Wie Anwälte vor Gericht für einen Killer sprechen können
«Das kann einen auffressen»

So schrecklich ihre Taten sind, auch Mörder brauchen vor Gericht einen Anwalt. Doch wie kann man einen Killer verteidigen? Im Fall von Thomas N. sogar einen Kinderschänder. Ein Anwalt gibt Einblick in die Arbeit eines Pflichtverteidigers.
Publiziert: 15.03.2018 um 18:55 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 18:10 Uhr
«Bei den Opfern eine Mitschuld zu suchen ist total verfehlt»
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Rechtsanwalt Valentin Landmann über das Plädoyer von Renate Senn:«Bei den Opfern eine Mitschuld zu suchen ist total verfehlt»
Johannes Hillig

Im Dezember 2015 tötet Thomas N.* (34) vier Menschen, löscht eine Familie aus. Seine Opfer: Carla Schauer (†48), ihre zwei Söhne Dion (†19) und Davin (†13) sowie die Freundin von Dion, Simona F.* (†21). Ausserdem vergeht er sich an Davin, missbraucht ihn. So schrecklich die Tat auch ist, auch Thomas N. hat ein Recht auf Verteidigung. So will es das Gesetz. Doch wie kann man einen Vierfach-Killer und Kinderschänder verteidigen? Wie die Taten vor Gericht erklären – vor den Augen der Angehörigen? Und: Kann man das mit seinem Gewissen vereinbaren? 

«Das ist die Aufgabe der Verteidigung»

Wie es sich anfühlt, einen Mörder zu verteidigen, weiss Anwalt Matthias Fricker. Er war Pflichtverteidiger von Daniel H., der 2009 das Au-pair Lucie Trezzini (†16) kaltblütig mit einer Hantelstange tötete.

Wurde brutal ermordet: Lucie Trezzini (†16).
Foto: KEYSTONE/Patrick B. Kraemer

Für den Wohler Anwalt ist klar: Er verteidigt vor Gericht nicht die Tat, sondern den Täter. Und das ist keine leichte Aufgabe. «Das ist eine schwierige Situation. Man ist zwar Verteidiger, aber auch ein Mensch», sagt Fricker zu BLICK. Er könne sich gut vorstellen, wie das für die Opfer sein müsse, den Mörder zu verteidigen. Aber: «Das ist die Aufgabe der Verteidigung, und da muss man durch.» 

Das bedeutet aber nicht, dass solche Fälle Fricker kalt lassen – im Gegenteil. Er versucht jedoch die Taten nicht zu nah an sich rankommen zu lassen. Denn: «Das kann einen sonst auffressen.» Deswegen ist die Abstraktion eine wichtige Eigenschaft als Verteidiger.

Die Tat immer im Hinterkopf

Dennoch: Bei der ersten Begegnung mit Daniel H. ist der Anwalt angespannt. Das erste Mal sitzt er einem Mörder gegenüber, allein, ohne Polizei. Fricker hat ein mulmiges Gefühl, hat immer die Tat im Hinterkopf.

Verteidigte den Mörder Daniel H. vor Gericht: Der Wohler Anwalt Matthias Fricker.
Foto: Keystone

Es folgen weitere Treffen, das mulmige Gefühl verschwindet nach und nach. Dafür hat er unruhige Nächte, ist gedanklich immer wieder beim Fall. «Wenn man immer nur solche Fälle hat, dann würde man den Job vermutlich nicht lange machen», meint er.

Keine Verhöhnung der Opfer

Auch für die Verteidigerin von Thomas N. sei es keine leichte Aufgabe. Ganz im Gegenteil: «Dieses Mandat ist für Frau Senn in jedem Fall sehr belastend. Sie hatte sicher auch schlaflose Nächte. So etwas geht nicht spurlos an einem vorüber», ist Fricker der Meinung.

Senn sorgte beim zweiten Prozesstag für Aufsehen. In ihrem Plädoyer versuchte sie die Tat zu verharmlosen. Besonders folgender Abschnitt machte fassungslos: Der Missbrauch am jüngsten Kind (†13) der Familie Schauer sei zwar nicht zu entschuldigen. Er habe aber «lediglich 20 Minuten gedauert» und sei «nicht von übermässiger Gewalt beherrscht gewesen».

