Zoff um C-Bewilligung für Andrei Melnitschenko
Die Schweiz will ihren berühmtesten Oligarchen loswerden

Trotz Lobbying aus Graubünden will der Bund dem Dünger-Milliardär Andrei Melnitschenko die Niederlassungsbewilligung C entziehen. Der Fall kommt vors Bundesverwaltungsgericht.
Publiziert: 28.05.2023 um 00:25 Uhr
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Aktualisiert: 29.05.2023 um 16:18 Uhr
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Sein Vermögen wird auf 24 Milliarden Dollar geschätzt, er gründete mehrere Industriekonzerne – und seine Wahlheimat steht wegen ihm vor einem Dilemma.

Andrei Melnitschenko (51) gehört zu den zehn reichsten Russen und hat seinen Wohnsitz seit 2009 im mondänen St. Moritz GR, wo er am berühmten Suvretta-Hang eine Villa besitzt («Uns gefällt die Engadiner Landschaft mit ihren Seen und Bergen»).

Die in Zug domizilierte Firma Eurochem zählt zu den Weltmarktführern für Düngemittel. Im gesamten Wirtschaftsimperium sollen rund 100'000 Angestellte beschäftigt sein.

Potentat im Pelz: Andrei Melnitschenko mit Gattin Aleksandra (M.) und Galeristin Isabelle Bscher 2017 in St.Moritz.
Foto: Getty Images
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So weit, so glamourös. Doch aufgrund des Ukraine-Kriegs steht Melnitschenko auf der Sanktionsliste der Europäischen Union – und damit auch auf jener der Eidgenossenschaft.

Obschon er dem helvetischen Fiskus stets einen ordentlichen Steuerbatzen eingebracht hat und von vielen hofiert wurde, ist der Krösus seither ein unliebsamer Gast.

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Seine Familie besitzt EU-Pässe

Bereits die Übernahme der EU-Sanktionen durch Bern belastete das Verhältnis zwischen der Alpenrepublik und dem Multimilliardär stark: «Die Kinder können ihre Freunde nicht treffen, sie vermissen ihre Spielsachen und stellen Fragen, die ich ihnen nicht beantworten kann», klagte er im Juli 2022, als er die «Weltwoche» zum Interview im Golf-Emirat Ra’s al-Chaima lud, über seinen Alltag als sanktionierte Person.

Jetzt könnte die Liaison vor einem definitiven Ende stehen: Melnitschenko verfügt als russischer Staatsbürger über eine Niederlassungsbewilligung der Kategorie C, eine Art Schweizer Greencard.

Seine Frau und seine Kinder haben EU-Pässe, wirtschaftliche Risiken erübrigen sich. Die Angelegenheit gäbe damit keinen Anlass zur Diskussion.

Bloss herrschen seit Putins blutigem Feldzug gegen das Nachbarland besondere Zeiten: Die Schweiz steht international wegen ihres Umgangs mit Oligarchengeldern am Pranger, im April erhöhten die G7-Staaten den Druck auf Bern mit einer medialen Kampagne. Vor diesem Hintergrund ist Melnitschenkos C-Bewilligung zum heissen Eisen geworden.

Kantonsregierung schaltete sich ein

Nach SonntagsBlick-Informationen wurde das Dossier auch in der Kantonsregierung in Chur zum Thema. Plötzlich standen der Mann und die «Sancziuns» aus der fernen Bundesstadt, wie man die Massnahmen auf Rumantsch nennt, auf der Agenda.

Dem Vernehmen nach konnte sich eine Mehrheit im Gremium dafür erwärmen, den Aufenthaltsstatus zu gewährleisten.

Doch spielte man unter Federführung von SP-Justizvorsteher und Regierungspräsident Peter Peyer (58) den Ball diskret dem zuständigen Staatssekretariat des Bundes für Migration (SEM) zu. Ein Mittelsmann war der Bündner FDP-Ständerat Martin Schmid (54).

Was die Bergler den Migrationsbeamten vortrugen, entzieht sich der Kenntnis der Öffentlichkeit. Fest steht: Das SEM sagt «njet». Bundesbern will dem Wahlengadiner Melnitschenko neuerdings seinen C-Ausweis verwehren.

