«Man hat den Eindruck, sie arbeiten gegeneinander»
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Hermann analysiert Bundesrat:«Man hat den Eindruck, sie arbeiten gegeneinander»

Keller-Sutter top, Cassis flop
So denkt das Volk über den Bundesrat

Eine repräsentative Umfrage zeigt: Der Souverän erkennt kein Teamwork bei seiner Regierung. Justizministerin Keller-Sutter wird am meisten zugetraut.
Publiziert: 30.07.2022 um 22:20 Uhr
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Aktualisiert: 31.07.2022 um 10:14 Uhr
Simon Marti, Reza Rafi

Die Pandemie, die russische Invasion in der Ukraine, die drohende Energiekrise: Die grossen Herausforderungen rücken die Regierung noch stärker ins Zentrum der Schweizer Politik. Wir erleben die Stunde des Bundesrats. Das hat Folgen für die sieben Mitglieder des Gremiums, für das Miteinander von sieben Egos aus vier verschiedenen Parteien.

Das Forschungsinstitut Sotomo ging zusammen mit SonntagsBlick der Frage nach, wie die Bevölkerung mit den Bundesräten und ihrer Leistung zufrieden ist.

Die wichtigste Erkenntnis: Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung glaubt nicht mehr, dass in Bern ein Team an der Arbeit ist. Knapp zwei Drittel (64 Prozent) sind der Ansicht, dass die sieben Bundesratsmitglieder nicht gut zusammenarbeiten. Das ist bemerkenswert in einem Land, das sich als Willensnation versteht und am 1. August den gesellschaftlichen Zusammenhalt feiert.

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Dennoch sei dieser Wert keine Überraschung, findet Politgeograf Michael Hermann (50), Geschäftsführer von Sotomo. «Es herrscht eine offensichtliche Rivalität im Gremium. Mit gezielten Indiskretionen wird versucht, sich gegenseitig zu schaden.» Ein Konkurrenzdenken, das längst jenseits der engen Berner Gassen wahrgenommen wird und Erinnerungen an vergangene magistrale Machtkämpfe weckt. «Das ist vergleichbar mit der Zeit, als Pascal Couchepin und Christoph Blocher in der Regierung sassen. Diese Atmosphäre registriert die Bevölkerung», sagt Hermann. Es scheint bloss eine Frage der Zeit, bis der nächste Konflikt dieses zur Kooperation verdammten Grüppchens öffentlich ausgetragen wird.

Die Arbeit von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter bewerten die Befragten am besten.
Foto: Keystone
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Parmelin und Amherd auch auf dem Podest

Während die Bevölkerung das Teamwork als ungenügend taxiert, klaffen die Meinungen zum Leistungsausweis der einzelnen Bundesräte weit auseinander.

Die Befragten bewerteten hierzu die Arbeit der sieben Departementsvorsteher mit klassischen Schulnoten von 6 (sehr gut) bis 1 (sehr schlecht).

FDP-Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) zieht an allen vorbei. Königin Karin die Erste schneidet mit einer glatten 4 am besten ab. Ihre Arbeit wird in der Romandie sogar noch höher eingeschätzt als in der Deutschschweiz. Ihr kommt wohl auch zugute, dass sie als langjährige St.Galler Sicherheitsdirektorin Werte verkörpert, die Konjunktur haben. Sie pflegt ihren Ruf als zupackende und wenn nötig knallharte Politikerin, gerade in Fragen der öffentlichen Sicherheit. Damit verweist «KKS» SVP-Bundesrat Guy Parmelin (62) und Verteidigungsministerin Viola Amherd (60, Mitte) auf die Plätze zwei und drei. Die Walliser Strahlefrau liefert sich derzeit im Zuge der F-35-Beschaffung eine unschöne Auseinandersetzung mit dem Finanz- und dem Aussendepartement.

Die aktuellen Herausforderungen spielen Keller-Sutter zweifellos in die Karten. «Mit der Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge konnte sie sich bewähren. Ihr Departement steht in dieser Krise im Fokus», sagt Hermann. Das war in ihrer bisherigen Amtszeit kaum der Fall. Das Justizdepartement, garantiert nicht ihre erste Wahl, spielte während Corona allenfalls eine Nebenrolle. «Karin Keller-Sutter wurde mit Glanz ins Amt gewählt, dann aber tauchte sie unter. Während der Pandemie standen andere im Vordergrund.» Doch jetzt hole sie sich etwas von diesem Glanz zurück, stellt Michael Hermann fest. So kann man den Zuspruch, den Keller-Sutter geniesst, auch als Wunsch nach klarer Führung lesen.


