«Ich empfinde ein Schamgefühl»
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Er holt wieder illegal Heroin:«Ich empfinde ein Schamgefühl»

Suchtkranker Jonas W. (36) zu Methadon-Engpass
«Jetzt besorge ich mir wieder Heroin auf der Strasse»

Methadon ist in der Schweiz derzeit Mangelware. Für Ex-Heroin-Abhängige wie Jonas W. hat das fatale Folgen. Vor vier Wochen musste er von Methadon auf ein anderes Präparat umsteigen. Seither plagen ihn Entzugserscheinungen – und diese treiben ihn wieder in die Sucht.
Publiziert: 11.02.2023 um 16:42 Uhr
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Aktualisiert: 12.02.2023 um 16:19 Uhr
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Carla De-VizziRedaktorin News

Seit Anfang Jahr ist bekannt, dass die Schweiz kurz vor einer Methadon-Knappheit steht. Der Grund: Swissmedic hat dem grössten Schweizer Methadon-Tabletten-Hersteller, der Amino AG im Kanton Aargau, die Bewilligung entzogen. Was vorher noch eine Drohung war, ist mittlerweile knallharte Realität. Der Engpass ist da – und für viele der rund 9000 Suchtkranken in der Schweiz bereits deutlich spürbar. So auch für den einst Heroin-Abhängigen Jonas W.* (36) aus Zürich.

Dank der Methadon-Abgabe ist er von der Spritze losgekommen. Wegen des Engpasses kann er sein Methadon-Medikament Ketalgin, das er seit acht Jahren täglich einnimmt, nun nicht mehr beziehen. «In den letzten vier Wochen musste ich bereits zweimal das Präparat wechseln», sagt Jonas W. zu Blick. Seither sei nichts mehr wie vorher. Da die Wirkung nicht dieselbe ist wie beim Methadon, plagen ihn zum ersten Mal seit Jahren wieder Entzugserscheinungen. Der Suchtdruck sei zurück und er falle wieder in alte Muster.

Tauschen, dealen, klauen

Die Entzugserscheinungen und die Angst, nicht an den Stoff zu kommen, seien so unerträglich geworden, dass seine schlimmste Befürchtung wahr wurde: «Ich musste mir wieder Heroin auf der Strasse besorgen.» Vier Mal habe er sich bereits Diaphin, künstliches Heroin, illegal beschafft. «Ich schäme mich, doch ich habe keinen anderen Ausweg gesehen.»

Für den Ex-Heroin-Abhängigen Jonas W. wird es düster.
Foto: Siggi Bucher
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Die Situation macht dem 36-Jährigen zu schaffen. «Mit dem Ketalgin hatte ich mein Leben im Griff. Doch jetzt bricht alles wieder ein.» Die Ungewissheit, ob er es jemals wieder dahin zurückschafft, fresse ihn auf. Diaphin sei um einiges stärker als Methadon. «Es ist unklar, ob ich nach dem Engpass wieder auf mein altes Medikament umsteigen kann. Der wirft mich um einige Jahre zurück.»

Neben der Gefahr, wieder ganz abzurutschen, berge das Ganze natürlich auch finanzielle Risiken. «Eine Tablette Diaphin kostet mich 20 Franken. Wenn das so weitergeht, ruiniert mich das finanziell.» Mit diesen Sorgen ist W. nicht allein. «Ich kenne unzählige andere, die mittlerweile wieder beim Dealer gelandet sind.» Die Unruhe und Unsicherheit sei in der Szene deutlich spürbar. «Tauschen, dealen, klauen – jeder versucht, irgendwie an die Substanz zu kommen, die er benötigt.»

«Unsere Befürchtung ist leider eingetreten»

Thilo Beck, Co-Chefarzt Psychiatrie des Suchtzentrums Arud in Zürich, bestätigt die prekäre Situation auf Anfrage von Blick: «Viele Methadon-Patienten mussten bereits auf ein anderes Präparat umsteigen. Für die Patienten, die noch Methadon beziehen, mussten die Mitgaben drastisch eingeschränkt werden.» Die Lage sei herausfordernd und destabilisierend. Viele Patienten würden die neuen Medikamente nicht vertragen und das Heroin wieder auf dem Schwarzmarkt besorgen.

«Unsere Befürchtung ist leider eingetreten», so der Psychiater zu Blick. Momentan versuche man, mit einer sogenannten Magistralrezeptur über die Runden zu kommen. Damit könne man dazu berechtigten Apotheken den Auftrag für die Herstellung eines Medikaments erteilen. Dabei handle es sich jedoch um Spezialanfertigungen, die mit einem entsprechend grossen Aufwand verbunden seien. Und: «Nicht jede Abgabestelle hat das Glück, in der Nähe einer Apotheke zu sein.»

Beck zufolge soll die Firma Streuli Pharma AG aus Uznach SG einen drohenden Lieferengpass verhindern. «Die Streuli AG stellt bereits Methadon-Tabletten mit einer geringeren Dosis her. Jetzt will die Firma die Produktion ab Ende Februar ausbauen, um die Apotheken zu unterstützen.» Dennoch handle es sich um eine Notlösung. «Wenn nach wie vor zu wenig Methadon produziert wird, springen unsere Patienten wieder von den Programmen ab», so Beck.

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