Walliser Kantonspolizei sucht nach der letzten vermissten Person
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Aufnahmen aus Helikopter:Hier wird die letzte vermisste Person gesucht

Bergführer sind sich nach Drama mit fünf Toten uneinig
Hätten die Alpinisten ihre Tour absagen müssen?

Sechs Skitourengänger gerieten auf der Haute Route zwischen Zermatt und Arolla in einen Sturm. Für mindestens fünf von ihnen das Todesurteil. Trotz schlechter Wetterprognosen war die Gruppe gestartet. Hätte sie die Tour abblasen müssen? Bergführer sind sich uneinig.
Publiziert: 12.03.2024 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.03.2024 um 12:06 Uhr
Nach ihr wird noch gesucht: Christine H. war die Freundin eines Opfers.
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Johannes HilligRedaktor News

Es sollte ein schöner Ausflug werden und endete in einer Tragödie: Sechs Skitourengänger machten sich am Samstagmorgen in Zermatt auf, um über die Haute Route nach Arolla VS zu kommen. Doch so weit kam die Gruppe nicht. Zu schlecht wurde das Wetter. Um kurz nach 17 Uhr setzte die Gruppe einen Notruf im Bereich des Col de Tête Blanche ab.

Sechs private Rettungshelikopter sowie zwei Super Pumas der Armee standen daraufhin bei der Suchaktion im Einsatz. Dazu Dutzende Spezialisten für die Rettung im Gebirge.

Er wurde erst vor zwei Wochen neuer Gemeinderat

In der Zwischenzeit versuchten die Skitourengänger, sich vor dem Wind zu schützen, in dem sie Schneehöhlen bauten. Wertvolle Stunden verstrichen. Erst am Sonntagabend fanden die Retter fünf der Alpinisten – tot. Darunter Christophe B.* (†30), Gemeinderat von Vex VS, wie Blick-Recherchen zeigen. Er trat sein Amt erst vor zwei Wochen an.

«Es ist eine Tragödie, einen Kollegen zu verlieren»
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Gemeindepräsident von Vex VS:«Es ist eine Tragödie, einen Kollegen zu verlieren»

Ebenfalls mit dabei: Antoine B.*, ein Offizier der Walliser Kantonspolizei und Cousin des 30-Jährigen. B. nahm auch schon am legendären Rennen Patrouille des Glaciers teil.

Christophe B. war mit seinen zwei Brüdern, seinem Onkel, Antoine B. und einer weiteren Person unterwegs. Welche Person noch nicht gefunden wurde, ist unklar.

120 km/h bei gefühlten Minus 30 Grad

Wie es zu dem Drama auf über 3000 Metern kommen konnte, wird nun untersucht. «Wir wollen die Chronologie der Ereignisse verstehen, die zu diesem Drama geführt haben», sagte Generalstaatsanwältin Béatrice Pilloud am Montag. Ein Aspekt: das Wetter. Und die Frage: Wieso wurden die Alpinisten von dem Wintersturm überrascht?

Für den Samstag war laut Meteo News starker Wind, sogar Orkanböen, für die Region vorhergesagt. Für das Kleinmatterhorn wurden Windspitzen von 120 km/h prognostiziert, bei einer Temperatur von minus 15 Grad. Gefühlte Kälte: Minus 30 Grad!

«Die Alpinisten haben die Wetterverhältnisse komplett unterschätzt»

Die Frage, ob man unter diesen Bedingungen, sich in die Berge wagt, spaltet die Walliser Bergführer. Für Anjan Truffer, Rettungschef der Bergrettung Zermatt, ist klar: Trotz solcher Prognosen zu starten, war ein Fehler: «Es ist fahrlässig, bei diesem Wetterbericht solche Touren zu unternehmen», sagte der erfahrene Bergführer im Interview mit Blick.

Noch deutlicher wird Klaus Aufdenblatten. Der Walliser Bergführer zu Blick: «Die Alpinisten haben die Wetterverhältnisse komplett unterschätzt. Besonders der Wind kann eine enorme Kraft entwickeln.»

«Das ist für mich ein Rätsel»

Vergangenen Sommer habe er kurz vor dem Gipfel am Breithorn umkehren müssen, weil er nicht mehr habe stehen können, so stark habe der Wind geblasen. Im Winter komme die Kälte und Schnee dazu. Aufdenblatten: «Wenn dann noch Nebel aufzieht, ist alles weiss. Man weiss nicht mehr, wo links oder rechts ist.»

Der Wetterwechsel in den Bergen könne ganz plötzlich passieren. Darum sei es wichtig, frühzeitig zu erkennen, wann man umkehren muss. «Gegen die Verhältnisse hat man keine Chance in den Bergen, da hilft nur ein Rückzug.» Warum die Skitourengänger weitergingen, kann Aufdenblatten nicht verstehen. «Das ist für mich ein Rätsel.»

«Ich hätte die Route vielleicht angepasst»

Die Entscheidung, ob man die Tour macht oder nicht, sei gerade bei Föhnsituationen, wie sie am Samstag herrschten, schwierig, erklärt Lionel Corboz vom Walliser Bergführerverband. In den Bergen könne sich die Situation schnell ändern. Das bedeutet: «Die Entscheidung zu starten, war vielleicht am Morgen richtig, aber am Mittag falsch.»

Er wäre nicht gegangen und hätte es nicht riskiert. «Ich hätte die Route vielleicht angepasst, um den Wind zu meiden.»

«Es hat da nicht stark gewindet»

Anders sieht es dagegen Pierre Mathey, Geschäftsführer des Schweizer Bergführerverbands. Zu SRF sagt er: «Am Samstag hätte ich persönlich auch eine Tour in Zermatt gestartet, denn das Wetter war nicht so schlecht.»

Auch zwei Walliser Bergführer, die anonym bleiben möchten, erklären auf Blick-Anfrage, dass sie trotz starker Windprognosen die Tour gemacht hätten. «Dass es um die 120 km/h auf dem Gipfel hat, ist kein Argument für mich, den Aufstieg nicht zu machen», sagt Markus T.* zu Blick. Er war am Samstag in der Augstbordregion, 25 Kilometer vom Haute-Route-Drama entfernt, unterwegs. «Es hat da nicht stark gewindet.» Und so sei es öfter mit Prognosen. Die Situation könne von Ort zu Ort variieren.

«Wenn der Wind immer stärker wird, hätte ich abgebrochen»

Es stimme schon: Die besten Voraussetzungen für eine Tour von Zermatt nach Arolla hätten gemäss den Wetterprognosen nicht geherrscht. Aber probieren könne man es auf jeden Fall. Wichtig sei dabei, den Punkt nicht zu verpassen, an dem man umdrehen muss. «Bis zum Col de Tête Blanche braucht man zirka drei bis vier Stunden. Wenn ich dann gemerkt hätte, dass der Wind immer stärker wird, hätte ich die Tour abgebrochen.»

Am Montag wurde weiter nach der letzten vermissten Person gesucht. Ein Helikopter, Lawinenverschütteten-Suchgeräte, weitere Ortungsgeräte und Sondierungsstangen kamen zum Einsatz. Ohne Erfolg. Am Dienstag geht die Suche weiter.

* Namen geändert

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