Hier schlendert der Wolf durchs Maggiatal
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Keine Scheu vor dem Menschen:Hier schlendert der Wolf durchs Maggiatal

Er hat keine Angst vor Menschen – ist er ein Hybrid?
Wolf zieht seelenruhig durch die Dörfer des Maggiatals

Am vergangenen Dienstag erhält das Maggiatal unerwünschten Besuch. Ein junger Räuber trabt seelenruhig durch Hof und Dorfkern. Gleich mehrere Zeugen können das Tier filmen und fotografieren. Die Vermutung: Es ist ein Wolfshybrid.
Publiziert: 20.03.2023 um 00:59 Uhr
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Aktualisiert: 20.03.2023 um 14:21 Uhr
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Myrte MüllerAussenreporterin News

Es ist der letzte Punkt auf der Traktandenliste der regionalen Bauernvereinigung – und vielleicht auch der Grund, warum der Mehrzwecksaal von Maggia TI an diesem Sonntagmorgen Anfang März bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Neben den üblichen Vereinsthemen steht auch der Wolf zur Diskussion. «Von den 298 gemeldeten Rissen im Jahr 2022, geschahen 128 bei uns», erklärt Armando Donati (78).

Der kantonale Präsident des Vereins Schweiz zum Schutz der ländlichen Lebensräume vor Grossraubtieren (VSLvGRT) zählt weiter auf: «Früher waren im Tessin fünf bis sechs Bauern vom Wolf betroffen, jetzt sind es schon 60. Wurden in den vergangenen Jahren vier bis fünf Tiere gemeldet, so haben wir in den ersten Monaten von 2023 bereits 20 Wolfssichtungen.»

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«Plötzlich lief uns ein Wolf vor die Füsse.»
Pietro Mazzoni (47) aus Lodano TI
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Gestörte Idylle: Auf dem malerischen Weg von Moghegno nach Lodano, zwischen herausgeputzten Rustici, ist am 28. Februar ein Wolf entlangspaziert.
Foto: © Ti-Press / Ti-Press
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Der Räuber bedroht nicht nur Schafe, Ziegen, Kälber und Esel. Er streunt auch durchs Siedlungsgebiet. Zuletzt am Dienstag, dem 28. Februar. «Es war kurz nach 9.30 Uhr. Ein Freund war bei mir auf dem Hof vorgefahren. Wir standen an seinem Auto, als uns plötzlich ein Wolf vor die Füsse lief», sagt Pietro Mazzoni (47) aus Lodano TI. Das Tier sei nicht in Panik gewesen, sondern seelenruhig an den Männern vorbeigetrottet, berichtet der gelernte Schreiner und zeigt Fotos.

Von Lodano über Riveo nach Cevio und Bignasco

Der Nächste, der den Räuber beobachtet, ist Siro Schürmann (50) aus Losone TI. «Ich sass im Bus. Es war 17.30 Uhr. Wir fuhren gerade an Riveo vorbei. Da sah ich das Tier den Fluss entlanglaufen.» Wenig später taucht der Wolf in Cevio auf, nähert sich einem Agrotourismus und einem Lama-Gehege. Er trabt weiter nach Bignasco. Auf dem Weg dorthin wird er von Autofahrern mit dem Smartphone gefilmt. In Bignasco selbst zieht er durch den alten Dorfkern, entlang der Gasse, die zum Kindergarten und der Schule führt.

«Er ist durch unseren Garten am Hühnerstall vorbeigelaufen», sagt Sara Muto (37), Erzieherin und Mutter von drei Kindern (2, 6 und 9), «was macht man, wenn plötzlich ein Wolf vor einem steht? Besonders für Kinder, die kleiner sind als das Tier, ist das gefährlich.» Um 20 Uhr wird der Wolf auf der Strasse bei Menzonio erneut mit dem Smartphone aufgenommen.

Sichelförmiger Schwanz weist auf Hybriden hin

Für Germano Mattei (70), Politiker von «Montagna Viva», zeigen die Aufnahmen keinen reinen Wolf: «Er hat keine Angst vor Menschen. Er ist möglicherweise ein Hybrid.» Auch Hundetrainer Siro Schürmann glaubt daran. «Ich kenne das Verhalten von Hunden, habe im französischen Grenzgebiet, wo ich Schlittenhunde trainierte, ein Wolfsrudel beobachten können. Dieses Tier verhält sich atypisch für einen Wolf», sagt er. Auffallend sei auch der sichelförmige Schwanz und die spitzen Ohren, typisch für einen Hybriden.

