«Ein Millieu-Typ kam nicht aus der Zelle, weil ich berichten sollte!»
19:17
Viktor Dammanns beste Storys:Menschliche Abgründe und schwere Schicksale

Viktor Dammann (73) geht in Pension
Er hat das Böse in seine Schranken gewiesen

Viktor Dammann hat während vier Jahrzehnten als Gerichtsreporter für Blick gearbeitet. Nun geht die Journalisten-Legende in Pension. Dammann schaut zurück auf ein Berufsleben voller Verbrechen und Tod. Im Gespräch verrät er, warum ihm das bislang nichts anhaben konnte.
Publiziert: 07.07.2023 um 00:47 Uhr
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Aktualisiert: 07.07.2023 um 15:25 Uhr
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Flavio Paolo RazzinoNachrichtenchef

Wie sieht ein Reporter aus, der sich über 40 Jahre lang mit Mord, Totschlag, Betrug und Vergewaltigung auseinandergesetzt hat? Der über unzählige Gerichtsprozesse berichtete? Der heute 73 Jahre alt ist, eigentlich seit acht Jahren hätte seine Pension geniessen können, stattdessen aber immer weitergearbeitet hat, weil ihn sadistische Babyquäler, kranke Serien-Vergewaltiger und mafiöse Gauner nicht losgelassen haben?

«Da war ich an einem Bond-Dreh in Brasilien»
22:15
Legendäres Foto von Dammann:«Da war ich an einem Bond-Dreh in Brasilien»

Man hätte wohl schnell das Bild eines Trenchcoat-tragenden, grauen Mannes mit müden Augen, gelben Nikotin-Fingern und ungesundem Durst vor Augen. Jemand, der zwar gut in seinem Job ist, sonst aber nicht viel in seinem Leben hat. Weil das Böse einen nach so vielen Jahren doch aufgefressen hätte und man es tot trinken müsste, um zu verhindern, dass es nicht dauernd Besitz von einem ergreift.

Über 1000 Gerichtsprozesse

Umso erstaunlicher, wenn einem dann aber Viktor Dammann (73) begegnet. Eine lebende Reporter-Legende, seit über 40 Jahren bei Blick. Von Berufskollegen beneidet um sein riesiges Informanten-Netzwerk, bei Polizei und Staatsanwaltschaften gefürchtet wegen seines chronischen Informationsvorsprungs. Verblüffend, wie wenig er dem oben beschriebenen billigen Klischee entspricht. Ein bisschen Columbo, vielleicht. Aber viel gepflegter! Dammanns Augen wirken auch nach über tausend Prozessen am Gericht nicht müde, der Alkoholsucht hat er schon nach den ersten Jahren bei der Fotoagentur Keystone in den 70er-Jahren abgeschworen, als er noch ganz am Anfang seiner Karriere an Tat- und Unfallorten die ersten Fotos geschossen hatte.

Viktor Dammann hat während vier Jahrzehnten als Gerichtsreporter für Blick gearbeitet.
Foto: Philippe Rossier
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Nein, Dammann entspricht ganz und gar nicht dem Bild eines Crime-Reporters der ersten Reihe: Trotz Brillanz in seinem Job hat er mehr erreicht. Verheiratet seit über 30 Jahren, leidenschaftlicher Koch in der privaten Küche. Wissbegierig nicht nur dort, wo es darum geht, nachzuzeichnen, wie sich der Mord an der Prostituierten XY zugetragen hat, sondern auch, wie aus einem Plattfisch ein gediegenes pochiertes Steinbuttfilet an einer selbstgemachten Sauce hollandaise zubereitet wird.

Crime-Reporter, Buchautor, Koch

Viktor Dammann, geboren 1950, ist gelernter Koch und seit den 70er-Jahren im Journalismus. Erst als Fotograf für Keystone, seit 1980 als Crime- und Gerichtsreporter bei Blick. Ganz 12-mal beschäftigte er das Bundesgericht, immer gewann er. Bei einem wichtigen Leiturteil wurde es allerdings knapp: Weil er in den 90er-Jahren eine Angestellte der Zürcher Staatsanwaltschaft zu Vorstrafen eines Täters angefragt hatte, wurde er vom Bundesgericht wegen «Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung» verurteilt. Blick zog den Fall aber vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo Dammann schliesslich gewann und das Bundesgericht daraufhin seinen Schuldspruch revidierte. Für die Pressefreiheit ein wichtiger Sieg, wäre die Informationsbeschaffung sonst für Journalisten ein Minenfeld geworden.

