«Solche Wetterextreme werden wir häufiger erleben»
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ETH-Klimaforscherin:«Solche Wetterextreme werden wir häufiger erleben»

Wetterextreme beunruhigen ETH-Klimaforscherin
«Ich bekomme langsam Angst»

Klimawissenschaftlerin Sonia Seneviratne erklärt, welchen Zusammenhang die aktuellen Wetterextreme mit der Erderwärmung haben, warum wir im Kampf dagegen aktuell schlecht da stehen und weshalb es auch eine Klima-Taskforce bräuchte.
Publiziert: 12.07.2021 um 09:19 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2021 um 09:54 Uhr
Interview: Dana Liechti

Sonia Seneviratne, das Wetter spielt an vielen Orten verrückt. Da sind die brutale Hitze in Teilen des Nordens, die Unwetter bei uns – und Brände, Überschwemmungen, Erdrutsche, zerstörte Ernten, sogar Tote. Müssen wir uns künftig auf solche Wetterextreme und deren Folgen einstellen?
Sonia Seneviratne: Nicht nur in der Zukunft, sondern schon heute. Wir erleben zum Teil gerade Ereignisse, die wir vorher noch nie gesehen haben. Der Klimawandel findet jetzt statt.

Also gibt es einen Zusammenhang mit dem Klimawandel?
Ja. Ich habe an der Studie zur Hitzewelle in Nordamerika mitgearbeitet, und wir haben festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit dafür durch den Klimawandel 150-mal grösser geworden ist. Generell wissen wir mittlerweile, dass es an den meisten Orten auf der Welt nicht nur häufiger, sondern auch heissere Hitzewellen gibt. Deutliche Signale für einen Zusammenhang mit dem Klimawandel gibt es auch bei Extremniederschlägen – auch in der Schweiz.

Seit Jahrzehnten sagen Klimaforschende, dass wir «jetzt» handeln müssen, um die Erderwärmung noch stoppen zu können. Können wir das überhaupt noch schaffen, oder ist es schon zu spät?
Im Zusammenhang mit der Hitzewelle in Kanada sind mehrere Hundert Menschen gestorben. Bei einem Erdbeben fänden das doch auch alle furchtbar ... Es geht nicht mehr darum, sich zu fragen, ob wir einen guten Ausgang aus dieser Krise haben können; die Folgen sind bereits heute schlimm. So gesehen ist es bereits zu spät. Aber der Punkt ist: Unternehmen wir jetzt nichts, wird es noch schlimmer.

In Teilen von Nordamerika kämpfen die Menschen aktuell mit Hitzewellen und Bränden.
Foto: imago images/ZUMA Press
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Aber Hand aufs Herz: Gibt es Grund zur Panik?
Ich muss schon sagen, dass ich langsam etwas Angst bekomme. Wir stehen jetzt am Anfang eines neuen Klimaregimes. Es passiert aktuell sehr viel und sehr schnell. Das Problem mit dem Klimawandel ist, dass das CO2 in der Atmosphäre bleibt. Es ist nicht wie bei der Luftverschmutzung, die wir durch die Einführung von Katalysatoren rasch beheben konnten und deren Partikel sich rasch abbauen. CO2 bleibt Hunderte bis Tausende Jahre bestehen – ist erst mal zu viel davon in der Atmosphäre, gibt es keinen Rückweg mehr. Ich denke, das wird noch zu wenig gut verstanden: Die Klimaerwärmung ist irreversibel.

Wie gehen Sie als Klimaforscherin damit um, sich dieser Dringlichkeit bewusst zu sein und gleichzeitig zu sehen, wie zögerlich gehandelt wird?
Es ist schon frustrierend. Ich frage mich, ob es wirklich eine Katastrophe von riesigem Ausmass braucht, bis man etwas tut. Das ist doch traurig. Wie viele Menschen müssen sterben, bis man handelt?

Wo stehen wir denn aktuell im Kampf gegen die Klimakrise?
Wir stehen ziemlich schlecht da. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nimmt stetig zu. Die höchste je gemessene Konzentration wurde im Mai diesen Jahres gemessen. Da gibt es überhaupt keinen Fortschritt. Seit dem Beschluss des Pariser Klimaabkommens hat man zwar das Gefühl, dass das Problem erkannt wurde. Die Ziele sind die richtigen. Aber bis jetzt sind sie leere Worte geblieben.

