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Sozialpsychologin Pia Lamberty
«Esoterik macht blind»

Heilsteine, Reiki, Handauflegen – Esoterik boomt. Vor allem seit Pandemiebeginn. Ein neues Sachbuch beleuchtet dessen Schattenseiten. Die deutsche Co-Autorin und Sozialpsychologin Pia Lamberty (38) sagt uns, warum Esoterik so gut ankommt. Und ab wann es gefährlich wird.
Publiziert: 08.10.2022 um 19:11 Uhr
Interview: Rebecca Wyss

Frau Lamberty, ich glaube nicht an Übersinnliches, manchmal fasse ich aus Aberglauben trotzdem Holz an. Wobei erwischen Sie sich?
Pia Lamberty: Mein Kuscheltierschweinchen, mein Glücksbringer, begleitet mich seit 17 Jahren. Eine Buchhändlerin schenkte es mir, weil das Modell eigentlich laufen kann, meines aber nicht.

Was bringt Ihnen das?
Ich hatte es bei Klausuren dabei, oder heute in bestimmten Momenten, die stressig sind. Es ist wie eine Art Ritual. Das gibt mir Ruhe.

Das ist Aberglaube, aber nicht unbedingt esoterisch, oder?
Nein. Esoterik enthält oft eine Geheimlehre, die nur einem ausgewählten Kreis von Spirituellen zugänglich ist. Dazu kommt ein vielfältiges Angebot wie Yoga, Meditation oder Reiki. Esoterisch ist dies dann, wenn dessen Wirksamkeit komplett aufgebläht wird. Das ist ein Warnsignal. Wenn Yoga alles heilt, auch gravierendes wie Krebs, ADHS, eine Angststörung. Oder wenn die Verantwortlichen zu pauschal gegen Medizin wettern, wenn die Ärzte sich angeblich verschworen haben, Impfen nur ein Mittel zum Kassemachen, des Teufels sei. Jemand, der verantwortungsbewusst ist, würde so was nicht sagen.

In der Esoterik, zum Beispiel am Glauben an die Wirkung von Quarzsteinen, suchen viele Halt. Doch hat sie auch Schattenseiten.
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Eine Studie aus Ihrem Buch zeigt: Mindestens ein Viertel der Befragten glaubt an Sternzeichen, Wunderheiler und Wahrsager. Sind diese Menschen besonders leichtgläubig?
Das sind Leute aus der Mitte der Gesellschaft. Ich warne davor, dass man diese als dumm und naiv abtut. Man kann schnell in Dinge tappen, die nicht problematisch erscheinen, es aber sind. Nicht jeder glaubt an Magie oder UFOs. Aber wenn die Umstände, wie Krisen, zusammenkommen mit einem Angebot, das Erleichterung schafft, dann ist man unter Umständen drin.

Die angefeindete Aufklärerin

Pia Lamberty (38) hat Psychologie mit den Schwerpunkten Social Cognition und Medienpsychologie an der Universität zu Köln studiert. Mittlerweile ist sie Mitbegründerin der Denkfabrik Cemas (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) in Berlin, die Antisemitismus, Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus im Netz erforscht. Und zusammen mit der deutschen Journalistin Katharina Nocun (36) Autorin der beiden Bücher «Fake Facts» und «True Facts». Die beiden sind gefragte Expertinnen. Und werden dafür angefeindet. Trotzdem legen sie nun nach: Mit dem Esoterik-Sachbuch «Gefährlicher Glaube» (Quadriga-Verlag, ab 34.90 Franken). Lamberty lebt in Berlin.

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Pia Lamberty (38) hat Psychologie mit den Schwerpunkten Social Cognition und Medienpsychologie an der Universität zu Köln studiert. Mittlerweile ist sie Mitbegründerin der Denkfabrik Cemas (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) in Berlin, die Antisemitismus, Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus im Netz erforscht. Und zusammen mit der deutschen Journalistin Katharina Nocun (36) Autorin der beiden Bücher «Fake Facts» und «True Facts». Die beiden sind gefragte Expertinnen. Und werden dafür angefeindet. Trotzdem legen sie nun nach: Mit dem Esoterik-Sachbuch «Gefährlicher Glaube» (Quadriga-Verlag, ab 34.90 Franken). Lamberty lebt in Berlin.

