Sportmediziner Robert E. Seidner warnt vor Fanatismus
«Süchtige trainieren bis zum Umfallen»

Sport ist gesund – doch er kann auch süchtig machen. Viele Betroffene trainieren bis zum Umfallen.
Publiziert: 06.03.2017 um 12:11 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 14:02 Uhr
Interview: Anian Heierli

Sportmediziner Robert E. Seidner (45) aus Schwyz freut sich über junge Menschen, die begeistert trainieren. Trotzdem warnt er vor zu viel Ehrgeiz beim Sport.

BLICK: Wann wird Sport zur Krankheit?
Robert E. Seidner:
Wenn er abhängig macht. Sportsüchtige Personen richten ihr ganzes Leben danach aus.

Wie wirkt sich die Sucht aus?
Es gibt Parallelen zum Alkoholismus: soziale Isolation, der Drang nach immer mehr und sogar Entzugserscheinungen. Ein Sportsüchtiger, der aufs Training verzichten muss, wird aggressiv, depressiv oder nervös. Zum Glück ist nur ein geringer Teil der Sportler wirklich krank. Man spricht von ein bis drei Prozent.

Sportarzt Robert E. Seidner (45) aus Schwyz: «Triathleten und wettkampforientierte Ausdauersportler sind am meisten gefährdet.»
Foto: ANIAN HEIERLI

Und das schädigt die Gesundheit?
Klar. Beispielsweise machen Betroffene trotz Verletzung weiter. Schmerzen unterdrücken sie mit Medikamenten. Sie trainieren buchstäblich bis zum Umfallen. Dadurch können schwere medizinische Schäden entstehen.

Ist jeder Sportler gefährdet?
Nein. Damit eine Sportsucht entsteht, braucht es einen bestimmten Charaktertyp. Es sind sehr ehrgeizige Menschen, die hohe Ansprüche an sich selbst stellen. Verbissen beschreibt es gut. Auch äussere Umstände spielen manchmal eine Rolle.

Zum Beispiel?
Ein Todesfall, Stress im Beruf oder eine Trennung können Sportler in die Sucht treiben. 

Gibt es Sportarten die süchtiger machen als andere?
Die gibt es tatsächlich. Triathleten und wettkampforientierte Ausdauersportler sind am meisten gefährdet. Aber auch Leute, die einem Körperideal nacheifern. Doch aufgepasst, Fitnessmodels vermitteln ein verzerrtes Bild. Auch Fotos in Magazinen sind nachbearbeitet. Und: Athleten sehen nicht immer so durchtrainiert aus wie am Shootingtag.

Wie merkt ein Sportler, dass er süchtig wird?
In der Regel gar nicht. Betroffene sehen ihr Problem selbst nicht ein. Der Freundeskreis, die Familie oder die Arbeit werden vernachlässigt. Dann muss das Umfeld reagieren. Sportsüchtige brauchen professionelle Hilfe.

Also ein ernstes Thema?
Auf jeden Fall. Selbst wenn Sportsucht nicht die Masse betrifft, schaden sich Betroffene stark. Zusätzlich kann es zu Essstörungen kommen. Ich spreche von Magersucht und einseitiger Ernährung.

Und warum kann Sport süchtig machen?
Wegen Geltungsdrang, dem positiven Gefühl etwas geleistet zu haben oder der mentale Flow, heisst, wenn der Körper beim Training eigene Glückshormone ausschüttet. Vernünftig betrieben, ist Sport aber ungefährlich und gesund.

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