«Die Schweiz kann nicht mehr lange zuschauen»
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Wie weiter in der Energiekrise:«Die Schweiz kann nicht mehr lange zuschauen»

Polit-Theater statt Spar-Appelle
Die Schweiz verschläft die Energiekrise

Grüne und SVP schiessen scharf gegen die Umweltministerin. Tatsächlich ist die Schweiz auf den Ernstfall nicht vorbereitet. Doch die Gründe liegen anderswo.
Publiziert: 07.08.2022 um 00:41 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2022 um 11:00 Uhr
Danny Schlumpf und Camilla Alabor

Die Angriffe kommen von allen Seiten. Die Grünen werfen Simonetta Sommaruga (62) vor, sie treibe die Energiewende zu langsam voran, sie «verzettele» sich. Scharfe Kritik an der Bundesministerin äusserte diese Woche auch die SVP. Die Volkspartei fordert allerdings das Gegenteil dessen, was die Grünen verlangen: Sommaruga solle von der «gescheiterten» Energiestrategie abrücken. Das Land brauche neue AKW!

Dabei vermischen die Akteure im politischen Sommertheater zwei Dinge. Sie kritisieren die langfristige Energiewende – die jedoch die aktuelle Krise gar nicht bewältigen kann. Das wahre Problem, um das sich die Politiker in Bern jetzt kümmern müssten, liegt anderswo: Putin dreht den Gashahn ab, Europa läuft in eine Energie-Mangellage.

In Deutschland sollen die Bürger sparen

Die EU reagiert mit Wucht: Sie will den Gasverbrauch drastisch reduzieren – um 15 Prozent bis zum Frühjahr. Spanien hat bereits einschneidende Massnahmen beschlossen, um die Energieeffizienz zu erhöhen. Deutschland fährt eine massive Kampagne hoch, um die Bürger zum Energiesparen anzutreiben.

Angriffe von links und rechts: Energieministerin Simonetta Sommaruga.
Foto: Valeriano Di Domenico
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Und die Schweiz tut nichts. Sparanstrengungen? Effizienzmassnahmen? Fehlanzeige. Sommaruga wollte zunächst nicht übers Sparen sprechen, schliesslich werde es ja erst im Winter kalt. Nun kündigte sie an, die Bevölkerung Ende August «sensibilisieren» zu wollen – sagt aber nicht, was das konkret heissen soll. Dabei wäre das Potenzial enorm: «Wir verschwenden Unmengen von Energie», sagt Stella Jegher (62), Abteilungsleiterin Politik bei Pro Natura. «Allein beim täglichen Verbrauch könnten Industrie, Gewerbe und Privathaushalte rund ein Drittel des Stroms einsparen, ohne es zu merken. Dazu braucht es aber Vorgaben und Anreize auf politischer Ebene.»

Stromsparen? So funktionierts

Es muss nicht gleich eine Wärmepumpe sein: Auch im Alltag lässt sich mit wenigen Tricks mühelos Strom sparen. Beispielsweise, indem man das Handy-Ladegerät vom Netz nimmt, wenn man es nicht braucht. Lässt man es in der Steckdose, verbraucht es Strom.

Nützlich sind auch Steckerleisten mit mehreren Steckdosen, die man mit einem Schalter bequem ausschalten kann. LED-Lampen verbrauchen im Vergleich zu Sparlampen und Glühbirnen weniger Strom. In der Waschküche lässt sich ebenfalls Strom sparen. Etwa indem man Sparprogramme wählt oder die Wäsche an der Luft trocknet. Verwendet man einen Tumbler, ist es ökologischer, die Wäsche nach Programmende sofort aus der Maschine zu holen, sonst aktiviert sich womöglich der Knitterschutz, der die Wäsche in der Maschine herumschleudert und damit noch mehr Energie verbraucht.

Auch in der Küche lässt sich Energie sparen. Wer mit Pfannendeckel kocht, verbraucht weniger Energie. Das regelmässige Abtauen des Gefrierfachs senkt den Energieverbrauch ebenfalls. Und es hilft, gekochtes Essen erst auf Zimmertemperatur abkühlen zu lassen, bevor man es in den Kühlschrank stellt.