Renate Senn, amtliche Pflichtverteidigerin von Thomas N. im Fall Rupperswil. Sie sorgte mit ihrem Plädoyer für Aufsehen.
Foto: HO

So etwas klingt natürlich krass, sei aber nicht so gemeint. Der Wohler Anwalt erklärt: «Es geht um die Frage, wie schlimm der Missbrauch war. Natürlich ist jeder Missbrauch schlimm. Das Gericht muss aber auch beurteilen, hätte er brutaler sein können? Ist es die schlimmste Variante, die man sich vorstellen kann? Der sexuelle Missbrauch soll damit nicht runtergespielt werden. Es geht allein um das Strafmass für die Tat.»

Mit einer Verhöhnung der Opfer habe dies rein gar nichts zu tun. Solche Formulierungen habe er schon oft bei Missbrauchs-Fällen gelesen. Richter und Staatsanwaltschaft würden wissen, wie der Satz von Renate Senn gemeint war.

Wurden in ihrem eigenen Haus ermordet: Carla Schauer (Mitte, †48) mit ihren beiden Söhnen Davin (l., †13) und Dion (r., †19).
Foto: ZVG
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Verteidigung ist wichtig

Die Verteidigerin von Thomas N. habe einen guten Job gemacht, sie habe versucht, ein anderes Licht auf den Täter zu werfen. «Genau das war ihre Aufgabe, und die hat sie gut gelöst. Gerade bei einem so brutalen Verbrechen zeigt sich die Qualität eines Rechtsstaats. Bei Kleinkriminalität ist es einfach, die Rechte des Beschuldigten zu wahren. Nur wenn dies auch bei grausamen Taten gelingt, hat ein Rechtsstaat diese Bezeichnung auch verdient.»

Und dass auch Mörder und Kinderschänder verteidigt werden, ist ein zentraler Punkt, auch wenn es schwierig ist. Deswegen sollten wir dankbar sein, dass es Menschen gibt, die das machen. Denn sonst könnte die Staatsanwaltschaft gleich zwei Plädoyer vorlesen. 

Auch der Star-Verteidiger Valentin Landmann äussert sich zur Strategie von Pflichtverteidigerin Renate Senn. «Bei den Opfern eine Mitschuld zu suchen, ist total verfehlt», sagt er im Interview mit BLICK. Sehen Sie das ganze Gespräch im Video. 

* Namen der Redaktion bekannt

Alle aktuellen Informationen zum Prozess des Vierfachmordes gibt es im Liveticker.

Die Chronologie der Ereignisse
  • 21. Dezember 2015: Der Vierfachmord von Rupperswil AG erschüttert die Schweiz.
     
  • 24. Dezember 2015: Die Polizei fahndet nach dem Vierfachmörder – unter anderem mit Flugblättern.
     
  • Januar 2016: Für die vier Opfer finden die Trauerfeiern statt.
     
  • 18. Februar 2016: Die Behörden setzen an einer Medienkonferenz eine Belohnung von 100'000 Franken für den entscheidenden Hinweis aus.
     
  • April 2016: Der Fall wird als Beitrag für ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY...ungelöst» geplant.
     
  • 12. Mai 2016: Thomas N.* wird im Starbucks in Aarau verhaftet.
     
  • 13. Mai 2016: Die Behörden informieren mit einer Pressekonferenz über die Verhaftung.
     
  • 16. Mai 2016: Es wird bekannt, dass Renate Senn die Pflichtverteidigerin von Thomas N. wird.
     
  • Später: Thomas N. sitzt in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg AG in Haft und wird für mehrere 10'000 Franken pro Monat rund um die Uhr überwacht – wegen Suizidgefahr!
     
  • Februar 2017: Thomas N. wird versetzt. Er kommt in die Justizvollzugsanstalt Pöschwies nach Regensdorf ZH.
     
  • 11. Mai 2017: Die Gutachten der beiden unabhängigen Gutachter liegen vor. Diese braucht es, damit das Gericht eine allfällige lebenslange Verwahrung anordnen könnte.
     
  • 7. September 2017: Die Aargauer Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Vierfach-Killer.
     
