Foto: Qendresa Llugiqi

SBB-Kontrolleur Karim B. (43) verprügelt Passagier am Bahnhof Luzern
«Ich fühle mich schrecklich. Ich wollte weder ihm noch den SBB schaden»

Am Bahnhof Luzern kam es zu einer brutalen Schlägerei, die auf Video festgehalten wurde. Ein SBB-Mitarbeiter boxte einen Fahrgast. Jetzt konnte Blick mit dem Prügler sprechen. Der Familienvater sagt, der Mann habe ihn und seine Kollegen beschimpft und bedroht.
Publiziert: 04.10.2024 um 20:25 Uhr
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Aktualisiert: 09:07 Uhr
SBB-Kontrolleur Karim B. (43) und ein junger Mann gerieten am Bahnhof Luzern aneinander.
Foto: Qendresa Llugiqi
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Qendresa LlugiqiReporterin News

Ein SBB-Mitarbeiter prügelt wie wild auf einen Mann ein, der bereits am Boden liegt. Währenddessen stehen mehrere Anwesende herum, schauen zu oder filmen die Szene. Der Vorfall ereignete sich in der Nacht auf Sonntag am Bahnhof Luzern. Ein Video des Vorfalls wurde auf der Instagram-Seite «Szene_esch.luzern» veröffentlicht – und wieder gelöscht.

Nun zeigen Blick-Recherchen: Beim SBB-Mitarbeiter handelt es sich um den Billett-Kontrolleur Karim B.* (43). Blick hat den zweifachen Familienvater am Freitag an seinem Wohnort in der Region Luzern getroffen. Den Tränen nahe erklärt der Marokkaner traurig: «Ich arbeite seit 14 Jahren für die SBB. Es gab nie irgendwelche Vorkommnisse. Und plötzlich kommt ein Betrunkener daher und zerstört einfach alles!»

«Wollte Kollegen und mich schützen»

Laut B. habe alles damit begonnen, dass seine beiden Kollegen und er den Zug abgefertigt hätten und dieser bereit zur Abfahrt gewesen sei. «Die Türen schlossen sich bereits. Und wir – die SBB – legen enorm Wert auf diesen Prozess. Schliesslich sollen die Kunden rechtzeitig transportiert werden.»

Doch der junge Mann habe sich geweigert, ihren Anweisungen zu folgen und habe seinen Fuss zwischen die Türen gehalten. Dadurch habe er den ganzen Zug lahmgelegt.

Daraufhin habe der junge Passagier angefangen, die SBB-Mitarbeiter anzupöbeln. «Er beschimpfte und drohte uns. Ausserdem kam er uns mehrmals zu nahe. Ich nahm ihn als Gefahr wahr.» Der Kontrolleur stellt klar: «Ich wollte nie, dass es so eskaliert!»

«Ich fühle mich schrecklich»

Auf die Prügelei darf B. nicht eingehen. Hier verweist der Marokkaner an die SBB. Er stellt auch klar: «Die Polizei hat ein Video, das das Geschehene von A bis Z dokumentiert.» Weiter erklärt B.: «Ich will mich nicht aus der Verantwortung ziehen. Ich fühle mich schrecklich. Ich wollte weder dem jungen Mann noch den SBB auf irgendeine Weise schaden. Mein Ziel war es, meine Kollegen und mich vor seinen Angriffen zu schützen.»

Aktuell ist B. freigestellt. Die Polizei ermittelt. Seine grösste Angst: die Kündigung. «Ich habe zwei Kinder im Alter von 9 und 6 Jahren», sagt er. «Meine Frau arbeitet nur 20 Prozent. Ich bin der Hauptverdiener. Ausserdem habe ich wirklich mein ganzes Herzblut in meinen Beruf als Kundenbegleiter gesteckt.»

Augenzeugen stützen B.s Aussage

Inzwischen wird auf verschiedenen Plattformen rege über den Vorfall diskutiert. Während einige den SBB-Kontrolleur kritisieren, tauchen immer mehr Kommentare von Augenzeugen auf. Für sie steht fest: Der junge Pöbler habe die Eskalation gesucht. So schreibt eine Userin auf Tiktok: «Der Konti (Kontrolleur, d. Red.) ist mehrmals vom Herrn angegriffen worden. Hat sich auch immer wieder zurückgezogen. Und als der Herr auf den Konti los ist, beziehungsweise nicht mehr losgelassen hat, hat er sich selbst verteidigt.» Und ein User schreibt: «Er wurde angegriffen, er hat sich verteidigt.» Und wiederum ein anderer: «Der Konti ist von dem bedroht worden. Klar, sicher nicht die beste Lösung vom Konti. Aber finde es gleich gut, dass der andere kassiert hat.»

Blick hat sich mit einem weiteren Augenzeugen unterhalten. Der 24-Jährige aus Hochdorf LU gibt an, die Szene am frühen Sonntagmorgen nach dem Ausgang in Luzern beobachtet zu haben. «Es war ganz klar der Fahrgast, der Stress suchte!» So habe dieser den SBB-Mitarbeiter immer wieder angepöbelt, sei ihm zu nahe gekommen und habe ihm sogar gedroht. «Er drohte ihm, seine Familie zu verletzen.»

Laut dem Augenzeugen war der junge Pöbler «irgendwie drauf»: «Ob Alkohol oder Drogen, kann ich leider nicht sagen.»

Schubser als Kampfeinladung

Lange habe der SBB-Mitarbeiter versucht, dem Pöbler aus dem Weg zu gehen. «Er ging sogar in den Zug rein, um Schutz zu suchen und um eine Eskalation zu vermeiden.»

Doch der Fahrgast habe nicht locker gelassen. «Er lief dem Mitarbeiter sogar nach. Als sie dann wieder draussen auf dem Perron standen, kam er dem Konti mehrmals nahe, zu nahe.» Um sich zu schützen, habe der SBB-Mitarbeiter diesen von sich weggestossen.

Diesen Schubser habe der junge Pöbler als Einladung zum Kampf interpretiert: «Er wollte den Mitarbeiter angreifen. Plötzlich ging es sehr schnell und sie beide gingen zu Boden. Der Konti war oberhalb und somit in einer besseren Position und schlug dann auf den jungen Mann ein.»

Kollegen hielten Schaulustige auf Distanz

Als im Streit einmal die Tasche des SBB-Mitarbeiters auf den Boden gefallen sei, sei der Inhalt auf dem Perron verstreut worden. «Ich sammelte seine Sachen ein und wollte dem Konti die Tasche zurückgeben. Da griff der Mann auch mich an», sagt der Augenzeuge. «Er meinte: Verpiss dich, misch dich nicht ein!»

Der Augenzeuge finde es extrem schade, dass nun so viele den SBB-Mitarbeiter verurteilen – ohne selbst dabei gewesen zu sein. «Der hat ihn so provoziert und das über eine längere Zeit.» Er ist sich sicher: «Jeder Mensch hätte so reagiert. Egal, wie professionell man ist, irgendwann brennen die Sicherungen durch.»

Weiter merkt der Augenzeuge an: «Vielleicht hätten auch die Berufskollegen des SBB-Mitarbeiters eher eingreifen sollen. Die waren aber damit beschäftigt, die Schaulustigen auf Distanz zu halten.»

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