Auge um Auge
Diese Blutrache-Fälle haben die Schweiz erschüttert

Bei der Tötung in Haute-Nendaz VS, steht ein Paar im Verdacht, extra in die Schweiz gereist zu sein, um einen Blutrachemord zu verüben. Obschon die Praxis der Blutrache beinahe ausgestorben ist, kommt sie in einigen Gegenden der Welt immer noch vor.
Publiziert: 17.04.2024 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 17.04.2024 um 08:35 Uhr
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Sebastian BabicReporter Blick

Auge um Auge - das bekannte Bibelzitat fasst das Konzept der Blutrache in drei Worten zusammen. Sie ist ein Vergeltungsakt, bei dem der Mord an einem Familienmitglied mit dem Mord an einem Mitglied der Täterfamilie gesühnt wird. Selbst kleinere Ehrverletzungen können zu tödlichen Konflikten führen, diese werden aber als Ehrenmorde bezeichnet und haben, wie auch die Blutrache, ihre Wurzeln im Kontext der Ehre und der Familienloyalität. Einmal gestartet ist es schwer, den Teufelskreis zu durchbrechen. Die Konsequenzen zeigen sich bis in die Schweiz – denn auch hier kam es in der Vergangenheit zu blutigen Zwischenfällen.

Die Blutrache ist in der Geschichte der Menschheit ein globales Phänomen: In Europa war sie insbesondere in den abgelegenen Gebieten des Mittelmeerraums, wie Kreta, Sizilien und Korsika, verankert und bekannt als Vendetta. Aber auch in anderen Teilen der Welt, wie in den Stammesgesellschaften des Mittleren Ostens und Zentralasiens, sowie in den Bergregionen Albaniens, ist sie tief verwurzelt. Auch die Schweiz gibt es Beweise, dass sie bis fast ins 17. Jahrhundert praktiziert wurde.

Der Mord in einer St. Galler Moschee schockte 2014 die Schweiz. Ein Gläubiger wurde während des Gebets von hinten erschossen. Zuvor war der Bruder des Täters, von der Familie des Opfers in einem Streit erstochen worden.
Foto: Blick

Weltweites Phänomen

In einigen abgelegenen Gegenden Albaniens beispielsweise ist das albanische Gewohnheitsrecht, der Kanun, berüchtigt für seine Regeln zur Blutrache. In einigen Fällen werden solche Konflikte auch mit der Zahlung von «Blutgeld» beigelegt oder sogar verziehen.

Auch im islamischen Recht, der Scharia, existiert das Konzept der Blutrache, Qisas genannt. Diese fällt aber in die Zuständigkeit islamischer Gerichte, verlangt nach einem Gerichtsprozess und bietet ebenfalls mehrere Möglichkeiten zur Aussöhnung der Streitparteien. Ebenso wird sie unter dem Namen Badal zum Beispiel in Teilen Afghanistans noch praktiziert.

Mit der Modernisierung staatlicher Rechtssysteme hat die Praxis in vielen Teilen der Welt abgenommen. Nichtsdestotrotz bleibt Blutrache in einigen Gebieten weiterhin ein Problem.

Blutrache oder Ehrenmord?

Blutrachefälle sind in der Schweiz selten, dennoch kam es in der Vergangenheit vereinzelt dazu, speziell im Kontext des Kanun: Einer der bekanntesten Fälle ist der Moscheemord von St. Gallen aus dem Jahr 2014. Ein Mann erschoss dabei sein Opfer, während dem Gebet von hinten. Der Blutrache ging ein Streit zwischen dem Opfer und weiteren Beteiligten und dem Bruder des Täters voraus. Letzterer wurde beim Streit einige Jahre zuvor erstochen.

Bereits 1997 kam es in Gipf-Oberfrick AG zu einer Blutrache, die dem aktuellen Fall aus dem Wallis ähnelt. Ein 19-jähriger Kosovare reiste damals in die Schweiz ein, um seinen ermordeten Onkel zu rächen und tötete seinerseits ein Mitglied der verfeindeten Familie mit 17 Kugeln.

Sogenannte Ehrenmorde finden hingegen häufiger statt - auch in der Schweiz. Oftmals passieren diese aber innerhalb der eigenen Familie. Erst 2019 ermordete ein Mann aus Dietikon ZH seine Ehefrau, weil sie sich von ihm trennen wollte. Je nach Kontext ist die Trennlinie zwischen Ehrenmord und Femizid aber sehr dünn. Ehrenmorde werden häufig innerhalb der Familie im Voraus geplant, um die «verlorene Ehre» wiederherzustellen. Sie betreffen nicht selten Frauen.

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