Tricksende Metzger kommen oft zu gut weg
«Schweizer Fleisch» aus Holland

Verbraucherschützer kritisieren lasche Kontrollen und milde Strafen bei falsch gelabelten Produkten. Tricksereien bleiben oft unbestraft.
Publiziert: 12.11.2023 um 16:26 Uhr
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Aktualisiert: 12.11.2023 um 17:40 Uhr
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Vanessa MistricRedaktorin

Fast ein Jahr lang verkaufte eine Thurgauer Metzgerei unbehelligt Importfleisch aus den Niederlanden, Österreich, Frankreich und Uruguay als «Suisse Garantie» – mindestens 95 Tonnen.

Laut eigenen Angaben kontrolliert die Vereinigung Agro-Marketing Suisse (AMS), der die Marke Suisse Garantie gehört, Betriebe, die das Label verwenden, einmal im Jahr. Und doch flog die dreiste Thurgauer Metzgerei erst bei einem Kontrollbesuch der Kantonschemiker auf.

Die Staatsanwaltschaft forderte zwar, dass die Angeklagten 200'000 Franken zahlen. Das Thurgauer Obergericht sprach die Metzger schuldig, verzichtete aber auf eine Strafe. Begründung: «Die Kundschaft wurde nicht (relevant) getäuscht, da nicht erwiesen ist, dass sie Wert auf das Label ‹Suisse Garantie› legte.» Die Qualität des ausländischen Fleisches, so das Gericht, sei «gleichwertig».

Agro-Marketing Präsident Urs Schneider verteidigt das Label «Suisse Garantie», nachdem Tricksereien einer Metzgerei ans Licht kamen.
Foto: Zvg
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Agro-Marketing sah diese später häufig zitierte Begründung des Gerichts nicht gerne – wenig überraschend, denn sie versucht seit Jahren in aufwendigen Plakat- und TV-Kampagnen, Konsumentinnen und Konsumenten zum Kauf von Schweizer Fleisch und anderen Produkten zu animieren.

Dass das Gericht auf eine «strafrechtliche Bestrafung» verzichte, sei «unverständlich», sagt AMS-Präsident Urs Schneider. «Warum wohl wurde importiertes Fleisch mit ‹Suisse Garantie› gekennzeichnet?» Agro-Marketing habe sich mit der Metzgerei auf eine Wiedergutmachung in Höhe einer «mittleren fünfstelligen Summe» geeinigt.

«Geradezu eine Einladung zum Betrug»

Obergerichtsschreiber Thomas Soliva zeigt sich überrascht von dieser Reaktion: «Agro-Marketing Suisse hat ihr Desinteresse an der Strafverfolgung der beiden Angeklagten erklärt», schreibt er auf Anfrage von SonntagsBlick. Eine Minderwertigkeit von ausländischem Wurstfleisch, Vlies und Fett sei nicht belegt.

Kritik am Gerichtsentscheid kommt auch vom Luzerner Kantonschemiker Silvio Arpagaus. Die Kundschaft sei getäuscht worden, das sei gemäss Lebensmittelgesetz verboten. «Die Betrogenen haben keine Wiedergutmachung erfahren.»

Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz, sieht Verbraucherinnen in der Schweiz generell nicht ausreichend vor Tricksereien geschützt: «Wer betrügen will, kann das recht lange unentdeckt tun. Die Strafen fallen oft milde aus und sind deswegen geradezu eine Einladung zum Betrug.» Zudem seien die zuständigen Kantonsstellen unterdotiert. Gesundheitsgefährdende Praktiken hätten bei ihren Kontrollen Priorität. Stalder: «Wir appellieren an die Kantone, Kontrollen auszubauen und Täuschungen schärfer zu bestrafen.»

Bereits 2016 hielt der Bundesrat fest, dass bei den knapp besetzten Kantonsbehörden der Täuschungsschutz eine «untergeordnete Bedeutung» habe. Und: Im Falle einer Verurteilung würden oft «nur milde Geldstrafen verhängt».

Nur die Schlimmsten erwischt es

SonntagsBlick-Recherchen zeigen: Wenn Kantonschemiker falsch gekennzeichnete Produkte finden, geben sie den Betrieben in der Regel zunächst eine Chance, die Mängel zu beheben. Eine Anzeige droht vor allem Wiederholungstätern oder Betrieben, die besonders dreist vorgehen.

Die zuständigen Bundesämter können nicht sagen, wie häufig Metzgereien ihre Kundschaft mit Angaben wie «Suisse Garantie» oder «Schweizer Fleisch» täuschen. Dazu fehle ihnen die Übersicht.

Im vergangenen Jahr führten Kantonschemiker eine Reihe von Inspektionen durch, bei denen sie gezielt Schweizer Milch- und Fleischprodukte kontrollierten, die mit geschützten Bezeichnungen wie «Walliser Trockenfleisch» oder «Bündnerfleisch» warben.

Solche Bezeichnungen dürfen nur von Betrieben aus dem jeweiligen Gebiet verwendet werden, die sich an spezielle Regeln halten. Ergebnis der Inspektionen: Zwei Prozent der Produkte seien irreführend gekennzeichnet oder in nicht zertifizierten Unternehmen hergestellt. Anzeige erstatteten die Inspektoren nicht.

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