Wie die Eltern von Sophie (†3) vor Gericht Beobachter an ihre Grenzen bringen
Gibt es den Mord aus Mitleid?

Einen schwereren Vorwurf kann man Eltern kaum machen: das eigene Kind brutal ermordet zu haben. Ein Elternpaar muss sich genau diesen Vorwurf vor dem Bezirksgericht Bremgarten AG gefallen lassen. Das war der erste Prozesstag.
Publiziert: 09.09.2024 um 20:15 Uhr
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Aktualisiert: 09.09.2024 um 20:33 Uhr

Auf einen Blick

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Ralph DonghiReporter News

Diese Eltern haben lange geplant, ihr kleines Mädchen (†3) zu töten. Trotzdem wollen sie keine Mörder sein. Der Fall, der seit Montag vor dem Bezirksgericht Bremgarten AG verhandelt wird, scheint auf den ersten Blick klar: Emilie T.* (31) und ihr Freund Urs D.* (33) haben der kleinen Sophie die Droge Ecstasy in den Schoppen gemischt. Und das Kind danach mit einem Tuch erstickt, bis sie sicher waren, dass das Herzchen nicht mehr schlägt.

Trotzdem gehen die Meinungen vor dem Richter weit auseinander. Für die Anklage ist es ein Mord – kalt, skrupellos und egoistisch. Die deutschen Eltern sehen ihre Tat hingegen als «Erlösung». Denn das Kleinkind kam schwerbehindert auf die Welt, litt laut den Eltern fast permanent. Trotzdem fragte man sich als neutraler Beobachter in den Zuschauerrängen: Wie können Eltern nur so etwas tun?

Sicher ist: Die Eltern wirkten am Boden zerstört, weinten während fast der ganzen Befragung. Aber sie machten auch deutlich: Sie bereuen ihre Tat nicht, obwohl 18 Jahre Gefängnis drohen. «Ich würde es wieder tun – für meine Tochter», sagte der angeklagte Vater mit tränenerstickter Stimme.

Die Kantonspolizei Aargau ermittelte erfolgreich und nahm das Paar und die Grossmutter fest. Im Moment sind alle auf freiem Fuss, jedoch unter Auflagen. Hier sind die Eltern auf dem Weg ins Gerichtsgebäude.
Foto: Blick
In einer Wohnung in diesem Mehrfamilienhaus in Hägglingen AG geschah im Mai 2020 die schreckliche Tat. Die angeklagten Eltern wohnen inzwischen nicht mehr hier.
Foto: Ralph Donghi
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«Ich habe ihr damit geholfen»

Er war es auch, der das Kind, als es eine Stunde nach der Einnahme der Droge noch lebte, mit einem Geschirrtuch erstickte. Die Mutter argumentierte gleich wie ihr Partner: «Ich habe meine Tochter nicht ermordet. Ich habe ihr damit geholfen.» Die beiden Angeklagten blieben auch nach der Tat ein Paar, verliessen das Gericht nach der Verhandlung gemeinsam.

«Gab es für Sie nur die Option, sie zu töten, um ihr zu helfen?», fragte die Richterin. «Sie hatte immer Schmerzen. Wir wussten, es wird sich nicht viel ändern. Wir wollten ihr dies ersparen», entgegnete die Mutter. Wegen einer Gehirnerkrankung wäre das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit zeitlebens auf intensive Pflege und Rundumbetreuung angewiesen gewesen.

Weiter sagte die Mutter: «Hätte ich sie loswerden wollen, weil sie eine Last ist, hätte ich sie abgegeben und sie einmal im Monat besucht.»

Urteil folgt am Freitag

Sie hätten ihr Kind schlicht loswerden wollen – genau das ist der Vorwurf der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift: Emilie T. soll mit der zeitintensiven Betreuung ihres Kindes völlig überfordert gewesen sein. Mit dem Kindsvater soll sie dann beschlossen haben, das Kleinkind zu töten.

Wer bisher noch nicht gesprochen hat, ist die Verteidigung. Diese hat keinen einfachen Job. Denn selbst wenn man den Eltern glaubt, dass sie dem Kind mit der Tötung nur Schmerzen ersparen wollten: Auch das ist in der Schweiz nicht erlaubt. Selbst wer aus «achtenswerten Beweggründen» einen Menschen auf dessen «eindringliches Verlangen» tötet, kann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden (Tötung auf Verlangen). Und bei diesen geht es um Menschen, die, im Gegensatz zu einem behinderten Kleinkind, selbst entschieden haben, sterben zu wollen.

Es folgen noch die Plädoyers aller Parteien. Als Mitwisserin auf der Anklagebank ist zudem die Grossmutter des Kindes. Die Urteile sollen am Freitag verkündet werden.

* Namen geändert 

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