Postpartale Depression
«Heute ist es als Mami oder Papi okay zu sagen: Es geht mir nicht gut und ich brauche Hilfe»

Das Baby ist da, doch die Glücksgefühle bleiben aus. Ein neues Medikament soll schnell helfen – ein Wundermittel sei dieses aber nicht, warnt eine Expertin.
Publiziert: 13.08.2023 um 01:15 Uhr
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Camille KündigRedaktorin SonntagsBlick

Nach der Geburt des Babys nicht vor Glück zu sprühen, ist verpönt. Dabei erkranken 15 Prozent der Mütter an einer postpartalen Depression, von Papis ist mindestens jeder zehnte betroffen. In der Schweiz kamen vergangenes Jahr 89 000 Babys zur Welt. Konservativ gerechnet erkrankten 13 000 Frauen und 10 000 Väter neu an dem, was viele noch Wochenbettdepression nennen.

Die ist im Prinzip gut zu behandeln, meist kommen Psychotherapie und Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer zum Einsatz, die verbreiteteste Form von Antidepressiva. Aber sie brauchen oft bis zu drei Monate, um anzuschlagen. Bei manchen helfen sie gar nicht.

Eine neu zugelassene Tablette wurde nun speziell auf Wochenbettdepressionen zugeschnitten. Sie soll schneller wirken – und nur zwei Wochen lang eingenommen werden müssen. «Wenn man das Gefühl hat, kaum den nächsten Tag zu überstehen, ist das ein wichtiger Vorteil», sagt Andrea Borzatta, Präsidentin des Vereins «Postpartale Depression Schweiz».

Nach einer Geburt erkranken 15 Prozent aller Mütter an einer postpartalen Depression, bei den Papis ist mindestens jeder Zehnte betroffen.
Foto: Getty Images
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Preis pro Infusion: 34 000 Dollar

Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat die Pille mit dem Wirkstoff Zuranolon letzte Woche zugelassen. In Studien mit 350 erkrankten Frauen gingen die Symptome schneller und deutlicher zurück als bei einer Kontrollgruppe. Die Teilnehmerinnen berichteten im Schnitt bereits nach drei Tagen von einer Linderung; nach 15 Tagen hatten sich die Beschwerden fast um ein Drittel stärker verbessert als bei der Placebo-Gruppe.

Zuranolon beruht auf einem ähnlichen Wirkmechanismus wie der Wirkstoff Brexanolon, der 2019 ebenfalls in den USA zugelassen wurde, allerdings intravenös verabreicht werden muss. Preis pro Infusion: 34 000 Dollar.

Die «New York Times» feierte die neue Tablette als Meilenstein. Laut Antje Heck, Ärztin und Spezialistin für Medikamente in der Schwangerschaft und Stillzeit, ist es komplizierter: «Wenn es so einfach wäre, hätten wir es schon längst gemacht.» Das Medikament sei «höchstens ein Puzzleteil» unter vielen Behandlungsmöglichkeiten – und keinesfalls ein Turbo-Wundermittel für alle: «Dahinter steckt die These, wonach postpartale Depressionen eine reine Folge der Hormonumstellung nach der Schwangerschaft sind. Das ist zu einfach – eine Depression ist multifaktoriell bedingt und muss ganzheitlich behandelt werden, das heisst, mit Medikamenten, Psychotherapie und unterstützenden Massnahmen.»

Nachfrage steigt seit Pandemie

Zurzuvae kommt Ende 2023 auf den US-Markt, zuvor muss das Mittel noch weiter geprüft werden. Ob und wann es in der Schweiz verfügbar sein wird, ist unklar. Weder Roche noch Novartis forschen zurzeit an Medikamenten, die gegen postpartale Depression wirken.

Hier finden Sie Hilfe:

Es gibt es rund um die Uhr Anlaufstellen. Das sind die Wichtigsten:

Verein Postpartale Depression Schweiz: www.postpartale-depression.ch

Dachverband Schweizer Männer- & Väterorganisationen: www.maenner.ch/mencare/landkarte/

Elternnotruf: 0848 35 45 55 www.elternnotruf.ch

Die Dargebotene Hand: Telefon 143 oder www.143.ch.

Kriseninterventionszentren: Fast jeder Kanton verfügt Kriseninterventionszentren, die rund um die Uhr niederschwellig Hilfe anbieten.

Es gibt es rund um die Uhr Anlaufstellen. Das sind die Wichtigsten:

Verein Postpartale Depression Schweiz: www.postpartale-depression.ch

Dachverband Schweizer Männer- & Väterorganisationen: www.maenner.ch/mencare/landkarte/

Elternnotruf: 0848 35 45 55 www.elternnotruf.ch

Die Dargebotene Hand: Telefon 143 oder www.143.ch.

Kriseninterventionszentren: Fast jeder Kanton verfügt Kriseninterventionszentren, die rund um die Uhr niederschwellig Hilfe anbieten.

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«Viele Betroffene hadern weiter damit, sich an Fachpersonen zu wenden, mindestens die Hälfte der Erkrankten bleiben unerkannt und leiden still», sagt Andrea Borzatta: «Erst wenn ein flächendeckendes Screening alle Betroffenen erfasst, wird wohl auch der Markt interessanter werden.» Doch seitdem im Zusammenhang mit der Pandemie mehr über psychische Erkrankungen gesprochen wird, stellt die Expertin einen Wandel fest: «Die Nachfrage nach unseren Weiterbildungsangeboten für Fachpersonen steigt stetig an.»

Im Parlament ist unterdessen ein Vorstoss der Grünen-Ständerätin Céline Vara hängig. Sie verlangt, dass die Grundversicherung die Behandlung postpartaler Depressionen bis ein Jahr nach der Entbindung vollständig übernimmt – inklusive Franchise und Selbstbehalt: «Das Tabu rund um das psychische Wohlbefinden der Eltern bröckelt. Heute ist es als Mami oder Papi okay, zu sagen, es geht mir nicht gut und ich brauche Hilfe.

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