Spezialisten bereiten sich auf Impfstoff-Lagerung vor
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Kapazität von 45'000 Paletten:Spezialisten bereiten sich auf Impfstoff-Lagerung vor

Pharma-Drehscheibe Möhlin
Hier wird der Corona-Impfstoff gelagert

Die Drehscheibe der kommenden Schutzimpfung liegt im aargauischen Möhlin. SonntagsBlick hat sich bereits im zentralen Kühlraum umgesehen.
Publiziert: 22.11.2020 um 13:24 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2021 um 20:36 Uhr
Sven Zaugg

In den kommenden Monaten wird im Fricktal, unweit der deutschen Grenze, ein Stoff ­umgeschlagen, auf den die Schweiz schon jetzt sehnsüchtig wartet. Eine Droge, die das Leben und die Wirtschaft endlich wieder in Schwung bringen soll: Die Impfung gegen das Coronavirus.

Im tristen Industriegebiet des Ortsteils Riburg, Gemeinde Möhlin, ist eine der grössten Logistikdrehscheiben des Landes entstanden. Ob Galliker, Streck oder DPD, fast alle namhaften Spediteure ­unterhalten ihre Verteilzentren in der Aargauer Gemeinde. Die gute Anbindung zu den Flughäfen Zürich und Basel Mulhouse Freiburg, die unmittelbare Nähe zum Basler Rheinhafen und günstige Bodenpreise lockten über die Jahre interna­tionale Spediteure in Scharen an.

20'000 Quadratmeter Nutzfläche

Auf sie wird es nun ankommen, wenn der Impfstoff möglichst effi­zient verteilt werden soll. Der Logistikriese Kühne + Nagel mit weltweit rund 78'000 Mitarbeitern mischt in Möhlin ganz vorn mit. In den erst 2019 fertiggestellten ­Lagerhallen des Konzerns werden auf einer Nutzfläche von 20 '000 Quadratmetern Lagerung, Konfektionierung und Warenumschlag für Kunden aus der Pharmaindustrie abge­wickelt. Kameras zeichnen jede Bewegung auf, es wird sogar erfasst, wann und wo die Arbeiter ihre Handscanner einsetzen. Die Lagerhalle, eine der modernsten der Schweiz, kostete eine mittlere zweistellige Millionensumme.

Im Industriegebiet des Ortsteils Riburg, Gemeinde Möhlin, ist eine der grössten Logistikdrehscheiben des Landes entstanden. Ob Galliker, Streck, DPD oder Kühne + Nagel: Fast alle namhaften Spediteure ­unterhalten ihre Pharma-Verteilzentren in der Aargauer Gemeinde.
Foto: Philippe Rossier
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Die Investition zahlt sich aus, denn das Geschäft mit Pharma­gütern boomt. Der medizinische Fortschritt, das steigende Gesundheitsbewusstsein und der demografische Wandel bescheren der Branche ansehnliche Wachstumsraten – besonders zu Zeiten der Pandemie. In zehn Jahren baute Kühne + Nagel seine zertifizierten Kühl- und Verteilzentren stetig aus. An weltweit mittlerweile 230 Stand­orten schlägt der Konzern hochsensible Güter wie Krebsmedikamente und Impfstoffe um.

Spritzen und Ampullen schon umgeschlagen

So auch in Möhlin, von wo aus in den kommenden Monaten Corona-Impfstoffe in die ganze Welt spediert werden. «Schätzungen gehen davon aus, dass in den kommenden zwei Jahren bis zu 15 Milliarden Impfdosen zur Bekämpfung des ­Virus rund um den Globus verteilt werden müssen», sagt Schweiz-Chef Matthias Wolf (50) auf einem Rundgang durch das weitläufige Logistikzentrum.

Bereits angelaufen ist der Umschlag von Rohstoffen und Hilfs­materialien zur Verabreichung des Impfstoffs, darunter Spritzen und Ampullen. Auch Masken und Desinfektionsmittel kamen und gingen in den vergangenen Monaten tonnenweise. Regelmässig wird der Spediteur von der Heilmittel­behörde Swissmedic auditiert.

Hochsensible Präparate müssen besonders sorgfältig behandelt werden. «Die Impfstoffe sind temperaturempfindlich und brauchen ein entsprechendes Klima, damit sie nicht verderben», sagt Wolf und führt in den Kühlraum. Dort lagern Krebsmedikamente eines grossen Schweizer Pharmaunternehmens. Warenwert pro Palett: mehrere Millionen Franken. Genau dort sollen in Kürze auch Corona-Impfstoffe lagern, bis sie an Spitäler und Impfzentren ausgeliefert werden. Vielleicht auch jene der US-Biotechfirma Moderna. Genaueres verrät Kühne+Nagel nicht.

200 klimatisierte Pharma-Trailer

Je nach Präparat variieren die Lagertemperaturen stark. Der von Biontech entwickelte Corona-Impfstoff zum Beispiel muss extrem kalt gelagert werden. Für Transport und Aufbewahrung sind Temperaturen von minus 60 bis minus 80 Grad notwendig. Moderna, die den Wirkstoff bei Lonza in Visp VS herstellen lässt, teilte mit, dass ihre Präparate nach dem Auftauen länger in normalen Kühlschränken haltbar seien als bisher gedacht, nämlich bis zu 30 Tage.

Wolf geht davon aus, dass eine Temperatur von zwei bis acht Grad Celsius in den meisten Fällen genügt. «Sollten bis zu minus 80 Grad nötig sein, kühlen wir zusätzlich mit Trockeneis.» Spediert werden die Impfstoffe in speziellen Last­wagen, die eigens für den Transport hochempfindlicher Pharmagüter entwickelt wurden. «In Europa verfügen wir über eine eigene Flotte von 200 klimatisierten Pharma-Trailern», sagt Wolf.
Jeder Meter Fahrt wird aufgezeichnet und von der Leitstelle via GPS verfolgt. Der Zentrale entgeht nichts – keine Pinkelpause, jede Tür, die geöffnet wird, ob das Fahrzeug hält oder sich verspätet ...

Jetzt gehts ans Finetuning

Geht dennoch etwas schief, kann die Leitstelle per Knopfdruck sogar den Transport stoppen. Dann lässt sich der «Trailer» nicht mehr bewegen. Bei Kühne + Nagel denkt man über eine Polizei-­Eskorte nach, die besondere ­Touren absichert. In der Schweiz wird dies kaum vonnöten sein. «In anderen Ländern schon», sagt Wolf. Unterstützt werden die Speditionen von der Schweizer Armee. Sie kümmert sich um die Feinverteilung, die sogenannte letzte Meile. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) teilt auf Anfrage mit, dass man mit den Kantonen und der Armee an den logistischen Vorbereitungen arbeite. «Wir planen, in den kommenden Wochen die Grundzüge der Impfstrategie zu erläutern», sagt Sprecherin Masha Foursova.

Mit zwei Pharma­unternehmen hat der Bund bereits Verträge abgeschlossen. Bei Moderna hat sich das BAG den Zugang zu 4,5 Millionen Impfdosen gesichert. Mit dem britischen Pharmaunternehmen Astra Zeneca und der schwedischen Regierung vereinbarte das BAG die Lieferung von bis zu 5,3 Millionen Impfdosen.

Und vergangene Woche gab ­Gesundheitsminister Alain Berset (48) bekannt, dass man mit Biontec in Verhandlungen für drei Millionen Impfdosen stehe. Für die Beschaffung hat der Bund 400 Millionen Franken bereitgestellt.

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