2010 gewann Viktor Dammann den Zürcher Journalistenpreis, 2019 veröffentlichte er sein Buch «Das Böse im Blick», in welchem er 14 aussergewöhnliche Kriminalfälle aus seiner Karriere nachzeichnet.

Viktor Dammann, geboren 1950, ist gelernter Koch und seit den 70er-Jahren im Journalismus. Erst als Fotograf für Keystone, seit 1980 als Crime- und Gerichtsreporter bei Blick. Ganz 12-mal beschäftigte er das Bundesgericht, immer gewann er. Bei einem wichtigen Leiturteil wurde es allerdings knapp: Weil er in den 90er-Jahren eine Angestellte der Zürcher Staatsanwaltschaft zu Vorstrafen eines Täters angefragt hatte, wurde er vom Bundesgericht wegen «Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung» verurteilt. Blick zog den Fall aber vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo Dammann schliesslich gewann und das Bundesgericht daraufhin seinen Schuldspruch revidierte. Für die Pressefreiheit ein wichtiger Sieg, wäre die Informationsbeschaffung sonst für Journalisten ein Minenfeld geworden.

2010 gewann Viktor Dammann den Zürcher Journalistenpreis, 2019 veröffentlichte er sein Buch «Das Böse im Blick», in welchem er 14 aussergewöhnliche Kriminalfälle aus seiner Karriere nachzeichnet.

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Kurz: Viktor Dammanns Erscheinung macht Mut. Er, jahrzehntelang konfrontiert mit dem Bösen, hat es, weil es ihm am Ende nichts anhaben konnte, in seine Schranken gewiesen. «Das Böse fasziniert mich nicht, es interessiert mich bloss», sagt er, angesprochen darauf, wieso er sich über 40 Jahre lang die schlimmsten Verbrechen angetan hat.

Eine wichtige Unterscheidung. Denn viele blutige, brutale Details, die aus Anklageschriften und Prozessen hervorgehen, hat Dammann nicht geschrieben. Auch wenn vor allem der frühe Boulevard danach lechzte.

Da kam auch Dammann ans Limit

Etwa beim Prozess um den Zürcher Babyquäler R. O.* in den späten 90er-Jahren. Der IT-Millionär, inzwischen verwahrt, machte international Schlagzeilen, weil er damals in seiner Wohnung zwei Kleinkinder brutal gequält und dabei gefilmt hat. «Was dieser Mann konkret mit den beiden Babys gemacht hat, war unerträglich schlimm – die Geschworenen brauchten damals psychologische Begleitung, und auch wir Reporter am Gericht hatten mit der plastischen Schilderung des Quälens in der Anklageschrift zu kämpfen», sagt Dammann heute. In seinen Artikeln hat er hier nicht jedes Detail nachgezeichnet. Aus Respekt vor den beiden gequälten Kleinkindern, welche die Torturen nur knapp überlebt haben. «Seine Opfer sind heute erwachsen, ich hoffe, sie wissen selber nicht, was mit ihnen damals in der Wohnung geschehen ist», sagt er.

Solche Prozesse brachten auch ihn ans Limit. «Aber ich habe, glaube ich, einen guten Weg der Seelenhygiene gefunden. Während eines Prozesses tauche ich tief in die Materie ein, danach aber lasse ich sie hinter mir. Ich bemühe mich sogar, nach einem Prozess die Details zum Tathergang zu vergessen», sagt er. Kurz: Er gehe, wann immer möglich, auf Distanz. Trage es nicht nach Hause ins Private. Seine Frau ist ihm da eine grosse Hilfe: «Sie ist ein Typ Mensch, der das Böse nicht erträgt, darum spreche ich mit ihr auch nicht darüber», sagt Dammann.