  • 13. März 2018: Der Prozess gegen Thomas N. beginnt. Er ist für vier Tage anberaumt.
     
  • 16. März 2018: Das Urteil gegen Thomas N. soll verkündet werden.

*Name der Redaktion bekannt

  • 21. Dezember 2015: Der Vierfachmord von Rupperswil AG erschüttert die Schweiz.
     
  • 24. Dezember 2015: Die Polizei fahndet nach dem Vierfachmörder – unter anderem mit Flugblättern.
     
  • Januar 2016: Für die vier Opfer finden die Trauerfeiern statt.
     
  • 18. Februar 2016: Die Behörden setzen an einer Medienkonferenz eine Belohnung von 100'000 Franken für den entscheidenden Hinweis aus.
     
  • April 2016: Der Fall wird als Beitrag für ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY...ungelöst» geplant.
     
  • 12. Mai 2016: Thomas N.* wird im Starbucks in Aarau verhaftet.
     
  • 13. Mai 2016: Die Behörden informieren mit einer Pressekonferenz über die Verhaftung.
     
  • 16. Mai 2016: Es wird bekannt, dass Renate Senn die Pflichtverteidigerin von Thomas N. wird.
     
  • Später: Thomas N. sitzt in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg AG in Haft und wird für mehrere 10'000 Franken pro Monat rund um die Uhr überwacht – wegen Suizidgefahr!
     
  • Februar 2017: Thomas N. wird versetzt. Er kommt in die Justizvollzugsanstalt Pöschwies nach Regensdorf ZH.
     
  • 11. Mai 2017: Die Gutachten der beiden unabhängigen Gutachter liegen vor. Diese braucht es, damit das Gericht eine allfällige lebenslange Verwahrung anordnen könnte.
     
  • 7. September 2017: Die Aargauer Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Vierfach-Killer.
     
  • 13. März 2018: Der Prozess gegen Thomas N. beginnt. Er ist für vier Tage anberaumt.
     
  • 16. März 2018: Das Urteil gegen Thomas N. soll verkündet werden.

*Name der Redaktion bekannt

Mehr
Das ist bekannt, das ist unklar

Das ist im Fall bekannt: 

  • Zu Hause bei Thomas N. wurde ein Rucksack mit Fesselutensilien und einer Pistole gefunden.
  • Er hatte bereits die nächste Tat geplant. Der pure Zufall soll weitere Morde verhindert haben.
  • Auf elektronischen Geräten entdeckten die Ermittler umfangreiches kinderpornografisches Material.
  • Das Küchenmesser, mit dem er die Morde begangen hat, soll er nach den Taten in einem öffentlichen Abfalleimer in Aarau entsorgt haben – eingewickelt in Geschenkpapier. Es wurde bis heute nicht gefunden.
  • Die Anklage gegen Thomas N. umfasst zahlreiche Vergehen: mehrfacher Mord, mehrfache räuberische Erpressung, mehrfache Freiheitsberaubung, mehrfache Geiselnahme, mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind, mehrfache sexuelle Nötigung, Brandstiftung, mehrfache Pornografie, mehrfache Urkundenfälschung – und mehrfache strafbare Vorbereitungshandlungen.

Das ist noch unklar:

  • Wie kamen die Ermittler Thomas N. auf die Schliche?
  • Wurden im Tathaus Haare der beiden Huskies von Thomas N. gefunden?
  • Warum ging N. am Tatmorgen erst ins Haus, nachdem der Lebenspartner von Carla Schauer das Haus verlassen hatte und zur Arbeit ging?
  • Weshalb hatte er ausgerechnet Familie Schauer bzw. Sohn Davin ins Visier genommen? Welche Rolle spielt der Fussballverein?
  • Hat er im Gefängnis einen Suizidversuch hinter sich, wie lebt er hinter Gittern?
  • Bereut der Killer seine Taten?