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Krisen sind also Treiber.
Wenn eine Partnerschaft in die Brüche geht, wenn man den Job verliert, krank wird, Corona, Klima, Krieg, dann sind Menschen anfällig. Das haben wir in den letzten zweieinhalb Jahren beobachten können. Esoterik und Verschwörungserzählungen haben Konjunktur. Und die Krisen werden ja nicht weniger. Wir wollen mit unserem Buch auf die Gefahren hinweisen, die Esoterik mit sich bringt.

Was genau bringt es mir, wenn ich in einer Krisenzeit anfange, an spirituelle Kräfte zu glauben?
Esoterik suggeriert ja, Kontrolle über die Welt zu geben. Hat man Krebs, fühlt man sich dadurch nicht mehr ausgeliefert, man muss sich nicht mehr mit den Heilungschancen auseinandersetzen. Weil Esoterik sagt: Wenn du nur stark genug daran arbeitest, kannst du alles überwinden. Man kann mit Gedanken Hochwasserkatastrophen verhindern, mit Toten sprechen, sich über alle Naturgesetze hinwegsetzen. Nur man selber verfügt über dieses besondere Wissen, diese Fähigkeit.

Das klingt grössenwahnsinnig.
Man weiss aus der Forschung, dass der Glaube an Esoterik mit Ich-Fokussiertheit und einem Über-den-anderen-Stehen zusammenhängt – Forscher nennen das «spirituelle Arroganz». Esoterik macht blind.

Ab wann wird das zu einem Problem?
In der Psychologie gibt es das Konzept «der Glaube an eine gerechte Welt»: Wie ich mich verhalte, hallt es zurück. Karma. Das kann Menschen enorm unter Druck setzen. Das berichten manche schon in Bezug auf Yoga, wenn es keinen Effekt hat, sucht man bei sich einen Fehler: Man war nicht bereit, ausdauernd genug. Man macht Yoga, damit es besser geht, und man fühlt sich schlechter, weil man nicht so entspannt war, wie man sein sollte. Ein Selbstoptimierungsdruck.

Richtig gefährlich ist das aber nicht.
Wir stiessen bei unseren Recherchen auf fahrlässige Geschichten. Da wird mit der Not von Menschen schamlos Kasse gemacht.

Zum Beispiel?
Wenn Eltern ein krebskrankes Kind haben, ist das eine unfassbare Belastung. Sie sind verzweifelt. Und dann kommt jemand, sagt, das ist kein Krebs, du musst keine Chemo machen, mit ein bisschen Heilwasser ist es erledigt.

Menschen in Not haben oft einen Tunnelblick. Wie merkt man, dass man abdriftet?
Man sollte immer aufmerksam bleiben. Und seinem Bauchgefühl trauen. Menschen, die in Sekten oder Psychogruppen landen, haben oft anfangs ein flaues Gefühl im Magen, je mehr sie reininvestierten, desto mehr verschwindet das.

Nun könnte man doch auch jemanden einfach an Engel glauben lassen. Nach dem Motto: Tut ja niemandem weh.
Wenn jemand völlig abtaucht, keine Medien mehr konsumiert, nur noch in dieser esoterischen Welt lebt, verschliesst die Person die Augen vor dem Leid der Welt. Eskapismus. Tun das viele, hat unsere demokratische Gesellschaft ein Problem. Wir sind dann den Leuten, die es nicht gut meinen, schutzlos ausgeliefert. Weil dann viele lieber Mantras malen, anstatt wählen zu gehen. Gerade in diesen Zeiten können wir es uns nicht leisten, dass sich Menschen aus der Demokratie zurückziehen.

Die Pandemie hat gezeigt, dass sich einige ganz und gar nicht zurückziehen. An den Anti-Massnahmen-Demos sah man Esoterikerinnen Schulter an Schulter mit Verschwörungsanhängern marschieren. Wie hängt das zusammen?
Esoterik ist der Motor von Verschwörungserzählungen. Sie legt den Boden. Studien zeigen, dass Menschen, die Medizin-Kritiker sind, sich der Alternativmedizin zugewendet haben und eher gleichzeitig glauben, dass die Pharmalobby sie vergiften will oder unnötig mit Medikamenten vollpumpt – eine Verschwörung.