Welche Rolle spielt die Schweiz?
Der Klimawandel ist ein globales Problem. Jedes Land und jede Person trägt Verantwortung. Oft kommt das Argument, dass die Chinesen anfangen sollen. Aber: Historisch gesehen, hat die Schweiz pro Person mehr CO2-Emissionen akkumuliert als China. Die Chinesen könnten also auch sagen: Wieso müssen wir etwas tun und die Schweizer nicht? Ausserdem ist der Konsum in der Schweiz sehr hoch – wir exportieren die Emissionen sozusagen.

Wie das?
Wir emittieren im Inland jährlich etwas mehr als vier Tonnen CO2 pro Kopf. Aber zählen wir die Güter dazu, die wir aus dem Ausland konsumieren, kommen wir auf rund 14 Tonnen. Damit gehören wir zu den 15 schlimmsten Ländern weltweit. Auch durch den Finanzplatz, der viel Geld in fossile Energieträger investiert, hat die Schweiz einen grossen Einfluss.

Wo müsste man ansetzen?
Wichtige Hebel sind Massnahmen beim Konsum und Finanzplatz. Auf persönlicher Ebene gibt es verschiedene Wege. Jeder kann für sich schauen, in welchen Bereichen er Emissionen reduzieren kann.

Wie schaffen wir das?
Es braucht eine Mobilisierung auf allen Ebenen. Aber eigentlich ist es relativ simpel: Wir müssen auf fossile Energien verzichten. Heute haben wir auch die Möglichkeiten und Alternativen, das zu schaffen. Teil des Problems ist aber die Trägheit der Menschen, ihre Angst vor Veränderung. Aber vielleicht stellt sich ja heraus, dass wir sogar zufrieden sein werden damit. Erst mal wäre es gut, wenn wir in den nächsten Jahren mindestens 30 Prozent der Emissionen reduzieren könnten und bis 2030 mindestens die Hälfte. Keine Frage: Je mehr und je schneller wir reduzieren, desto besser. Aber zentral ist, sich jetzt überhaupt mal auf diesen Weg zu begeben.

Was ist nach dem Scheitern des CO2-Gesetzes nun auf politischer Ebene nötig?
Ein wichtiger Schritt wird sicher die Gletscher-Initiative sein. Diese will das Ziel «Netto null 2050» in der Verfassung verankern und bis dann alle fossilen Energieträger verbieten. Das macht Sinn. Hinzu kommt, dass die Initiative eine lineare Abnahme der Emissionen vorschreibt. Sie gibt also nicht nur ein Ziel vor, sondern auch Vorgaben für den Weg dorthin. Das ist sehr wichtig und etwas, was im Moment fehlt.

Müsste man die Klimakrise ähnlich behandeln wie die Corona-Krise?
Ja, denn wir haben ein dringendes Problem und sehr wenig Zeit, es zu lösen. Auch bei der Klimakrise sind wir jetzt in einen Bereich gekommen, wo sehr schnell Entscheidungen getroffen werden müssen. Dazu bräuchte man einen schnelleren Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Entscheidungsträgern.

Also eine Klima-Taskforce.
Die wäre nützlich. Wir Wissenschaftlerinnen schreiben zwar Berichte, aber treffe ich Politikerinnen und Politiker, habe ich nicht immer den Eindruck, dass sie diese gelesen haben. Es muss mehr direkten Austausch geben. Zudem ist die Klimakrise sehr komplex. Nicht nur die Klimawissenschaft muss beachtet werden, sondern etwa auch die Energieforschung sowie soziologische und psychologische Aspekte.

Wenn wir nicht bald vieles ändern, sieht die Zukunft alles andere als rosig aus. Ist es überhaupt noch moralisch vertretbar, Kinder zu kriegen?
Diese Frage habe ich mir tatsächlich auch gestellt. Aber würden wir keine Kinder mehr kriegen, hätten wir ja schon aufgegeben. Mittlerweile habe ich zwei Kinder, sie sind sieben und elf Jahre alt. 2050 werden sie also etwa so alt sein wie ich jetzt. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, formen die Welt, die wir ihnen überlassen. Dieses Wissen motiviert mich umso mehr, gegen den Klimawandel und für eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen.


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