Hybride nicht gefährlicher als Wolf

Ein Hybride ist eine Kreuzung zwischen Wolf und Hund. Stammt er aus der ersten Generation, wird er F1-Wolfshybride genannt. Meist kommt es zur Paarung zwischen Wölfin und Hunderüden. Denn die Wölfin ist nur im Frühjahr läufig und der Wolf nur in dieser Zeit zeugungsfähig. Der Hund hingegen kann immer decken.

Der F1-Hybride hat zu je 50 Prozent die Gene seiner Eltern. Rein äusserlich ist er schwer auszumachen. Hybride haben zuweilen spitze Ohren und eine andere Fellfarbe. Ihr Schwanz kann sichelförmig sein. Sein Verhalten ist dem des Wolfes ähnlich. Hybriden sind für Menschen nicht gefährlicher als Wölfe.

Und sie sind sehr selten. In der Schweiz ist bislang nur ein Exemplar bekannt. Der Hybride wurde im März 2022 im Rheintal bei Chur abgeschossen. Im Gegensatz zum Wolf ist der Hybride bei uns nicht geschützt, weil er die Wolfspopulation genetisch verwässern kann.

Wolf im Wildpark von Heilbronn (D).
Ronald Wittek

Ein Hybride ist eine Kreuzung zwischen Wolf und Hund. Stammt er aus der ersten Generation, wird er F1-Wolfshybride genannt. Meist kommt es zur Paarung zwischen Wölfin und Hunderüden. Denn die Wölfin ist nur im Frühjahr läufig und der Wolf nur in dieser Zeit zeugungsfähig. Der Hund hingegen kann immer decken.

Der F1-Hybride hat zu je 50 Prozent die Gene seiner Eltern. Rein äusserlich ist er schwer auszumachen. Hybride haben zuweilen spitze Ohren und eine andere Fellfarbe. Ihr Schwanz kann sichelförmig sein. Sein Verhalten ist dem des Wolfes ähnlich. Hybriden sind für Menschen nicht gefährlicher als Wölfe.

Und sie sind sehr selten. In der Schweiz ist bislang nur ein Exemplar bekannt. Der Hybride wurde im März 2022 im Rheintal bei Chur abgeschossen. Im Gegensatz zum Wolf ist der Hybride bei uns nicht geschützt, weil er die Wolfspopulation genetisch verwässern kann.

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Anderer Meinung hingegen ist Christian Stauffer (62). Der Geschäftsführer der Stiftung Kora, die sich mit Raubtierökologie und Wildtiermanagement befasst, hat ebenfalls die Wolfsvideos gesehen und sagt: «Es gibt keinen Hinweis auf einen Hybriden. Das Verhalten auf den Filmsequenzen ist nicht aussergewöhnlich. Nach unserer Beurteilung handelt es sich um einen Wolf.» Einen Hybriden schliesst auch Gabriele Cozzi (43) von der kantonalen Jagdaufsicht aus: «Es ist eher ein Wolf, der sich auf Wanderschaft befindet und sich in einer ihm fremden Umgebung verlaufen hat.» DNA-Spuren, die die Herkunft des Tieres bestätigen könnten, seien leider nicht gefunden worden.

Hybrid ist nicht geschützt und darf geschossen werden

Ob Wolf oder Hybrid – im Mehrzwecksaal in Maggia macht es keinen Unterschied. Dort wird der Abschuss gefordert. Egal, ob autorisiert oder in Selbstjustiz. Der Volkszorn kocht über. Die Bevölkerung fühlt sich vom Kanton im Stich gelassen. «Die Regierung antwortet noch nicht einmal auf unsere Briefe. Sie steckt den Kopf in den Sand», sagt Armando Donati. Trotz der bedrohlichen Lage habe der Kanton noch immer keinen Abschuss von Wölfen freigegeben, klagt Germano Mattei und fragt: «Sollen wir warten, bis der Wolf in unsere Häuser eindringt?»

Auch ausserhalb des Saals herrscht Unbehagen. «Ich wollte mit meinen Kindern in den Wald spazieren gehen. Da hat meine kleine Tochter (6) gesagt, es habe dort Wölfe», sagt Mariam Naini aus Avegno TI, «ich habe noch erwidert, es gäbe doch keine Wölfe hier. Später dann habe ich die Videos gesehen. Jetzt gehe ich nicht mehr in den Wald.» Rentner Elio Tuzzi (71) aus Cevio TI hat ebenfalls Respekt vor dem Wolf. «Der reisst ja nicht nur ein paar Schafe, er richtet Massaker an.» Gesetzlich macht es durchaus einen Unterschied, ob Wolf oder Wolfshund. Ein Hybrid ist nicht geschützt, er darf abgeschossen werden.


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