Übergewichtig und unsportlich
Corona hat die Kinder zu Bewegungsmuffeln gemacht

Die Einschränkungen der Covid-Pandemie hatten Einfluss auf die sportlichen Leistungen der Erstklässler. Besserung ist erst ansatzweise in Sicht.
Publiziert: 01.07.2024 um 00:02 Uhr
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Aktualisiert: 01.07.2024 um 07:42 Uhr
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Andreas SchmidInlandredaktor

Wie beweglich, ausdauernd und schnell sind die Erstklässler in der Schweiz? Und wie viele haben Übergewicht? Mehrere Städte wollen es genauer wissen und unterziehen die Sechs- und Siebenjährigen nach der Einschulung einem Sporttest mit fünf standardisierten Übungen, zudem lässt man die Kinder messen und wägen. 

Zürich kennt die sogenannte sportmotorische Bestandesaufnahme bereits seit 2005, andere wie Basel, Glarus, Bülach ZH oder Winterthur ZH folgten. Die Daten geben ein Bild vom Fitness- und Gesundheitszustand nach dem Schuleintritt, machen aber auch langjährige Vergleiche möglich.

Die Berichte zum aktuellen Schuljahr liegen inzwischen vor, Blick hat sie eingesehen. In Zürich zum Beispiel, wo im Herbst fast 3700 Kinder der ersten Klasse gemessen, gewogen und sportlich getestet wurden, sind immer noch Spuren aus der Corona-Zeit sichtbar. Die Messwerte nähern sich jedoch wieder jenen von vor der Pandemie an. 

Bewegungsfreude und Gewicht hängen bei Kindern zusammen.
Foto: Shutterstock
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Schlechtere Ausdauer

Laut Pascale Gränicher, wissenschaftlicher Leiterin der Bestandesaufnahme in Zürich, ist der Anteil der übergewichtigen (BMI zwischen 25 und 30) und der adipösen Kinder (BMI über 30) wieder gesunken. Der Body-Mass-Index (BMI) setzt Körpergewicht und Körpergrösse in Relation: Die Kennzahl liegt nun nicht mehr höher als vor dem Ausbruch von Covid sowie den damit verbundenen Einschränkungen. Dass Corona den Kindern noch in den Knochen sitzt, zeigt sich auch darin, dass die Leistungen im sportlichen Ausdauertest schlechter ausfielen als in den Jahren vor 2020. Es sei zwar eine Normalisierung sichtbar, sagt die Sportwissenschaftlerin, «vollständig korrigiert sind die Folgen des Bewegungsmangels aber nicht».

Obwohl Förderprogramme und die Sensibilisierung in den Schulen über die Jahre dazu beigetragen hätten, die Kinder zu mehr Bewegung zu motivieren und den Anteil der übergewichtigen und adipösen unter ihnen deutlich zu senken, waren laut Gränicher im vergangenen Jahr gut 8 Prozent der Erstklässler zu schwer, knapp 3 Prozent sogar adipös. In Winterthur waren es deutlich mehr, fast 11 Prozent hatten Übergewicht, über 5 Prozent wurden als adipös eingestuft.

Daten von Gesundheitsförderung Schweiz zeigen auf Basis von schulärztlichen Untersuchungen in Basel, Bern und Zürich, dass in der Mittelstufe mehr als 18 Prozent der Kinder zu viel wiegen, knapp 5 Prozent sind adipös. Auf der Oberstufe ist die Lage noch problematischer: Ein Viertel der Jugendlichen sind übergewichtig, 7 Prozent adipös.

Nachkontrolle in der 6. Klasse

Die Stadt Zürich führt die sportmotorische Bestandesaufnahme in diesem Herbst auch mit 14 Klassen des sechsten Schuljahrs durch, um zu erfahren, wie sich der Anteil der Übergewichtigen entwickelt hat – und ob sich mit sportlicher Betätigung positive Effekte erzielen lassen. Sportwissenschaftlerin Gränicher: «Wir haben dieses Jahr dank eines versuchsweisen Durchlaufes eine Nachkontrolle und so weitere Vergleichsmöglichkeiten.» 

Eine andere Studie, von der sich Zürich Erkenntnisse für die Gesundheitsförderung verspricht, untersucht die Auswirkungen von Frühgeburten auf das Bewegungsverhalten. Laut Gränicher soll künftig bei Förderprogrammen berücksichtigt werden, ob sich zu früh geborene Kinder im späteren Leben weniger gern sportlich betätigen. Eine Auswertung der Daten liegt noch nicht vor.

Mädchen weniger sportlich

Auffällig ist für Gränicher, dass Knaben bei den Tests deutlich besser abschneiden als Mädchen: Die Leistungsunterschiede seien über viele Jahre konstant geblieben – und keineswegs durch körperliche Unterschiede zu erklären. Die Sportwissenschaftlerin sieht den Grund dafür vielmehr darin, dass Knaben nach wie vor stärker dazu animiert werden, sich zu bewegen. «Sport und Bewegung gelten in vielen Familien auch heute noch als Knabensache», stellt die Expertin fest. Je nach Herkunft und Sozialisation werde den Mädchen körperliche Betätigung nicht vorgelebt. Das schlägt sich in der sportmotorischen Erhebung nieder.»

Bemerkenswert sei auch, dass die Erstklässler bei Sporttests seit Beginn der Erhebungen 2005 in einzelnen Disziplinen tendenziell schlechter abschneiden. Gränicher führt dies darauf zurück, dass sie seitdem im Durchschnitt einige Monate früher eingeschult wurden und deshalb zum Zeitpunkt der Bestandesaufnahme körperlich weniger weit entwickelt sind.

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