wenigen Tagen kann Andrea T. wieder arbeiten

Bei dem Verfahren kam es zu einem weiteren Fehler: Vor seiner Entbindung von der beruflichen Schweigepflicht gab der Arzt den Namen und den Grund für die Behandlung von Andrea T. bekannt: «Dies ist ein klarer Verstoss», findet ihr Anwalt La Ragione.

Der betreffende Arzt wollte sich auf Anfrage von SonntagsBlick nicht zum Fall äussern – auch weil er ans Patientengeheimnis gebunden ist. Christian Juchli hält jedoch im Namen der Klinik Seeschau fest, dass es leider auch bei Routineeingriffen zu Komplikationen kommen könne. Diese würden vor dem Eingriff erwähnt und schriftlich festgehalten, so Juchli: «Der Facharzt weist in jedem Fall auf solche Risiken hin».

Andrea T. arbeitet erst seit wenigen Tagen wieder Vollzeit – ihre Hochzeit musste sie verschieben. Viel schlimmer aber: Die junge Frau weiss nicht, ob sie in Zukunft jemals schwanger werden kann: «Ich bin einfach nur froh, dass ich überlebt habe.

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