120 Kubikmeter pro Sekunde
Walliser Stauwerk muss Wasser vergeuden

Der Gibidum-Stausse im Kanton Wallis ist viel zu voll. Jetzt muss das Stauwerk sogar Wasser verschwenden. Bittere Ironie: Schuld daran ist der Klimawandel.
Publiziert: 10.08.2022 um 14:16 Uhr
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Aktualisiert: 11.08.2022 um 08:21 Uhr

Noch vor wenigen Wochen forderte SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (52): «Der Bund muss den Stromkonzernen endlich anordnen, dass sie die Stauseen füllen müssen.»

Der Gibidum-Stausee hat jetzt ein ganz anderes Problem. Er ist viel zu voll und muss sogar Wasser verschwenden Bis zu 120 Kubikmeter pro Sekunde, wie die «bz» berichtet. Das entspricht etwa der Aare in Bern. Und das gerade jetzt während einer Dürreperiode in Europa. Es ist zu trocken. Die Waldbrandgefahr ist gross, Wasser ist knapp.

Wieso wird das Wasser im Gibidum-Stausee also vergeudet? Schuld an dem Dilemma ist der Aletschgletscher – oder besser gesagt die Hitze. Denn das Eis schmilzt dahin – und wie. «Die hohen Temperaturen der letzten Wochen setzen den Gletschern in den Alpen stark zu», schreibt der Energiekonzern Alpiq, mitverantwortlich für den Betrieb des Gibidum-Stausees, auf Linkedin. Die Turbinen würden seit Wochen mit maximaler Leistung laufen.

So sieht der Stausee normalerweise aus.
Foto: Keystone
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Dieses Jahr seien «etwa 50 Prozent mehr Wasser als im langjährigen Mittel» turbiniert worden, sagt Alpiq-Sprecher Andreas Meier zur «bz». Doch das reiche einfach nicht.

In der Schlucht besteht Lebensgefahr

Grund für diese Ausnahmesituation ist der rasant schmelzende Aletschgletscher. «Dieser Sommer ist extrem», sagt Daniel Farinotti, Professor für Glaziologie an der ETH Zürich, zu «bz». Er fürchtet, dass dieses, wie schon das Rekord-Jahr 2003, die Diagramme wieder sprengen könnte – vielleicht sogar noch mehr.

Damals schmolzen unglaubliche 3,8 Prozent Masse der Schweizer Gletscher ab. Dieses Jahr könnten es am Ende der Hitzeperiode sogar vier und mehr sein.

Die Massa, der kleine Fluss, der sich durch das Tal schlängelt, ist oft nicht mehr als ein kleiner Bach. Doch nicht in diesem Sommer. Inzwischen führt das Bett jede Menge Wasser. Die Betreiber der Stauanlage Gibidum warnten sogar, die Schlucht zu betreten. Es sei lebensgefährlich.

Nicht nur der Sommer macht Probleme

Doch es ist nicht nur die warme Sommerjahreszeit, die die Gletschermassive zum Schwitzen bringt. Auch der trockene Winter machte dem Aletschgletscher und seinen Kollegen zu schaffen. Es fiel weniger Schnee – und damit blieb die lebensrettende Schutzschicht gegen die Hitze aus. «Schnee reflektiert die Sonne stärker als Eis», erklärt der Glaziologe.

Wie bei einer Sanitätsdecke isoliert der Schnee die Masse unter ihm und hält sie kalt. Fällt die Decke weg, liegt der Gletscher ungeschützt in der Sonne und beginnt zu brutzeln. Kombiniert mit den diesjährigen Hitzeperioden, die die oberste Schicht jeweils wieder vereisen, «bedeutet ein Worst-Case-Szenario für die hiesigen Gletscher», sagt Farinotti.

«Müssen rasch in mehr Speicherkapazität investieren»

Das viele Wasser muss aber nicht verschwendet werden. Es gibt einen Lösungsvorschlag. Das Projekt Oberaletsch möchte überflüssiges Wasser über Stollen zu einer rund 700 Meter tiefer liegenden Kraftwerkzentrale leiten, um dort weitere Turbinen antreiben zu können.

Den Jahresbedarf von etwa 25'000 Durchschnittsfamilien soll das Kraftwerk dadurch abdecken können, das sind 100 Gigawattstunden. «Mit dem Projekt Oberaletsch könnte man Überläufe wie in diesem Sommer reduzieren, einen Teil des Abflusses im Oberaletschsee speichern und rund 50 Gigawattstunden in den Winter transferieren», erklärt Alpiq-Sprecher Meier. Noch befindet sich das Projekt in der Planung und liegt beim Kanton Wallis zur Entscheidung vor.

Alpiq betont in ihrem Post auf Linkedin: «Die Gletscherschmelze in heissen Sommern wie 2022 führt uns eindrücklich vor Augen, dass wir rasch in mehr Speicherkapazität investieren müssen.» Der Konzern möchte «mit der Ressource Wasser haushälterischer umgehen» und möchte «auch für extreme Szenarien, wie wir sie aktuell erleben, gerüstet sein. Sie werden häufiger auftreten.» (hei)

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