Laut SEM zu selten in der Schweiz

Begründung: Der Russe verbringe zu viel Zeit im Ausland und nicht an seinem gesetzlichen Wohnsitz, womit er die Bedingungen nicht mehr erfülle.

Hinter den Kulissen ist nun die Aufregung gross, die Meinungen gehen weit auseinander. Kuscht die Eidgenossenschaft vor dem internationalen Druck?

Will man den in Ungnade gefallenen Dünger-Dagobert mit diesem behördlichen Entscheid auf dem diplomatischen Parkett zum Bauernopfer machen?

Oder ist es umgekehrt ein wichtiges Zeichen an die Welt, dass die Regeln für alle gelten, erst recht für einen Potentaten, dem die EU – entgegen den Beteuerungen Melnitschenkos – eine Nähe zum Kreml-Herrscher Wladimir Putin (70) unterstellt?

Die Wahrscheinlichkeit jedenfalls, dass der Industrielle mit seiner Familie der Schweiz definitiv den Rücken kehren wird, dürfte in diesen Tagen deutlich grösser geworden sein. Und einigen Funktionären in Politik und Verwaltung könnte das durchaus recht kommen.

Allerdings lässt Melnitschenko das Verdikt keineswegs kalt: Seine Anwälte wollen den Beschluss anfechten. Der Fall kommt demnächst vors Bundesverwaltungsgericht.

Dieses hüllt sich auf Anfrage von SonntagsBlick in Schweigen. Beim SEM verweist man ebenfalls auf den Datenschutz; Einzelfälle kommentiere man grundsätzlich nicht.

Regierungspräsident Peyer lässt über eine Sprecherin ausrichten, dass seine Exekutive für die Verlängerung von C-Bewilligungen nicht zuständig sei, und verweist auf das SEM. Ständerat Schmid war seit Freitagnachmittag aufgrund einer Reise nicht erreichbar.

Gut möglich also, dass der Bergkanton und sein Nobelkurort bald einen prominenten Einwohner und Steuerzahler weniger haben. Es wäre kein Abgang in Minne. Im bereits erwähnten Interview machte Melnitschenko seinem Unmut über den damaligen Sanktionsentscheid Luft: «Wäre ich je auf die Idee gekommen, dass ich in der Schweiz, in einem Land mit einer jahrhundertealten Tradition der Neutralität, als mutmasslich enger Vertrauter des russischen Präsidenten angesehen würde, dem Sanktionen auferlegt werden sollten, um auf diese Weise maximalen Druck auf ihn auszuüben, weil das dazu beitragen würde, die entsetzlichen Ereignisse in der Ukraine zu stoppen? Niemals hätte ich das gedacht. Die von der Schweiz ergriffenen Massnahmen haben mich überrascht, aber in konflikthaften Zeiten gehen die emotionalen Wogen hoch – und man muss auch mit dem Unwahrscheinlichen rechnen.»

Anmerkung der Redaktion: Auf Wunsch des Betroffenen wurden zwei Stellen im Text angepasst – Andrei Melnitschenko legt Wert darauf, dass er keine Kontrolle über die von ihm gegründeten Unternehmen habe und er am 8. März 2022 als Begünstigter des Trusts zurückgetreten sei, der im Besitz der Unternehmen Eurochem und SUEK ist. Ausserdem betont sein Sprecher, dass Melnitschenko und seine Frau wegen der Sanktionen gar nicht hätten in St. Moritz ihre Zeit verbringen können: «Aufgrund des Reiseverbots, der Aufnahme in das Grenzwarnsystem SIS der Schengen-Staaten und vor allem der fehlenden Genehmigung ihrer Lebenshaltungskosten durch die Schweizer Behörden war es Herrn und Frau Melnitschenko nicht möglich, sich an ihrem gesetzlichen Wohnsitz aufzuhalten», teil der Sprecher mit. Überdies würde sich «eine Schweizer Bank» weigern, «selbst genehmigte Kosten zu übernehmen».

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