Wegen unaufmerksamer Piloten
Gefährliche Beinahe-Crashs nehmen zu

In Flugplatznähe häufen sich Vorfälle, in denen sich Segelflieger, Jets oder Helikopter gefährlich nahekommen. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt ist alarmiert.
Publiziert: 19.03.2023 um 10:19 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2023 um 13:44 Uhr
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

10. September 2010, kurz nach acht Uhr morgens. Eine Saab-2000-Maschine der Darwin Airline befindet sich im Landeanflug auf Lugano-Agno TI. Zur selben Zeit ist ein in Locarno TI gestartetes Pilatus-Flugzeug der Schweizer Luftwaffe unterwegs. In der PC-7 sitzt ein Flugschüler, hinter ihm sein Lehrer. Die PC-7 und die Saab 2000 kommen sich so nahe, dass der Abstand vertikal lediglich 61 Meter beträgt, horizontal sind es 926 Meter. Die Crew der Saab 2000 erhält vom eigenen Warnsystem gerade noch rechtzeitig den Befehle, zu steigen.

Laut der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) hatte der Flugverkehrsleiter in Lugano der PC-7 die Durchflugsbewilligung erteilt, ohne die Situation «ausreichend zu überblicken». Fluglehrer und -schüler hätten ausserdem nicht hinlänglich gewusst, welche Regeln im Luftraum gelten.

Unfälle Im Luftraum passieren immer wieder

Am 12. Februar 2015 kann in der Nähe von Meiringen BE ein Unglück nur knapp abgewendet werden: Ein F-5-Tiger-Jet prallt beinahe in einen privaten Heli – dessen Pilot hat die ihm zugewiesene Höhe nicht eingehalten. Und drei Kilometer südwestlich von Thun BE kommt am 18. März 2021 ein anderer Helikopter bei einem Schulungsflug zwei Jets der Luftwaffe gefährlich nahe. Weder die Kampfflieger noch der Helikopter verfügen über Kollisionswarnsysteme.

Am Schweizer Himmel kommt es vermehrt zu gefährlichen Annäherungen. Im Bild die FA-18 und der Super Puma der Armee anlässlich der Flugshow in Payerne (VD). (Symbolbild)
Foto: Keystone
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«Meist mangelt es den Piloten an ‹situational awareness›»
Christian Schubert
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Solche schweren Vorfälle passieren im Schweizer Luftraum immer wieder – und sie nehmen zu. Im vergangenen Jahr erfasste das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) insgesamt 289 sicherheitsrelevante Vorfälle. Darunter fallen beispielsweise Flugzeuge, die von der angegebenen Route abwichen, und solche, die sich gefährlich nahekamen, sodass die Flugsicherung intervenieren musste. «Im gesamten schweizerischen Luftraum stieg die Zahl der gemeldeten Luftkonflikte an», heisst es im neusten Bazl-Sicherheitsbericht.

Sorgen bereitet dem Amt vor allem die steigende Anzahl von Vorfällen in Lufträumen, in denen Flieger sowohl nach Sichtflug- als auch nach Instrumentenflugregeln unterwegs sind – dieser Mischverkehr kommt typischerweise in der Nähe von Flugplätzen vor. Wurden im Jahr 2018 noch 14 Vorfälle registriert, waren es im Jahr 2022 deren 90. Das Bazl ist alarmiert und will dem Thema nun «höchste Priorität» einräumen.

Bazl-Sprecher Christian Schubert sagt, dass der Mischverkehr für die Flugsicherung wie auch für Pilotinnen und Piloten viel Aufmerksamkeit verlange. Es gibt zwar verschiedene Gründe für die Zunahme. Aber: «Meist sind die Vorfälle auf eine mangelnde ‹situational awareness› der Piloten zurückzuführen» – auf ein fehlendes Gefahrenbewusstsein.

Typisches Beispiel: Der Pilot eines Businessjets setzt im Instrumentenflug zur Landung an, er steht zwar mit der Flugsicherung in Kontakt, ist sich aber nicht bewusst, dass er auch aus dem Cockpit schauen muss. Solche Situationen könnten schnell «anspruchsvoll oder gar brenzlig» werden. Besonders bei viel Verkehr.

Was könnte die Sicherheit erhöhen?

Schon letztes Jahr stellte das Amt in der Nähe von Flugplätzen wiederholt gefährliche Annäherungen fest, die vor allem auf eine falsche Erwartungshaltung punkto Flugsicherung zurückzuführen waren – so wie beim Beinahe-Crash in Lugano.

Eine anonyme Umfrage der Sust bei 241 zivilen Piloten und Fluglehrern ergab, dass die Mehrheit der Privat- und Berufspiloten sowie die Fluglehrer die wesentlichen Bestandteile und Regeln des kontrollierten Luftraums Delta nicht verstanden hätten. Piloten wiegten sich in falscher Sicherheit. Die Sust sprach von einem «erheblichen Sicherheitsdefizit».

Das Bazl adressiert das Thema immer wieder in Arbeitsgruppen, bei Flugverbänden und -schulen, wie Sprecher Schubert sagt. Die Videokampagne «Look out for traffic» soll sensibilisieren.

Die Sicherheit erhöhen würde beispielsweise eine Transponderpflicht. Ein Transponder übermittelt automatisch die jeweilige Flughöhe der Piloten. Das Bazl wollte aufgrund der Empfehlungen der Sust ursprünglich schweizweit eine solche einführen. Der Aero-Club der Schweiz und mehrere Segelflugorganisationen lehnten dies jedoch ab: Sie fanden es unverhältnismässig und zweifelten, ob es die Sicherheit wirklich erhöht.

Stattdessen will man nun lediglich in «sicherheitskritischen Zonen» eine Transponderpflicht einführen. Vor Jahresfrist führte das Bazl eine erste solche Zone rund um die Flugplätze Friedrichshafen (D) und Altenrhein SG ein. Die gemachten Erfahrungen seien durchaus positiv, sagt Sprecher Christian Schubert.

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