Psychologin Jennifer Jordan über die Wirkung der Krisenkommunikation
«Die Menschen wollen ihre Belohnungen»

Der Bundesrat schadet mit seiner Scheibchen-Kommunikation der psychischen Gesundheit der Bevölkerung. Das sagt die Psychologin Jennifer Jordan, die sich wünscht, dass keine Fristen mehr genannt werden.
Publiziert: 11.02.2021 um 06:47 Uhr
|
Aktualisiert: 28.02.2021 um 21:07 Uhr
Interview: Fabian Vogt

Die Psychologin Jennifer Jordan ist spezialisiert auf Macht und Einfluss von Führungskräften. BLICK erreicht die Yale-Absolventin zwischen zwei Terminen, um mit ihr über die Corona-Strategie des Bundesrats und deren Auswirkungen auf die Psyche der Menschen zu sprechen.

BLICK: Wie schlimm wäre es für die Bevölkerung, wenn der Bundesrat nächste Woche den Lockdown verlängern würde?
Jennifer Jordan:
Das würde nicht gut aufgenommen werden. Den Menschen wurde gesagt, sie sollen sich brav verhalten und die Regeln respektieren. Dann würden die Zahlen fallen, und als Belohnung gibt es Lockerungen. Entsprechend ist man stolz auf sich, die Erwartungen erfüllt zu haben. Nun will man die Belohnung. Wenn das nicht passiert, dürfte das für viele nur schwer verständlich sein.

Wäre es besser, der Bundesrat würde nicht scheibchenweise Lockerungen und Massnahmen veranlassen?
Aus meiner Sicht ja. Einerseits ist erwiesen, dass wir dazu neigen, Verluste höher zu gewichten als mögliche Gewinne. Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann nennt dies «Verlust-Aversion». Demnach überwiegt der negative Effekt, etwas Versprochenes nicht zu erhalten, die positiven Effekte allfälliger Belohnungen. Auf die Kommunikationsstrategie des Bundesrats bezogen bedeutet dies: Es ist für die Bevölkerung schmerzhafter zu erfahren, dass eine Lockdown-Frist nicht eingehalten wird, als wenn es keine gibt. Dazu passt übrigens auch eine weitere bekannte Theorie: der «Besitztums-Effekt» von Richard Thaler.

Die Psychologin Jennifer Jordan sagt, die Kommunikationsstrategie des Bundes sei schlecht für den Gemütszustand der Menschen.
Foto: Christophe Senehi
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Fachfrau für Führung

Jennifer Jordan arbeitet an der Waadtländer Management-Schule IMD. Sie studierte an der Elite-Uni Yale (USA) Sozialpsychologie und ist Professorin für Leadership und Organisationsverhalten. Dabei hat sie sich auf Lügen- und Wahrhaftigkeitserkennung sowie Konfliktlösungen in Organisationen spezialisiert.

Jennifer Jordan arbeitet an der Waadtländer Management-Schule IMD. Sie studierte an der Elite-Uni Yale (USA) Sozialpsychologie und ist Professorin für Leadership und Organisationsverhalten. Dabei hat sie sich auf Lügen- und Wahrhaftigkeitserkennung sowie Konfliktlösungen in Organisationen spezialisiert.

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Die besagt, Menschen schätzen ein Gut wertvoller ein, wenn sie es besitzen ...
Ja, genau! Weil der Bundesrat den Menschen Freiheiten versprochen hat, werden diese jetzt höher gewertet, als wenn sie nicht gegeben worden wären. Dieses Phänomen wird durch ein psychologisches Experiment illustriert, bei dem eine Gruppe Kaffeetassen erhielt und gefragt wurde, was sie dafür verlangen würde. Eine andere Gruppe sah die Tassen auf dem Tisch und wurde gefragt, was sie bezahlen würde. Der Preis der «Verkaufsgruppe» lag viel höher als derjenige, den die «Kaufgruppe» zahlen wollte. Obwohl es objektiv betrachtet natürlich genau die gleichen Tassen gewesen sind.

Wie beurteilen Sie grundsätzlich die Arbeit des Bundesrats?
Ich mache mir Sorgen, dass seine Strategie nur auf Corona-Zahlen basiert. Das ist natürlich wichtig, aber diese Krise hat noch so viele weitere Schauplätze. Die Einsamkeit steigt, es gibt mehr Depressionen, mehr Selbstmorde, mehr häusliche Gewalt. Nur die Zahlen anzuschauen – das macht ja nicht nur die Schweiz so –, dünkt mich eine sehr eingeschränkte Sicht auf das ganze Ausmass der Krise.

Der Bundesrat hört auch auf die Wirtschaftsinteressen und will früh wieder Geschäfte aufmachen.
Aber auch dann macht er mit seiner jetzigen Strategie einen Fehler. Die sogenannte Einzelhandelstherapie hat zum Ziel, mit Einkaufen die Stimmung des Käufers zu verbessern. Also das, was die Wirtschaftsverbände hoffen. Es ist aber bewiesen, dass deren Wirkung bei den meisten nur sehr kurzlebig ist, besonders in Verbindung mit der Verlust-Aversion. Stattdessen beginnen die Menschen recht schnell, in einer Krise risikoavers zu leben. Sie fürchten um Jobs und Ersparnisse. Entsprechend sehnen sie sich nach Sicherheit, igeln sich ein. Es wäre demnach besser für die Wirtschaft, die Epidemie wäre so schnell wie möglich vorbei.

Geben Sie uns drei Tipps, mit denen Menschen psychisch gesund aus der Krise kommen.
1. Lebt im Moment, weil das Leben nicht vorhersehbar ist.
2. Trefft Menschen, auch wenn man nur vier Personen auf einmal sehen kann.
3. Lächelt! Wenn ihr in sicherer Distanz von einer anderen Person seid, zieht eure Maske aus und lacht sie an.

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