Gibt es Gemeinsamkeiten?
Bei beidem suchen Menschen Halt in einem Muster. Sie haben ein Misstrauen gegenüber jenen, die als mächtig wahrgenommen werden – «denen da oben». Der Unterschied: Frauen tendieren eher zu Esoterik, Männer, vor allem die Abgehängten mit geringerer Bildung, zu Verschwörungsglauben.

Ein Bundesrat hat kürzlich für einen Eklat gesorgt. Alain Berset argumentierte in Bezug auf eine 5G-Antenne unter anderem mit «schädlichen Auswirkungen» von elektromagnetischen Wellen «auf Mensch und Tier». Was passiert, wenn jemand wie er so etwas tut?
Er ist damit ein Türöffner in diese abstrusen Welten. Durch seine Autorität, durch seine Reichweite, mit der er viele erreicht. Für die, die an die 5G-Verschwörung glauben, gilt, was er schrieb, als Legitimierung.

Andere zeigen ihm den Vogel.
Nicht unbedingt. Bei jenen, die eigentlich nicht daran glauben, wecken seine Worte einen leisen Zweifel. Es braucht keine Überzeugung, um einen Effekt zu haben, es reicht, dass ich unsicher werde, ob die Impfung nicht schadet. Das reicht, dass ich weniger bereit bin, mein Kind impfen zu lassen.

Genau diese Stimmung ist in der Pandemie in Gewalt umgeschlagen. Auch verbal. Sie selber sind als Wissenschaftlerin zum Ziel von Attacken geworden. Wie war das genau?
Was da über mich hinweggerollt ist, hätte ich mir davor nie vorstellen können. Die Wucht war enorm. Ich habe viele erschütternde E-Mails, Briefe, Nachrichten bekommen. Die Zahl der E-Mails allein liegt im vierstelligen Bereich.

Was stand drin?
Beschimpfungen, darunter antisemitische oder solche mit sexualisierter Gewalt. Sogar Morddrohungen gabs. Im rechten Verschwörungslager gibt es zudem die Kampagne «Ich habe mitgemacht», da werden die «Täterinnen und Täter» in Bezug auf Corona genannt, man wird zum Abschuss freigegeben. Da stehe ich drauf.

Die «Süddeutsche Zeitung» schrieb, Sie hätten Nachrichten wie diese erhalten: «Pia Lamberty, Du Miststück, wir kriegen Dich bald, dann gnade Dir Gott!» Wie reagieren Sie darauf?
Ich zeige einiges an, aber ich habe nur begrenzte Kapazitäten für alles. Und ich muss mich schützen. Ich veröffentliche nichts Privates mehr, poste keine Bilder davon, wo ich gerade bin.

Haben Sie je ans Aufhören gedacht?
Nicht ernsthaft. Aber es macht natürlich etwas mit mir. Zeitweise war ich dankbar, eine Maske zu haben und weniger sichtbar zu sein. Wenn jemand komisch guckt, frage ich mich, tust du das, weil du mein Gesicht doof findest oder mich erkannt hast und mir was Böses willst.

Vor kurzem gab die SP-Politikerin Sarah Akanji bekannt, dass sie wegen der rassistischen und sexistischen Anfeindungen als Kantonsrätin aufhört. Trifft der Hass eher Frauen als Männer?
Er trifft marginalisierte Gruppen. Frauen, die mundtot gemacht werden sollen. Diese überlegen sich dann immer häufiger, ob sie einen Satz sagen sollen. Bis sie verstummen. Es geht darum, dass sie sowie schwarze, jüdische, muslimische und andere Stimmen nicht mehr hörbar sind.

Was bräuchte es, damit sich das ändert?
Wir sind immer noch auf dem Level, dass Hass im Netz als nicht echt, nicht real und bedrohlich wahrgenommen wird. Auch von der Polizei. Es bräuchte eine Strafverfolgung mit Leuten, die kompetent auf dem Gebiet sind. Und dann wärs gut, wenn es ganz einfach wäre, eine Anzeige zu erstatten. Wichtig auch: ein schnelleres Eingreifen der Onlineplattformen.

Was kann man als Betroffene tun?
Sich Unterstützung suchen, um nicht mit den Erfahrungen allein zu bleiben. Digitale Pausen einlegen, wenn es zu viel wird, und sich im digitalen Bereich auch um Sicherheit kümmern. Die Verantwortung liegt aber klar bei Politik, Gesellschaft und den Plattformen.


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