Es muss nicht gleich eine Wärmepumpe sein: Auch im Alltag lässt sich mit wenigen Tricks mühelos Strom sparen. Beispielsweise, indem man das Handy-Ladegerät vom Netz nimmt, wenn man es nicht braucht. Lässt man es in der Steckdose, verbraucht es Strom.

Nützlich sind auch Steckerleisten mit mehreren Steckdosen, die man mit einem Schalter bequem ausschalten kann. LED-Lampen verbrauchen im Vergleich zu Sparlampen und Glühbirnen weniger Strom. In der Waschküche lässt sich ebenfalls Strom sparen. Etwa indem man Sparprogramme wählt oder die Wäsche an der Luft trocknet. Verwendet man einen Tumbler, ist es ökologischer, die Wäsche nach Programmende sofort aus der Maschine zu holen, sonst aktiviert sich womöglich der Knitterschutz, der die Wäsche in der Maschine herumschleudert und damit noch mehr Energie verbraucht.

Auch in der Küche lässt sich Energie sparen. Wer mit Pfannendeckel kocht, verbraucht weniger Energie. Das regelmässige Abtauen des Gefrierfachs senkt den Energieverbrauch ebenfalls. Und es hilft, gekochtes Essen erst auf Zimmertemperatur abkühlen zu lassen, bevor man es in den Kühlschrank stellt.

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«Das grösste Potenzial liegt in den Häusern»

Sparen beim Verbrauch ist der eine blinde Fleck der Berner Politik – Energieeffizienz der andere. «Das grösste Potenzial liegt in den Häusern», sagt Gallus Cadonau (72), Geschäftsführer der Solar Agentur Schweiz: «Moderne Plus-Energie-Bauten reduzieren so viel Energie, wie von 15 AKW pro Jahr erzeugt wird. Werden dazu die Dächer und Fassaden von Hauseigentümern und KMU solar genutzt, kann die Schweiz jährlich zwei AKW wie Mühleberg ersetzen.»

Statt sich mit diesen Überlegungen zu befassen, werfen Parlamentarier der Energieministerin lieber vor, sie habe das Land nicht richtig auf die Krise vorbereitet. Ist da etwas dran? SonntagsBlick hat sich bei Praktikern umgehört.

Noah Heynen (34), Chef des Solarunternehmens Helion, sagt: «Bundesrätin Sommaruga macht einen sehr guten Job. Die Bedingungen im Bundesrat und im Parlament scheinen ja nicht gerade einfach.» An der Energiewende führe ohnehin kein Weg vorbei. Und dass die Wende, wie die Grünen kritisieren, nicht schneller vorangehe, sei nicht Sommarugas Schuld. Heynen: «Das grösste Problem ist die überbordende Bürokratie. Und dafür sind die Kantone und Gemeinden verantwortlich.» Die Hälfte der Arbeitszeit von Helion-Angestellten geht für das Ausfüllen lästiger Formulare drauf. Jüngstes Beispiel: Die Firma musste für eine einzelne Solaranlage einen Erdbeben-Sicherheitsnachweis erbringen – die Anlage dürfe nicht beim nächsten Grossbeben vom Dach fallen.

Das Problem ist die Bürokratie

Kritik an föderalistischen Auswüchsen kommt auch vom Wirtschaftsdachverband AEE Suisse. Die Bundesrätin könne allerdings durchaus ebenfalls mehr tun, sagt Geschäftsführer Stefan Batzli (56) – etwa beim Ausbau der Solarkraft: «Wir müssen uns jetzt an die Umsetzung alpiner Grossanlagen machen.» Das grösste Problem ist auch hier der Behördenzirkus: Aktuell lassen die Raumplanungsgesetze Grossprojekte wie die angestrebte Freiflächenanlage in Grengiols VS gar nicht zu. «Da sind die Juristen in der Bundesverwaltung gefragt», so Batzli. «Sie müssen angesichts der drohenden Krise kreativer werden.»

