Er raste, prügelte und dealte
Swiss Ghost Rider vor Gericht

Videos seiner Raser-Trips lud er auf Youtube hoch. Nun ist der Walliser Töff-Fahrer Markus T. in Brig VS angeklagt – wegen versuchter vorsätzlicher Tötung.
Publiziert: 29.02.2020 um 23:39 Uhr
Ghost Rider Markus T. postet die Videos seiner Raserfahrten auf Youtube – sie sind bis heute online.
Foto: zVg
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Cyrill Pinto

Markus T. ist als Töffraser berüchtigt. Videos auf Youtube zeigen, wie er mit seiner schweren Suzuki durchs Oberwallis brettert, mit bis zu 220 Stundenkilometern auf dem Tacho.

Schon als Neulenker gefährdete er im Sommer 2015 zahlreiche andere Verkehrsteilnehmer. Als ihn die Polizei im Februar 2016 endlich verhaftete, berichteten die Medien über den «Swiss Ghost Rider» – so nennt er sich auf Youtube.

Versuchte vorsätzliche Tötung

Doch erst jetzt, vier Jahre später, muss sich Markus T.* vor Gericht verantworten. Aus der Anklageschrift, die SonntagsBlick vorliegt, geht hervor: Die Raserdelikte sind noch das kleinste der Vergehen, für die er sich in wenigen Wochen vor dem Bezirksgericht in Brig VS ver­antworten muss. Das schwerwiegendste von zahlreichen Delikten, die ihm die Staatsanwaltschaft Oberwallis vorwirft: versuchte vorsätzliche Tötung.

Laut Anklage hatte T. die Gewalttat angekündigt. Weil sein ehemaliger Mitbewohner Martin V. (27) gegenüber der Polizei Aussagen zu den Raserfahrten gemacht hatte, bedrohte ihn T. in Briefen aus der U-Haft. «In ­anderen Ländern», so schrieb er, «wäre er längst kopfüber am Ausbluten.» Obwohl V. wegen der Drohungen am 9. März 2016 Anzeige einreichte, wurde T. zwei Wochen später aus der Haft entlassen.

Im Schlaf verprügelt

Noch einmal sechs Wochen später kam es zu dem folgenschweren Überfall, von dem sich V. bis heute nicht erholt hat: T. schlich sich, so die Anklage, mitten in der Nacht in die unverschlossene Wohnung von Martin V. in Brig und prügelte mit einem Stahlrohr auf Kopf, Rücken und Arme des Schlafenden ein.

T.s Freundin, die derweil draussen Schmiere gestanden haben soll, muss sich nun ebenfalls vor Gericht verantworten. SonntagsBlick liegt V.s Austrittsprotokoll des Spitals vor. Demnach hatte das Opfer grosses Glück, keine bleibenden Schäden davonzutragen.

Langer Spitalaufenthalt

Gesichtsknochen und Schädel waren mehrfach gebrochen, sein Auge verletzt. Weil er bei der Attacke seine Arme schützend vor den Kopf hielt, erlitt er einen offenen Unterarmbruch. Zwei Wochen verbrachte er im Spital. Drei Mal täglich musste er acht verschiedene Medikamente schlucken.

Äusserlich zeugt heute nur eine Narbe über V.s Auge von dem Überfall. Psychisch jedoch leidet er noch immer unter der Attacke: Psychiater diagnostizierten eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Erkrankung, die anhand der vielen Fälle unter US-Kriegsveteranen gut erforscht ist.

Aufenthalt in Psychiatrie

«Zuerst dachte ich, dass ich mit dem traumatischen Erlebnis gut umgehen kann», so V. im Gespräch mit SonntagsBlick. Der Zusammenbruch kam – wie für diese Störung typisch – erst später. Im Herbst 2018 wurde V. in die Psychiatrie eingewiesen. Er blieb fast ein Jahr. Gründe für seinen schlechten psychischen Zustand seien die lange Dauer des Verfahrens, die Tatsache, dass sich der Täter nach wie vor auf freiem Fuss befindet, sowie der Umstand, dass das Opfer an der anstehenden Gerichtsverhandlung wieder mit der Tat konfrontiert wird.

V. fragt sich, warum die Behörden nicht früher reagiert haben, um ihn vor Markus T. zu schützen.

Die Polizei wusste spätestens seit Dezember 2014, wie gefährlich der selbsternannte «Ghost Rider» ist: Schon damals wollte sie den notorischen Raser, der oft ohne gültiges Nummernschild unterwegs war, bei einer Kontrolle stellen. Statt anzuhalten, fuhr T. einen der Polizisten über den Haufen und verletzte ihn schwer am Bein. Dem zweiten Beamten, der ihn von der Flucht abhalten wollte, verpasste er einen Faustschlag ins Gesicht. Sogar die beiden Sanitäter, die T. später behandelten, griff er tätlich an.

Ein halbes Kilo Haschisch

Damals blieb er auf freiem Fuss. Ein weiteres Mal in Unter­suchungshaft landete T. wegen eines Drogenvorfalls: Ende August 2015 griff ihn die Grenzwacht zusammen mit seiner Freundin im Zug von Saint-Maurice nach Brig auf. Ein Drogenspürhund hatte angeschlagen, der von den Grenzbeamten durch den Zug ­geführt worden war.

T. hatte ein halbes Kilo Haschisch und über 100 Gramm Marihuana dabei, seine Freundin eine kleinere Menge. Bei den Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden die Drogen im südspanischen Moraira für 1500 Euro gekauft hatten, um im Oberwallis damit zu handeln. Beide wanderten eine Woche in U-Haft. Später erwischte ihn die Polizei, weil er mit einem Cousin eine Indoor-Hanfzucht mit über 800 Pflanzen betrieb – auch deshalb muss sich T. nun vor dem Bezirksgericht verantworten.

Schlafraubende Albträume

Obwohl der Angriff auf V. inzwischen fast vier Jahre zurückliegt, leidet dieser nach wie vor unter Albträumen, in denen er die Attacke immer wieder neu erlebt. Nur mit Hilfe starker Medikamente kann er überhaupt einschlafen. Noch immer in Behandlung, kann V. erst seit kurzem wieder halbtags arbeiten. Er wohnt nicht mehr im Oberwallis, weil ihn die Begegnung mit T., wie er befürchtet, erneut traumatisieren könnte.

Ihm graut vor dem Prozess in Brig, bei dem er als Zeuge ­vorgeladen ist. Doch «ein abschliessendes Urteil ist nötig, um das, was mir angetan wurde, verarbeiten zu können», betont Martin V.

Er ahnt, dass er das Geschehene dennoch nie vergessen können wird: «Ich lerne nur, damit umzugehen.» Für den Angeklagten Markus T. und seine Freundin gilt die Unschuldsvermutung – sie äusserten sich zum ­bevorstehenden Prozess auf Anfrage nicht.

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