Dammanns Blick zurück

Blick-Reporterlegende Viktor Dammann (73) verabschiedet sich nach 40 Jahren im Dienste des Journalismus in seinen wohlverdienten Ruhestand. Hinter ihm liegt eine Karriere, wie es sie in Zukunft wohl nicht mehr geben wird. Über 1000 Prozesse hat er als Gerichtsreporter begleitet und die Geschehnisse niedergeschrieben. In einer losen Sommerserie schaut er auf spektakuläre Fälle aus vier Jahrzehnten zurück.

Blick-Reporterlegende Viktor Dammann (73) verabschiedet sich nach 40 Jahren im Dienste des Journalismus in seinen wohlverdienten Ruhestand. Hinter ihm liegt eine Karriere, wie es sie in Zukunft wohl nicht mehr geben wird. Über 1000 Prozesse hat er als Gerichtsreporter begleitet und die Geschehnisse niedergeschrieben. In einer losen Sommerserie schaut er auf spektakuläre Fälle aus vier Jahrzehnten zurück.

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Strafverfolger unter Beobachtung

Seine Aufgabe als Journalist hat Dammann nie vergessen: «Gerichtsreporter sollen über das, was vor, am und nach dem Prozess passiert, berichten. Damit die Leserinnen und Leser wissen, dass es Gerechtigkeit gibt. Gerechtigkeit für die Opfer – denn die Täter bekommen meistens ihre verdiente Strafe. Aber auch Gerechtigkeit für die Täter, denen an einem Prozess gezeigt wird, dass es in einem Rechtsstaat Konsequenzen gibt, davor aber ein fairer Prozess stattfindet», sagt er. Als Gerichtsreporter würden er und seine Kollegen alleine schon durch ihre Präsenz daran erinnern, dass auch Strafverfolger und das Gericht unter aufmerksamer Beobachtung zu stehen.

Nun geht Dammann in den Ruhestand – und damit eine Journalisten-Karriere zu Ende, die ihresgleichen sucht. «Man glaubt ja noch schnell, dass man je länger, desto abgebrühter in einem Job wird. In meinem Fall passiert aber das Gegenteil: Ich wurde mit den Jahren dünnhäutiger», sagt er. Dazu kommt, dass eine neue Prüfung auf die Reporterlegende wartet. Seit zweieinhalb Jahren weiss Dammann, dass er an Parkinson erkrankt ist. Mit vielen Medikamenten, täglichen Trainings und echtem Optimismus stellt er sich der unheilbaren Krankheit entgegen. «Es kommt schon gut. Ich weiss, dass es viel schlimmer sein könnte, eigentlich habe ich sogar noch Glück», sagt er – bemüht, auch hier auf Distanz zum Übel zu gehen.

Ganz abschwören wird er dem Crime übrigens nicht. Für die Volkshochschule Zürich macht er auch weiterhin «Tatort-Führungen» durch die Stadt. Interessierte begleiten ihn an bekannte Orte, wo Schlimmes passiert ist. Und für Blick wird er auch nach seiner Pension eine wertvolle Expertenstimme bleiben, die Reporterinnen und Reporter noch so gerne konsultieren werden.

*Name bekannt

Dammanns Blick zurück

Blick-Reporterlegende Viktor Dammann (73) verabschiedet sich nach 40 Jahren im Dienste des Journalismus in seinen wohlverdienten Ruhestand. Hinter ihm liegt eine Karriere, wie es sie in Zukunft wohl nicht mehr geben wird. Über 1000 Prozesse hat er als Gerichtsreporter begleitet und die Geschehnisse niedergeschrieben. In einer losen Sommerserie schaut er auf spektakuläre Fälle aus vier Jahrzehnten zurück.

Blick-Reporterlegende Viktor Dammann (73) verabschiedet sich nach 40 Jahren im Dienste des Journalismus in seinen wohlverdienten Ruhestand. Hinter ihm liegt eine Karriere, wie es sie in Zukunft wohl nicht mehr geben wird. Über 1000 Prozesse hat er als Gerichtsreporter begleitet und die Geschehnisse niedergeschrieben. In einer losen Sommerserie schaut er auf spektakuläre Fälle aus vier Jahrzehnten zurück.

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