Unser Konsum ist schuld am Klimawandel
Müssen wir nun alle so leben wie Sie, Frau Helg?

Unschädlich sein: Das ist das Motto von Jasmin Helg (45) – und für sie schon beinahe ein Full-Time-Job. Um Verzicht gehe es dabei nicht. Im Gegenteil.
Publiziert: 05.08.2018 um 18:38 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 18:59 Uhr
Aline Wüst

Ihr Bett steht in einer alten Villa in Winterthur ZH. Dort wohnt Jasmin Helg mit 13 anderen Menschen zusammen. Das Zimmer ist ihr einziger privater Raum. Der Rest wird geteilt: die Küche, die Stube, der Garten – und der Drucker. «So brauche ich weniger Ressourcen.»

Ein Auto besitzt Jasmin Helg nicht. Und kein Velo. Aber sie ist Mitglied bei ­einer Foodkooperative. Das bedeutet, sie muss auch aufs Feld: Salat anpflanzen, Rüebli sortieren. Ihr Öl, den Reis und Zucker bezieht die WG ebenfalls über eine Kooperative. In grossen Säcken – so fällt kein Plastik an.

Die vierzehn ernähren sich mehrheitlich vegan. Ist sie eingeladen, verzehrt Helg aber auch mal Milchprodukte, in ganz seltenen Fällen auch Fleisch. «Ich will nicht allzu kompliziert sein.»

Jasmin Helg (45) aus Winterthur hat ihr ganzes Leben darauf ausgerichtet, der Umwelt nicht zu schaden.
Foto: Thomas Meier
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Bei Coop und Migros kauft sie schon lange nicht mehr ein. «Diese Konzerne sind mir zu gross und undurchsichtig.» Helg will mit ihrem Geld nur unterstützen, wohinter sie voll und ganz stehen kann.

Ihre Kleider sind aus dem Brockenhaus. Das letzte Kleidungsstück, das sie sich neu gekauft hat? Sie studiert lange. Sagt dann: «Lederne Wanderschuhe.» Aber solche, bei denen sie wisse, von welcher Kuh das Leder kommt und wie das Tier gelebt hat.

Reisen als Luxus

Wenn Helg verreist – was sie durchaus tut –, dann bewusst. Dieses Jahr waren sie und ihr Partner mit dem Auto in der Toskana – mit dem Auto?! «Ich habe mir lange überlegt, ob ich mit einem ausgeliehenen Auto hinfahren soll.» Mit dem öffentlichen Verkehr wäre es mühsam gewesen. «Es war ein Luxus, den ich mir gönnte.»

Ihr Schminktäschli ist winzig. Denn mit Lippenstift und Co. hat sie schon lange aufgehört – «sind wir nicht alle genug schön?» In ihrem Necessaire sind also bloss: eine ökologische Bambuszahnbürste, kleine Tabs, die man kiloweise unverpackt kaufen, einzeln im Mund aufschäumen und so die Zähne putzen kann, eine Haarbürste, die sie schon seit 30 Jahren besitzt, ein Mineralstein-Deo, ein Shampoo in fester Form, aufbewahrt in ­einem Aludöschen und eine im Bergell hergestellte Bodylotion – im Plastikfläschchen.

«Ich habe oft trockene Haut.» Ist es leer, werde sie nach einer Lösung in Glas Ausschau halten.

Ihr Laptop hat kürzlich den Geist aufgegeben. Ein Kollege gab ihr seinen. Der ist alt, funktioniert aber wunderbar. Nur der Akku sei defekt. Helg will ihn ersetzen lassen. Kleider flickt sie selber.

Wer nachhaltig leben wolle, müsse das gemeinsam mit anderen tun. Mehr reden, mehr teilen. Das tue gut, gebe Sinn.

Verzicht gegen Ausbeutung

Andererseits findet Helg nicht, dass man Verzicht üben müsse, um das Klima zu schonen und keine Menschen auszubeuten, im Gegenteil: «Ich bin zufrieden, habe mehr Zeit für andere Menschen im Leben.»

Ihre Beobachtung: «Wir haben hier doch alles und noch mehr – eine glückliche Gesellschaft sind wir deswegen nicht.»

Beruflich setzt sie sich dafür ein, dass ihr Lebensstil von immer mehr Menschen geteilt wird. Die gelernte Hochbauzeichnerin ist heute Co-Präsidentin von Transition Zürich, einer Onlineplattform, die all die vielen Projekte, die es in Zürich für einen nachhaltigen Lebensstil bereits gibt, vernetzen und sichtbar machen will.

2500 Franken verdient sie monatlich,­ so viel, wie das bedingungslose Grundeinkommen, das sie fordert. Damit lebe sie gut.

Müssten wir denn nun alle so leben, um den Klimawandel zu stoppen? «Ja!», sagt Helg. «Und es wäre für jeden Menschen in der Schweiz machbar.»

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