Das ist im Fall bekannt: 

  • Zu Hause bei Thomas N. wurde ein Rucksack mit Fesselutensilien und einer Pistole gefunden.
  • Er hatte bereits die nächste Tat geplant. Der pure Zufall soll weitere Morde verhindert haben.
  • Auf elektronischen Geräten entdeckten die Ermittler umfangreiches kinderpornografisches Material.
  • Das Küchenmesser, mit dem er die Morde begangen hat, soll er nach den Taten in einem öffentlichen Abfalleimer in Aarau entsorgt haben – eingewickelt in Geschenkpapier. Es wurde bis heute nicht gefunden.
  • Die Anklage gegen Thomas N. umfasst zahlreiche Vergehen: mehrfacher Mord, mehrfache räuberische Erpressung, mehrfache Freiheitsberaubung, mehrfache Geiselnahme, mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind, mehrfache sexuelle Nötigung, Brandstiftung, mehrfache Pornografie, mehrfache Urkundenfälschung – und mehrfache strafbare Vorbereitungshandlungen.

Das ist noch unklar:

  • Wie kamen die Ermittler Thomas N. auf die Schliche?
  • Wurden im Tathaus Haare der beiden Huskies von Thomas N. gefunden?
  • Warum ging N. am Tatmorgen erst ins Haus, nachdem der Lebenspartner von Carla Schauer das Haus verlassen hatte und zur Arbeit ging?
  • Weshalb hatte er ausgerechnet Familie Schauer bzw. Sohn Davin ins Visier genommen? Welche Rolle spielt der Fussballverein?
  • Hat er im Gefängnis einen Suizidversuch hinter sich, wie lebt er hinter Gittern?
  • Bereut der Killer seine Taten?
Mehr
Der Fall

Die Feuerwehrmänner sind die Ersten, die das Grauen zu Gesicht bekommen. Vier verkohlte Leichen. Es handelt sich um Carla Schauer (†48), Sohn Davin (†13), Sohn Dion (†19) und seine Freundin Simona (†21). Es ist der 21. Dezember 2015, ein Montag. Der Tag geht in die Schweizer Kriminalgeschichte ein. Der Mörder ist Thomas Nick (heute 35). Schweizer, Junggeselle, unscheinbar. Er wohnte 500 Meter vom Tatort entfernt. Mit einer List schlich er sich ins Haus. Während er die übrigen Fami­lienmitglieder gefangen hält und bedroht, liess er Carla Schauer Bargeld besorgen. Dabei plante er die Tötung aller Anwesenden von Anfang an. Den jüngeren Sohn missbraucht er. Alle waren gefesselt und geknebelt worden, bevor er ihnen die Kehle durchschnitt. Die Leichen übergoss er mit Brandbeschleuniger und steckte sie in Brand. Rund ein halbes Jahr nach dem Verbrechen wird Nick in einem Café verhaftet. Er legt ein Geständnis ab. Wie man ihm auf die Schliche kam, sagt die ­Polizei nicht. Technische Mittel spielten eine Rolle, die Fahnder werteten Daten von 30000 Handynutzern aus. – Nick hatte wohl weitere Taten geplant.

Die Feuerwehrmänner sind die Ersten, die das Grauen zu Gesicht bekommen. Vier verkohlte Leichen. Es handelt sich um Carla Schauer (†48), Sohn Davin (†13), Sohn Dion (†19) und seine Freundin Simona (†21). Es ist der 21. Dezember 2015, ein Montag. Der Tag geht in die Schweizer Kriminalgeschichte ein. Der Mörder ist Thomas Nick (heute 35). Schweizer, Junggeselle, unscheinbar. Er wohnte 500 Meter vom Tatort entfernt. Mit einer List schlich er sich ins Haus. Während er die übrigen Fami­lienmitglieder gefangen hält und bedroht, liess er Carla Schauer Bargeld besorgen. Dabei plante er die Tötung aller Anwesenden von Anfang an. Den jüngeren Sohn missbraucht er. Alle waren gefesselt und geknebelt worden, bevor er ihnen die Kehle durchschnitt. Die Leichen übergoss er mit Brandbeschleuniger und steckte sie in Brand. Rund ein halbes Jahr nach dem Verbrechen wird Nick in einem Café verhaftet. Er legt ein Geständnis ab. Wie man ihm auf die Schliche kam, sagt die ­Polizei nicht. Technische Mittel spielten eine Rolle, die Fahnder werteten Daten von 30000 Handynutzern aus. – Nick hatte wohl weitere Taten geplant.

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