Fantasie anstelle von Paragrafenreiterei könnte die Energiewende beschleunigen. Bloss: Die SVP, Sommarugas schärfste Kritikerin, hat kein Interesse an einer effektiven Energiewende. Sie fordert neue Atomkraftwerke und verlängerte Laufzeiten für die bestehenden.

Dabei gibt es gar nichts zu verlängern. Denn was bei der Diskussion um die Laufzeiten gerne vergessen wird: Die Schweiz hat keine festen Laufzeiten für Kernkraftwerke. Das sagt Wolfgang Denk (46), Geschäftsführer von Swissnuclear, dem Verband der AKW-Betreiber. In den aktuellen Szenarien des Bundes bleiben die Meiler in Beznau, Gösgen und Leibstadt maximal 60 Jahre am Netz.

AKW-Diskussion löst aktuelle Krise nicht

Ginge das auch länger? «Grundsätzlich ja», sagt Wolfgang Denk, «solange die nötigen Nachrüstungen möglich sind und sie sicher und wirtschaftlich betrieben werden können.»

Tatsächlich wurde das AKW Mühleberg aus ökonomischen Gründen abgestellt – nicht aus technischen oder politischen. Klar ist: Die bestehenden Reaktoren laufen bis mindestens 2030. Und neue Atomkraftwerke hätten eine sehr lange Vorlaufzeit. «Die Frage, ob wir die AKW-Produktion wirklich ersetzen können, ist langfristig wichtig», sagt Denk. «Zur Bewältigung der aktuellen Krise trägt die Debatte allerdings nicht bei.»

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Die Schweizer Energiekonzerne haben längst auf Solarenergie umgesattelt. Was halten sie von der Debatte in Bern? «Die grossen Hürden in der Energiewende sind systemischer Natur», sagt Thomas Porchet (52) vom Stromunternehmen Axpo. Da spiele es eine untergeordnete Rolle, welche Person das Energiedepartement leite.

Energiekommission des Ständerats blockiert

Sommaruga selbst verweist auf den stark angestiegenen Zubau von Solarkraft seit ihrem Antritt als Energieministerin vor dreieinhalb Jahren. In der Tat beträgt der Zuwachs seit 2020 rund 45 Prozent pro Jahr – mehr als je zuvor. «Die Ziele des Bundesrates, 2035 mindestens 20 Prozent des Schweizer Stromverbrauchs mit Fotovoltaik zu decken, können mit diesem Zubau erreicht werden», teilt das Bundesamt für Energie mit.

Sommaruga hat Verfahrensbeschleunigungen aufgegleist – die von den Kantonen kritisiert wurden – und den grossen Mantelerlass für die erneuerbaren Energien ins Parlament geschickt – wo er von der Energiekommission des Ständerats blockiert wird.

Sommaruga hat zudem zu einem runden Tisch für den Ausbau der Wasserkraft eingeladen – der nun von einzelnen Umweltorganisationen torpediert wird. Weshalb stürzen sich Grüne und SVP trotzdem auf die Energieministerin?

Parmelins Chance?

Die politischen Angriffe haben viel mit Wahltaktik zu tun: Die Grünen kämpfen mit der SP um die Vorherrschaft im linken Lager. Der SVP wiederum fehlt seit den Wahlen 2019 ein Thema, mit dem sie sich profilieren könnte. Der Versuch der Parteioberen, sich in der Pandemie als Opposition zu positionieren, ist schiefgegangen. Das zeigte die Abstimmung zum Covid-Gesetz. Und SVP-Übervater Christoph Blocher, der einstige Dominator der Schweizer Politik, ist kaum noch präsent. «Beim Energiethema spürt die SVP die Chance, rechtzeitig vor den Wahlen ein neues Feld zu besetzen», analysiert Politologe Claude Longchamp (65).

Womöglich hat die Volkspartei schon bald die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen – und es besser zu machen als die von ihr kritisierte Magistratin.
Kommt es im Winter tatsächlich zu einem Energienotstand, muss nämlich vor allem der Wirtschaftsminister in die Hosen steigen: SVP-Bundesrat Guy Parmelin (62).

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