Von wegen schwaches Geschlecht!
Armee rekrutiert so viele Frauen wie noch nie

Noch sind Soldatinnen in der Minderheit. Doch der Militärdienst ist keine Männerdomäne mehr. Experten sprechen bereits von einer Trendwende.
Publiziert: 14.01.2018 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 05.05.2023 um 12:48 Uhr
Fabian Eberhard und Aline Wüst

Die Schweizer Armee ist eine Männerbastion. In keinem europäischen Land leisten so wenige Frauen Militärdienst wie hier. Doch neue Zahlen zeigen: Sie lassen sich nicht länger abwimmeln. Im vergangenen Jahr rekrutierte das Militär 250 Soldatinnen. So viele waren es noch nie.

Sabra Nicoloso mag das Leben in der Armee. Besonders die Kameradschaft.
Foto: Anja Wurm

250 Frauen, die freiwillig den Dienst antreten – das sind rund 35 Prozent mehr als noch vor einem Jahr, fast doppelt so viele wie 2015. Experten deuten die Zahlen als Trendwende. Die Armee schafft es zunehmend, Frauen für den Wehrdienst zu begeistern. Mehr noch: Rund die Hälfte der eingerückten Frauen absolviert eine Kaderausbildung zur Unteroffizierin oder Offizierin.

Tibor Szvircsev Tresch, Dozent für Militärsoziologie an der ETH Zürich, sagt: «Mit den Krisen in Europa, wie beispielsweise in der Ukraine, scheint das Interesse an Sicherheitspolitik auch bei Frauen zu steigen.» Hinzu komme, dass sich die Armee verstärkt um Rekrutinnen bemüht, etwa an alle volljährigen Frauen eine Einladung für ihren Infotag versendet.

«Ich habe als Frau in der Rekrutenschule nie eine Sonderbehandlung bekommen. Ich hätte das auch nie gewollt. Dafür bin ich viel zu stolz» Sabra Nicoloso
Foto: Anja Wurm
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Obligatorischer Infotag für Frauen

Noch sind Frauen in der Schweizer Armee allerdings krass in der Minderheit. Gerade mal 0,7 Prozent aller Dienstleistenden sind weiblichen Geschlechts. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil bei zwölf Prozent, in Schweden bei 18.

Verteidigungsminister Guy Parmelin will das ändern. Sein Plan: Frauen sollen zum Militär-Infotag antreten, und zwar obligatorisch! Der Bundesrat hat die Armee beauftragt, die rechtlichen Grundlagen, den Personalaufwand und die Kosten für eine solche Neuerung abzuklären. Eine Arbeitsgruppe, geleitet von Korpskommandant Daniel Baumgartner, will bereits im kommenden Frühling konkrete Massnahmen vorlegen. Damit auch Frauen zum Armee-Infotag aufgeboten werden können, müsste das Militärgesetz geändert werden.

Noch einen Schritt weiter gehen die kantonalen Militärdirektoren. In einem 2016 publizierten Bericht kritisierten sie das heutige Modell der Dienstpflicht als historisch überholt: «Die Ungleichbehandlung der Geschlechter ist offensichtlich», argumentieren sie – «zumal auch in der Armee heute eine grosse Zahl von Spezialistenfunktionen keine aussergewöhnlichen körperlichen Anforderungen mehr stellen».

In Reih und Glied mit ihren Kameraden: Sabra Nicoloso.
Foto: Anja Wurm

Frauen sind selten in Kampftruppen

Die Militärdirektoren streben eine Ausweitung der Dienstpflicht auf Frauen nach dem Vorbild Norwegens an: Die Regierung in Oslo beschloss 2014 die Wehrpflicht für beide Geschlechter. Erna Solberg, norwegische Ministerpräsidentin: «Bei der Verteidigung geht es nicht nur um physische Herausforderungen und Testosteron.»

Tatsächlich ist auch in der Schweizer Armee nur jede sechste Frau in Kampftruppen eingeteilt. Die grosse Mehrheit der Soldatinnen leistet ihren Dienst bei den Sanitätern oder im Bereich Ausbildung.

Für die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht in der Schweiz bräuchte es eine Verfassungsänderung. Und ob die in der Bevölkerung eine Mehrheit findet, ist mehr als fraglich. Bei einer repräsentativen Umfrage der Militärakademie an der ETH Zürich sprachen sich 2015 nur gerade 30 Prozent dafür aus. Vor allem die Frauen selbst lehnten das Anliegen mit 74 Prozent deutlich ab.

Dienst aufgrund von Qualifikationen

Der Militärsoziologe Tresch plädiert trotzdem für eine Ausweitung der Dienstpflicht. «Das Grundprinzip des norwegischen Modells ist, dass nur die Besten in die Armee eintreten sollen», sagt er. Denn schlussendlich werde lediglich ein Bruchteil aller Stellungspflichtigen aufgeboten und verpflichtet.

Von knapp 60'000 Anwärtern rückten in Norwegen jährlich nicht einmal 10'000 tatsächlich ein. Dienst leiste nur, wer aufgrund seiner Qualifikation wirklich gebraucht werde.

Nach Auffassung von Tresch könnte sich ein Aufgebot damit von der Pflicht in eine Auszeichnung oder Anerkennung verwandeln: «Würde dieser Grundgedanke auch in der Schweiz angewendet, würde die Armee gesellschaftlich an Prestige gewinnen», ist der ETH-Dozent überzeugt.
Der Militärsoziologe räumt aber ein: «Die konkrete Umsetzung wäre sehr schwierig.» Dafür brauche es auf jeden Fall ein grosses Umdenken in der Gesellschaft.

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