Cassis' verwirrende Kommunikation

Der Kontrast zu ihrem Parteikollegen könnte nicht grösser sein: Bundespräsident Ignazio Cassis (61) steht mit einer Bewertung von nur gerade 3,2 am Schluss. Auch die internationale Ukraine-Konferenz in Lugano TI vermochte ihm keinen Schub zu verleihen. Die erheblichen Schwierigkeiten, die der Tessiner zu Beginn des russischen Angriffskriegs an den Tag legte und die verwirrende Kommunikation um die Frage, ob und wie die Schweiz die Sanktionen gegen Moskau mitträgt, haben Spuren hinterlassen. «Seine Kommunikation kommt nicht an, man meint fast, die Angst einer drohenden Abwahl zu spüren.»

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Das Wahljahr wirft seine Schatten voraus. Cassis’ Freisinn und die SP werden um ihre Doppelvertretungen kämpfen müssen – wobei das Parlament und nicht die Bevölkerung die Wahl trifft. Möglich, dass Cassis aus der sich anbahnenden Auseinandersetzung um eine zeitgemässe Interpretation der Neutralität Stärke zieht. Am politischen Mut, kontroverse Debatten zu führen, fehlt es dem Aussenminister eigentlich nicht, wie er im Umgang mit China bewiesen hat.

Einer, der 2023 entspannt entgegensieht, ist Wirtschaftsminister Guy Parmelin (62, SVP). Ausgerechnet Parmelin. Anders als Cassis streifte der Waadtländer in seinem Präsidialjahr 2021 das Image des Prügelknaben ab. Er war es, der in Brüssel das Ende des Rahmenabkommens vertrat und in Genf zwischen US-Präsident Joe Biden und Russlands Staatschef Wladimir Putin vor die Weltöffentlichkeit trat. In Bern stärkte er nebenbei Gesundheitsminister Alain Berset (50, SP) den Rücken, als Parmelins eigene Partei sich auf den Freiburger einschoss.

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Sommaruga vor entscheidender Prüfung

Berset betreibt seine öffentliche Demontage inzwischen erfolgreich selber. Ein viel beschriebener Irrflug nach Frankreich, der einen Einsatz der französischen Luftwaffe auslöste, ist bloss das jüngste Beispiel einer erstaunlichen Pannenserie.

Nun steht er vor dem Problem, dass die Öffentlichkeit die Negativschlagzeilen nicht mehr als Einzelfälle, sondern als Muster zu sehen beginnt, konstatiert Hermann. Dass der Gesundheitsminister je wieder an seine Popularität aus der Zeit der Covid-Krise anknüpfen kann, als er als Krisenmanager für viele zur Identifikationsfigur avancierte, darf man bezweifeln. Die AHV-Reform, die im September an die Urne kommt, vertritt er gegen das lautstarke Referendum der eigenen Partei. Für die gerupfte SP aber stellt diese Abstimmung so etwas wie das Halbfinale vor der grossen Ausmarchung bei den nationalen Wahlen dar. Kein einfacher Gang für Berset.

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Doch schätzen die Befragten den Politiker Berset noch immer höher ein als SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga (62). Die Bernerin verlor vor einem Jahr mit dem CO2-Gesetz überraschend die zentrale Vorlage ihres Departements. Es folgte der Absturz des Medienpakets, nun stemmt sie sich gegen die drohende Stromlücke – die entscheidende und vielleicht letzte grosse Prüfung ihrer politischen Laufbahn.

Adolf Ogi wird vermisst

Länger als die Umwelt- und Energieministerin ist nur noch Ueli Maurer (71) im Amt. Letzterer ist für einmal verhaltensunauffällig im Mittelfeld der Bundesratsrangliste unterwegs.

Beide, Sommaruga und Maurer, könnten dereinst mit einem Rücktritt dafür sorgen, dass der Bundesrat den Rank wiederfindet und im Urteil der Bevölkerung besser abschneidet.

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Eine Mehrheit wünscht sich eine andere Zusammensetzung des Bundesrats. Die Sotomo-Umfrage belegt, dass für 62 Prozent die Zeit der Zauberformel aus zwei Vertretern von SVP, SVP, FDP und einer Mitte-Bundesrätin abgelaufen ist. Doch will eine Mehrheit weder einen Freisinnigen noch einen Sozialdemokraten zugunsten einer grünen Bundesrätin abwählen.

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Mehrheitsfähig wäre allenfalls eine Figur aus einer anderen Zeit: Auf die Frage, welcher Bundesrat des 21. Jahrhunderts dem heutigen Gremium fehle, nannten satte 54 Prozent Adolf Ogi. Der Berner Oberländer trat vor beinahe 22 Jahren von der politischen Bühne ab. Eine Wahl, die einiges über Ogi und vieles über den aktuellen Bundesrat verrät. «Adolf Ogi steht im Ruf, ein volksnaher Brückenbauer zu sein. Etwas, was dem aktuellen Bundesrat aus Sicht der Befragten eben fehlt», sagt Michael Hermann. «Er verkörpert die Sehnsucht nach einem konzilianten, aber eigenständigen Politiker, der sich nicht als Sprachrohr seiner Partei versteht.» Es ist bezeichnend, wie stark dieses Bild bis heute präsent ist.

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