Rentner Kurt Vonwyl stritt sich an der Luzerner Fasnacht mit der Polizei - jetzt klagt er an
«Ich dachte, ich müsse sterben»

Kurt Vonwyl stritt sich an der Luzerner Fasnacht mit Polizisten. Und landete im Spital. Nun erhebt der Rentner schwere Vorwürfe.
Publiziert: 08.02.2020 um 20:06 Uhr
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Aktualisiert: 08.02.2020 um 20:25 Uhr
Kurt Vonwyl (l.) und Hansjürg Wirz ein Jahr nach dem unschönen Erlebnis.
Foto: Philippe Rossier
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Tobias Marti

Es tönt wie ein Witz. Doch Kurt Vonwyl (68) ist nicht nach ­Lachen zumute. Seine Freunde konnten kaum glauben, was ­geschehen war: «Ich wurde von Polizisten massiv verletzt!» Am Ort des Geschehens, dem Luzerner Rathaussteg, wirkt der Rentner ­ruhiger und nachdenklicher, als er es ohnehin schon ist. Und er zuckt jedes Mal zusammen, wenn ein ­Polizeiauto vorbeifährt.

Vor einem Jahr erlebte er hier an der Fasnacht den schlimmsten Tag seines Lebens. Was blieb, ist ein lädierter linker Arm – und ein Trauma, wegen dem er psychiatrische Hilfe benötigte: «Ein Sportunfall wäre einfacher zu verkraften gewesen», sagt Vonwyl und lächelt gequält. Sein Arm schmerzt.

Er dachte an einen Scherz

Als er und Hansjürg Wirz (68) am «rüüdige Samstag» gegen Mitternacht den Steg überqueren wollen, um auf der Altstadtseite zu feiern, kommen die beiden Schulkollegen nicht durch – eine Polizistin verwehrt ihnen den Zutritt.

Vonwyl dachte zunächst an ­einen Scherz, zweifelte auch an der Echtheit der Ordnungshüter. Schliesslich haben an der Fasnacht schon falsche Polizisten ihr Unwesen getrieben. Die Frau und ihre Begleiter seien zwar uniformiert, jedoch nicht mit Namen angeschrieben gewesen, sagt er. Und Wirz erinnert sich: «Es war unmöglich, die Identität festzustellen.»

Die Rentner fragten nach Dienstausweisen. Die Polizisten verlangten ihrerseits Personalpapiere. Niemand gab nach: «Ja, ich hatte etwas getrunken, es war schliesslich Fasnacht», gibt Vonwyl zu. Nur: Weder habe er sich gewehrt, noch sei er obszön oder gar handgreiflich geworden, wie es die Beamten in ihrem Rapport schilderten: «Dass Polizisten so lügen, um etwas zu vertuschen, ist unfassbar!» Von ein paar Parkbussen abgesehen, sei er noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten, beteuert Vonwyl: «Ich bin ein unbescholtener Bürger.»

Gründer einer Pharmafirma

Geht es um Polizeigewalt, sind die Opfer oft Menschen vom Rande der Gesellschaft: Süchtige, notorische Störenfriede, psychisch Kranke. Vonwyl aber ist Selfmade-Unternehmer. Vor ­einem Vierteljahrhundert gründete er eine Pharmafirma, seine Medicom beschäftigt heute 65 Angestellte. Noch immer amtiert er dort als Verwaltungsratspräsident.

Als weitere Polizisten auftauchen, wird es ungemütlich. Wenig zimperlich packen sie den älteren Herrn von hinten und reissen ihn zu Boden. «Ich dachte, ich müsse sterben.» Polizisten knien auf ihm, legen ihm Handschellen an, die Hände auf den Rücken gebunden. «Es war massiv», sagt Zeuge Wirz.

Vonwyl wird abgeführt, auf der Wache diagnostiziert die Amts­ärztin eine starke Schwellung des Ellbogens. Das Gelenk sei ausgerenkt, heisst es bei der Unter­suchung in der Notfallstation des Kantonsspitals. Sehne und Bänder sind gerissen, wenige Wochen nach dem Vorfall muss er operiert werden. Bis heute kann Vonwyl ohne Hilfe nicht einmal einen Pullover anziehen. Gegen 150000 Franken, rechnet er vor, haben ihn der ­Arbeitsausfall, die Arzt- und die Anwaltsrechnungen bisher gekostet.

Polizei will sich auf Anfrage nicht äussern

Vier Polizisten hat er wegen einfacher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch angezeigt. Im Gegenzug werden Kurt Vonwyl Hinderung einer Amtshandlung und Hansjürg Wirz Trunkenheit und Störung des Polizeidienstes vorgeworfen. Die Luzerner Polizei wollte sich auf Anfrage nicht zum Verfahren äussern. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung. Im Dezember wurden die beschuldigten Polizisten von der Staatsanwaltschaft Emmen vernommen. Vonwyl, im März von der Polizei befragt, ist für nächste Woche von der Staatsanwaltschaft vorgeladen. Zeuge Hansjürg Wirz wurde bisher nicht gehört. Vonwyls Anwalt Marcel Grass wirft den Staatsanwälten vor, das Verfahren absichtlich zu verzögern: «Man wartet mit Befragungen extrem lange, sodass Details vergessen gehen und dann die Aussagen der Tatzeugen relativiert werden können. Am Ende heisst es, der Sachverhalt konnte nicht mehr richtig rekonstruiert werden.» Ein Bürger gerate so in erheblichen Beweisnotstand. Für das Urteil müsse alles sauber abgeklärt werden. Anwalt Grass: «Das ist hier bis anhin überhaupt nicht der Fall.» Er habe den Eindruck, eigentlich wolle die Staatsanwaltschaft die Polizei gar nicht überführen.

«Wir distanzieren uns explizit vom Vorwurf, dass das Verfahren verzögert wurde», entgegnet ­Simon Kopp, Sprecher der Staatsanwaltschaft. Man habe in allen Fällen unverzüglich Untersuchungen eingeleitet: «Diese werden neutral und unbefangen geführt.»

Nach Eingang der Strafklage habe man Akten der Luzerner Polizei beigezogen. Die vier Polizisten hätten sich Verteidiger genommen, die Koordination der Termine habe Einfluss auf den zeitlichen Ablauf. Kopp: «Es ist davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die Polizisten im Frühling abschliessen kann.»

In zehn Tagen ist Fasnacht. Kurt Vonwyl überlegt sich noch, ob er hingeht. Im März steht dann eine weitere Armoperation an.

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